25.10.2025 von SWYRL/Julian Weinberger
Die Netflix-Doku "Babo - Die Haftbefehl-Story" ist wie ihr Protagonist: hart, ehrlich und ungeschönt. 90 Minuten lang wandelt man mit der Rapikone am Rande der Selbstzerstörung zwischen Gangsta-Rap, Familie - und Unmengen an Koks.
Für Haftbefehl sind sie alle da. Marteria, Jan Delay, Kool Savas und Xatar, ebenso wie Bausa und Peter Fox. Und alle sind sich in der Netflix-Dokumentation "Babo - Die Haftbefehl-Story" (ab 27. Oktober) einig: Einen größeren Künstler gab es im Deutschrap bis dato nicht. Haftbefehl sei "unantastbar", huldigt Jan Delay ihn. Und doch ist der Dokumentarfilm von Juan Moreno und Sinan Sevinç alles andere als eine unreflektierte Heldenschau. Vielmehr legt der Film Zeugnis einer stetigen Gratwanderung zwischen Bühnenshow und Drogenabsturz, zwischen Familienzeit und enttäuschten Erwartungen ab.
"Er lebt ein Rockstar-Leben", beschreibt es einer der musikalischen Wegbegleiter des Offenbachers, Frizzo. "Bei Hafti weißt du nicht, was morgen passiert." Das bringt ungeachtet seiner musikalischen Fähigkeiten nicht nur sein Businessumfeld (Universal-Mitarbeiter: "Irgendwann hatte er unseren CEO halb im Schwitzkasten") an die Grenzen. Besonders seine Ehefrau Nina gibt im Netflix-Film bemerkenswert offene Einblicke in die oft nicht ganz leichte Beziehung mit dem Rapstar.
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"Aykut liebe ich, Haftbefehl nicht": Rapper-Ehefrau packt über Ehe-Probleme aus
"Den Aykut liebe ich", betont Nina über ihren Ehemann, der bürgerlich Aykut Anhan heißt - fügt aber ohne Umschweife an: "Den Haftbefehl nicht." Zu viel habe das Rapper Alter Ego schon kaputtgemacht. "Die Bindung ist nicht mehr so krass zwischen uns. Das hat ganz arg nachgelassen", klagt die Zweifachmama. Oft fühle sie sich fast wie eine alleinerziehende Mutter. Doch die vielen Aufgaben ließen sie kaum nachdenken, "ob ich mich einsam fühle". Was Haftbefehl selbst zu seiner Rolle im Familienleben sagt? "Das bin ich nicht. Mein Leben ist keine Kelloggs-Werbung."
Dazu passt sein Rapper-Dasein schlichtweg nicht. Denn bei Haftbefehl sind Drogen, Abstürze und Unzuverlässigkeit nicht Attitüde, sondern täglich gelebte Praxis. Seit er 13 Jahre alt sei, konsumiere er Kokain - und das bisweilen in rauen Mengen. Mit krassen Folgen: Man erlebt Haftbefehl im Laufe des Netflix-Films mehr als nur einmal am gesundheitlichen Abgrund, ob mit einer Infusion im Arm Backstage oder von Drogen benebelt im Hotelzimmer und überzeugt davon, Dämonen vertreiben zu müssen. Einmal wird es selbst dem Kamerateam zu viel und es überlässt Anhan seinem Schicksal.
Haftbefehls Vater hatte "zwei Millionen Mark unterm Schlafzimmerteppich" versteckt
Der Film von Produzent Elyas M'Barek beschönigt an keiner Stelle, ist gnadenlos ehrlich, tut weh. Aber das tut der Film nicht aus Sensationsgier, sondern weil Haftbefehl eben ein Leben am Rande der Selbstzerstörung führt - und teils darüber hinaus. Der 90-minütige Film führt zu abgebrochenen Klinikaufenthalten ("Ich fühle mich wie ein Geist. Ich sehe Schatten und so auf einmal"), schonungslosen Geständnissen von Therapeuten ("Du wirst sterben") und einer Koks-Überdosis samt Wiederbelebung im Krankenhaus.
"Wenn ich gucke, dass es allen gut geht, ziehe ich mich zurück und will high sein", beschreibt der 39-Jährige seinen Drogen-Teufelskreis. "Dann gehe ich in mein Loch, bin high und komme nach fünf Tagen wieder raus. Dann ist die Stimmung wieder unten." Erst als 2024 die Lage aussichtslos zu werden scheint, handelt sein jüngerer Bruder Cem. "Wenn wir jetzt nichts machen, wird er sterben", sei er sich sicher gewesen. "Ich wäre gestorben, wenn ich nicht da reingegangen wäre. Ich war schon tot praktisch, ich habe gar nichts mehr mitbekommen", reflektiert der Rapper seinen Aufenthalt in einer geschlossenen Anstalt in Istanbul retrospektiv.
Ob Haftbefehl heute clean ist, löst der Netflix-Dokumentarfilm nicht auf. Sehr wohl aber präsentiert er eine mögliche Ursache für die Drogenhistorie des Musikers. Ihr Vater sei ein "Zocker, Mafiosi, und Drogendealer" gewesen, blickt Cem zurück. Zu Hause sei er selten gewesen, und wenn, dann habe er "extrem autoritär" (Haftbefehls großer Bruder Aytac) gehandelt. Während die Familie im siebten Stock eines Hochhauses in abgeranzter Gegend lebte, habe der Vater im Casino mit Millionensummen hantiert - und daheim waren "zwei Millionen Mark unterm Schlafzimmerteppich" versteckt.
Tod seines Vaters als Zäsur im Leben von Haftbefehl
Woher das Geld kam, wissen die Brüder nach eigener Aussage bis heute nicht. Mental hat die Zeit jedenfalls tiefe Narben bei Haftbefehl hinterlassen. Besonders eingebrannt hat sich der 2. Juni 1999. "Er hat seinen Kopf gegen die Wand geschlagen", erinnert sich Aytac an die Reaktion von Aykut, nachdem dieser vom Selbstmord seines Vaters erfahren hatte. "Ich war psychisch so am Arsch, ich habe das gar nicht realisiert", fügt Aykut aka Haftbefehl an. Schon einige Monate zuvor hatte er einen Suizidversuch seines Vaters verhindert: "Bis morgens um 6 Uhr saß ich im Flur, weil ich Angst hatte, er stirbt."
Aussagen und Geständnisse wie diese machen die Netflix-Doku "Babo - Die Haftbefehl-Story" zu starkem Tobak. Sie ist wie sein Protagonist: hart, ehrlich und ungeschönt. Und doch hat man nach 90 Minuten Auf und Ab durch Haftbefehls Leben den Eindruck, den Musiker - und seine Abgründe - zumindest ein Stück weit kennengelernt zu haben. Damit löst die Doku ein Versprechen ein, was bei vielen Genreablegern nur eine leere Zusage ist: ungefilterte und ehrliche Einblicke in das Leben des Protagonisten. Passend dazu schließt Haftbefehl am Ende des Films: "Es muss ehrlich sein, Bro."



