Das Srebrenica Tape - Mi. 09.07. - ARD: 22.50 Uhr

Auf den Spuren des toten Vaters

04.07.2025 von SWYRL/Eric Leimann

Alisa (39) lebte als Kind in Bosnien. Ihre Mutter Serbin, der Vater Bosnier. Als Neunjährige zog sie zu den Großeltern. Ihr geliebter Vater und Hobbyfilmer schickt ihr dokumentarische Grußbotschaften aus Srebrenica. Dort kommt es 1995 zum Völkermord. "Das Srebrenica Tape" zeigt Alisa auf Spurensuche.

Am schlimmsten ist es, wenn man nicht weiß, was aus geliebten Menschen geworden ist. Menschen, die einfach so und plötzlich aus dem Leben verschwunden sind. So erging es Alisa, die während des Jugoslawienkrieges in Bosnien aufwuchs. Ihre Mutter Serbin, Vater Sejfo Bosnier. Als Alisa, die heute mit eigener Familie in Florida lebt, 1992 zu den Großeltern nach Serbien gebracht wird, geht ihr Vater in seine geliebte Heimat Srebrenica. Die Eltern trennen sich, doch Sejfo schickt der geliebten Tochter Videobotschaften aus Srebrenica. Insgesamt vier Stunden Material kommen so zusammen. Irgendwann hört Alisa nichts mehr vom Vater. Wer Geschichte kennt, weiß warum. 1995 findet in Srebrenica das bis dahin schlimmste Kriegsverbrechen Europas seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges statt. Bosnische Serben um General Ratko Mladić töten über 8.000 muslimische Männer in wenigen Tagen. Alisas Vater Sejfo ist einer von ihnen. Die Gräueltaten in und um Srebrenica können von vor Ort stationierten, aber nur leicht bewaffneten Blauhelmsoldaten nicht verhindert werden. Eine weitere Schande im Zusammenhang mit der "ethnischen Säuberung".

Im Dokumentarfilm "Das Srebrenica Tape" wird die Geschichte der Gräueltaten auf eine Art erzählt, die einerseits nüchtern, andererseits sehr menschlich ist. Alisa, die von der Filmemacherin Chiara Sambuchi begleitet wird, plant in ihrer neuen Heimat Florida gemeinsam mit ihrer etwa elfjährigen Tochter eine Reise nach Bosnien. Im Gepäck den Film des Vaters. Die 39-Jährige sucht nach Verwandten und Menschen, die auf den Videoaufnahmen von damals zu sehen sind.

Viele, die sie findet, sind bereit sich zu erinnern. Nicht immer in offenen oder gar analytischen Worten. Manchmal stehen im Film Momente stiller gemeinsamer Trauer oder stellvertretende Gespräche um Privates und scheinbar Belangloses für das Unaussprechliche. Trotzdem steht das Unfassbare dieser privaten Suche und Trauer auch unausgesprochen im Mittelpunkt. Die Tatsache, dass an diesem Ort vor genau 30 Jahren unschuldige Menschen systematisch abgeschlachtet wurden. Menschen, mit denen man eben noch friedlich Tür an Tür lebte.

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1995 vs. 2025: Dokutrip auf zwei Zeitebenen

Das Berührende des mit deutschem und österreichischen Geld finanzierten 90-Minüters ist, dass der Genozid und das Versagen der Weltgemeinschaft nicht als investigative Doku oder trauerndes Lamento inszeniert wird, sondern dass sich Protagonistin Alisa und Filmemacherin Chiara Sambuchi auf sehr persönlicher Ebene dem kaum ausgesprochenen Grauen nähern. "Liebesbotschaft aus dem Krieg" heißt der Film im Untertitel und in seiner Montage wechseln Originalbilder von Sejfo aus den 90-ern mit Alisas Reisebegegnungen von heute. Teilweise sieht man Menschen aus den Videos und was 30 Jahre später aus ihnen geworden ist.

Berührend ist auch die Hoffnung der Menschen in Srebrenica auf den alten Tapes, die vor dem Genozid kämpferisch und hoffnungsfroh in der von Krieg und Belagerung gebeutelten Stadt ihren Alltag verrichten. Einer arbeitet als Schuhmacher, ein anderer betreibt ein Café. Wenn es heiß ist, springen alle jungen Männer quasi als Mutprobe in einen kalten Fluss. Man braucht nicht viel Fanatasie, um das Unausgesprochene zu begreifen: dass all diese Männer kurze Zeit nach den privaten Aufnahmen Sefjos abgeschlachtet wurden.

"Das Srebrenica Tape" zeigt so gut wie keine Gewalt - und doch geht dieser Dokumentarfilm stark an die Nieren. Irgendwann, viele Jahre nach dem Krieg, erfährt Alisa, dass die Leiche ihres Vaters gefunden wurde. Immerhin. In einer wortlosen Szene weint sie am Grab des tapferen, fröhlichen Filmemachers - dessen Aufnahmen im Sommer 1995 enden.

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