04.08.2025 von SWYRL/Eric Leimann
In der zum 75. Geburtstag von Iris Berben wiederholten bärenstarken ZDF-Tragikomödie wird der latente Antisemitismus in deutschen Klassenzimmern klug in Szene gesetzt. Dem starbesetzten Ensemble um Berben, Devid Striesow, Anna Brüggemann und Thomas Sarbacher hilft dabei ein ziemlich brillantes Drehbuch.
Wenn das Klassenzimmer zur Konfliktzone wird: Das ZDF wiederholt den Film "Das Unwort" von 2020 am späten Dienstagabend zum 75. Geburtstag von Schauspielerin Iris Berben.
Der 15-jährige Max Berlinger (Samuel Benito), ein deutscher Junge jüdischen Glaubens, hat seinem Mitschüler Karim (Oskar Redfern) das Ohrläppchen abgebissen. Einem anderen hat er die Nase gebrochen. Nun droht dem Jungen der Schulverweis. Max' Eltern (Thomas Sarbacher, Ursina Lardi) gehen mit ziemlich gemischten Gefühlen zum abendlichen Krisengespräch ins Gymnasium ihres Kindes. Der Vater voller Wut auf den latenten Antisemitismus in Deutschland, die Mutter mit sorgenvollen Gedanken um die Zukunft des Sohnes. Weil die ebenfalls geladenen Eltern Karims (erst einmal) nicht auftauchen, beginnen die Vertreterin der Schulaufsichtsbehörde (Iris Berben) und der Schulrektor (Devid Striesow) die Sitzung nur mit einem Elternpaar. Auch der Vertrauenslehrer hat angeblich keine Zeit. Vertreten wird er vom einzigen Nicht-Akademiker am Tisch, Hausmeister Eichmann (Florian Martens), dessen Nachname dem gereizten Vater Berlinger nicht gerade als gutes Omen erscheint. Ebenfalls mit in der Runde sitzt die junge, engagierte Klassenlehrerin der Infight-Gruppe (Anna Brüggemann).
In Rückblenden, die die Kammerspiel-Atmosphäre der Krisensitzung "auflockern", sieht man die Eskalation des Konflikts im Klassenzimmer. Als Max seinen Glauben offenbart, greifen schnell alte Stereotype und Vorurteile. Bei Moslems, Juden und den "neutralen" Beobachtern der Szene. In einem der besten Momente versucht Lehrerin Annika Ritter (Brüggemann), ihre Klasse für die anstehende Lektüre von Anne Franks Tagebuch zu begeistern. Von ihren Schülern erntet sie dafür vorwiegend Spott. Auch irgendwo aufgeschnappte Argumente, das Tagebuch sei sowieso nicht echt, weil ein Mädchen dieses Alters es niemals geschrieben haben könnte, machen die Runde.
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Rassismus der "besseren Kreise"
Was Drehbuchautor und Regisseur Leo Khasin ("Kaddisch für einen Freund") mit "Das Unwort" schafft, ist ziemlich beeindruckend. Sehr unterhaltsam und mit viel Spielfreude vom Schauspiel-Ensemble umgesetzt, entlarvt die Tragikomödie Mechanismen von Rassismus. Vor allem dem Rassismus jener Art, wie er in "besseren" Kreisen wie im gezeigten Gymnasium vorkommt. Hier trifft die raue Lebenswelt jugendlicher Selbstfindungs- und Selbstbehauptungskämpfe auf die politische Korrektheit von Pädagogen und Eltern, die natürlich keinesfalls zugeben wollen, dass so etwas wie Mobbing, Diskriminierung und rassistische Vorurteile in ihrer Welt passieren könnten.
Devid Striesow spielt einen windelweichen Schuldirektor, dem vor allem die eigene Karriere am Herzen liegt. Iris Berben gibt die desillusionierte Schulaufsichts-Beamtin kurz vor der Pensionierung, die dem Geschehen an der Schule wütend-fassungslos gegenübersteht. Filmemacher Leo Khasin, der selbst aus einer osteuropäischen, jüdischen Einwanderer-Familie stammt, zeigt die Unfähigkeit unserer Gesellschaft, wirksame Strategien gegen rassistisches Denken und Handeln zu entwickeln. Dass sein durchweg unterhaltsames Kammerspiel gebildete Akademiker und Gymnasialschüler streiten lässt und eben nicht in dem ZDF-Publikum eher "fernen" sozialen Brennpunkten angesiedelt ist, darf als kluger Schachzug gewertet werden. Die Eskalation des Falles - der zudem auf wahren Geschehnissen beruht - geht einem so deutlich näher, "Das Unwort" erscheint in seiner nachvollziehbaren Eskalation bestürzend realistisch.
Der Film ist bereits eine Woche vor der TV-Ausstrahlung online abrufbar.