24.06.2025 von SWYRL/Wilfried Geldner
Es ist die Geschichte einer Flucht aus der DDR durch die Ostsee, aber kein üblicher Fluchtfilm per Ballon oder Tunnel mit finalem Triumph. Erzählt wird die traurige Geschichte von drei Freunden, die das Schicksal trennte.
Kaum kenntlich sind die Gesichter und die Gliedmaßen, die sich am nächtlichen Strand bewegen. Nur der Wachturm wirft sein unerbittliches Licht kurz und grell über sie. Es ist der Beginn einer Flucht in den letzten Jahren der DDR. Der Film "Jenseits der blauen Grenze" von Sarah Neumann (Drehbuch und Regie, nach einem Jugendroman von Dorit Linke) erzählt seine Geschichte nicht als mitreißenden Spannungsbogen, sondern indem er Zeiten und Situationen übergreift. Drei Freunde, zwei Jungen, ein Mädchen, lernen sich kennen und verbringen trotz allerlei Restriktionen die Tage relativ unbeschwert miteinander - bis ihre Situation zum Zerreißen unerträglich wird.
Hanna (Lena Urzendowsky, mit ihrem trotzigen und selbstbewussten Mädchengesicht) ist gerade drauf und dran, als Schwimmerin in den Olympiakader aufgenommen zu werden. Erst mal darf sie zur Spartakiade in Leipzig und wird zu ihrem weiteren Fortkommen in eine Sportschule beordert. Andreas (Willi Geitmann) hat einen parteitreuen Funktionärsvater und ist wohl nicht zuletzt deswegen der Aufmüpfigste unter den hier porträtierten Freunden. Er schraubt gern an seinem Moped herum und kann die Gängelung des Schuldirektors partout nicht ab. Er weiß aber auch, wo die Stasi haust (oder gehaust hat) und steigt ihr einfach mal aufs Dach - nicht ohne zu behaupten, dass sich jeder Stasimensch, der auffliegt, von dort herabstürzen müsse.
Jens (Jannis Veihelmann), der Dritte im Bunde, kommt frisch aus Dresden - aus "Drääsd'n", wie er sagt. Er ist schlecht in der Schule und jammert immer ein wenig. Aber er hat auch stets einen Underground-Witz parat: "Was sind die vier schwersten Jahre im Leben eines Volkspolizisten? - Die erste Klasse!" ist so einer, zum Beispiel. Andreas, der immer wieder gemaßregelt und ans Kollektivbewusstsein im sozialistischen Vaterland erinnert wird, kommt schon bald zu dem Entschluss: "Ich hau' ab!"
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Der Traum von einer besseren Zeit
Fast hätte man da die düsteren, fast in Schwarzweiß gehaltenen Fluchtszenen vom Anfang vergessen und auch Hannas Anstrengungen im Schwimmbecken unter den Augen ihres ehrgeizigen Trainers. Doch die Flucht im eiskalten Wasser, über die "blaue Grenze", wie man das nennt, ist die Klammer, die immer wieder alles zusammenhält. Gewagt und raffiniert geht die Erzählung vor und zurück. Wird sich Hanna entschließen, zusammen mit Andreas die Flucht zu ergreifen, oder wird sie es dabei belassen, den Freund zu trainieren, damit er alleine die 50 Kilometer zwischen Rostock und Fehmarn überstehen kann?
Und wird sich der autoritäre Trainer, der doch tatsächlich mit Denunziation als letztem Mittel droht, zuletzt doch noch zum Guten wenden? - So viel sei verraten: dass die Geschichte, eine von mehreren tausend, die es bei Fluchtversuchen durch die Ostsee gab, kein richtiges Happyend bereithält, allenfalls ein halbes. Andreas wird am Ende am Horizont verschwunden sein. Aber aus dem Off singt die Gruppe Albatros ihr Lied vom Vogel, der unverdrossen um die Erde fliegt. Es bleibt der Traum von einer besseren Zeit.
Der Film wurde 2024 beim Filmfestival Max Ophüls Preis mit dem Publikumspreis Spielfilm sowie dem Preis der Ökumenischen Jury ausgezeichnet. Den Preis für den besten Nachwuchs-Schauspieler erhielt zudem Willi Geitmann.