27.05.2025 von SWYRL/Eric Leimann
Der fast schon dystopische "Tatort: Wir sind nicht zu fassen" zeigt Wien im Ausnahmezustand. Ein wütender Protestzug von Staatsgegnern will das Regierungsviertel stürmen. Die Gewalt eskaliert, ein Demonstrant stirbt. Bibi Fellner (Adele Neuhauser) und Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) ermitteln.
Der "Tatort: Wir sind nicht zu fassen" trägt einen doppeldeutigen Titel. Im neuen Fall von Bibi Fellner (Adele Neuhauser) und Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) finden die Ermittler den Spruch nach einer entgleisten Demonstration auf dem Asphalt. Flugblätter verbreiten die Botschaft: Wir sind nicht zu fassen! Auf dem Straßenpflaster liegt auch Jakob Volkmann (Tilman Tuppy), ein toter Demonstrant. Es stellt sich die Frage: Haben Polizisten vom genervten Einsatzkommando zu hart zugeschlagen, was die stark blutende Kopfwunde des Opfers erklärt? Oder sind andere für den Tod des Systemgegners verantwortlich?
Den Titel des neuen ORF-Krimis kann man auch anders verstehen. Wird die Frage gestellt, wer hier eigentlich gegen wen demonstriert und wofür genau? Sind es Linksautonome oder Rechtsextreme, die sich mit der Polizei schlagen? Wollen Schwurbler und Verschwörungstheoretiker den Staat abschaffen, um die ersehnte Freiheit des Einzelnen zu finden? Oder sind die Gegner eigentlich Faschisten, die das Ende des demokratischen Österreichs im Visier haben?
Bibi und Moritz geraten im politisch aufgeladenen Fall schnell zwischen die Fronten. Der naheliegende Verdacht, dass der tote Demonstrant einem Schlagstockeinsatz zum Opfer fiel, wird vom Einsatzleiter und seinen Leuten vehement bestritten. Ohnehin geht es innerhalb der Polizei ziemlich misstrauisch, ja fast feindlich zu.
Das Misstrauen in Eisners und Fellners Apparat unterscheidet sich kaum von jener Atmosphäre, in der die Polizisten unter Demonstranten ermitteln: Da wäre die junge Mutter Jessica Plattner (Julia Edtmeier), eine notorische Systemkritikerin und provokanter Dauergast bei den Wiener Demos. Warum verhielt sie sich während der Kundgebung auffällig aggressiv gegenüber der Polizei? Was treibt Aktivistin Katja Ralko (Julia Windischbauer) an, die wie eine linke Idealistin wirkt und das Opfer offenbar gut kannte? Und warum zur Hölle schreien sich die Menschen in diesem "Tatort" eigentlich die ganze Zeit an?
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Hauptsache gegen den Staat
Bibi, Moritz und ihre Assistentin Meret Schande (Christina Scherrer), die selbst während eines Einsatzes verletzt wurde, wissen zunächst nicht, welches Spiel die undurchsichtigen Lager und Agenten dieses Falls spielen. Da wäre zum einen der Staatsschutz, verkörpert vom Beamten Gerold Schubert (Dominik Warta), der offenbar eine eigene Agenda inmitten der Wiener Unruhen verfolgt. Dann sind da die Einsatzkräfte. Eigentlich sollen sie die Demokratie verteidigen. sehen sich aber als die Prügelknaben der Nation, was die jungen Beamten selbst politisch radikalisieren könnte. Schließlich schaut der Film in das heterogene Feld der Demonstranten selbst hinein: eine schwer zu durchschauende Menge wütender Menschen, deren unterschiedliche Motive Bbi und Moritz erst mal verstehen müssen.
In ihrer 36. Zusammenarbeit wirken Bibi Fellner und Moritz Eisner fast schon wie ein anachronistisches Ermittlerduo. Jene Ordnung, welche die erfahrenen Kriminaler gewohnheitsmäßig herstellen wollen, indem sie einen Mörder überführen - sie scheint in dieser Wiener Dystopie nicht mehr zu greifen. Es geht nicht mehr um Recht und Ordnung, ja noch nicht mal um Freiheit vs. staatliche Gängelung, es geht ums Phänomen, dass offenbar immer mehr Menschen die Autorität und Idee des Staates ablehnen. Sie träumen von einem anderen Leben. Einer "Alternative", die demokratiefeindliche Kreise für ihre Zwecke missbrauchen - weshalb die Fronten im "Tatort: Wir sind nicht zu fassen" bewusst mehrdeutig und schwammig verlaufen.
Die Uneindeutigkeit der politischen Gemengelage
Im Krimi von Autor und Regisseur Rupert Henning ("Tatort: Schock") wirken Eisner und Fellner wie die letzte Bastion der Vernunft und "alten Ordnung", die sich gegen eine neue, chaotische Zeit und Gesellschaft verteidigen muss. Rupert Henning, der ein sirenenheulendes und von rennenden Menschen zu Helikopter-Rotorengeräuschen bevölkertes Wien inszeniert, hätte seinen Schauplatz fast schon einem Zombie-Apokalypsefilm zu Verfügung stellen können. In dieser Stadt herrscht wenig Liebe und Vertrauen, die Menschlichkeit bleibt auf der Strecke, selbst wenn der Wiener an sich auch in dieser Situation mal den ein oder anderen Schmähspruch raushaut, den man in einem vergleichbaren deutschen Krimi wahrscheinlich unangebracht fände.
Henning spielt im "Tatort" auf verschiedene Staatskrisen der jüngeren Vergangenheit an: auf Anti-Coronamaßnahmen- und Demos gegen die Impfung oder auch gegen das "System", den Staat an sich; auf den versuchten Staatsstreich der Reichsbürger in Deutschland und natürlich auch auf den Schock, dass Österreich um ein Haar eine rechtsextreme Regierung bekommen hätte. Sein "Tatort: Wir sind nicht zu fassen" ist manchmal ein bisschen zu plakativ geschrieben. Dem ein oder anderen Dialog merkt man an, dass sich hier jemand allzu kluge Gedanken gemacht hat und etwas verkünden möchte. Dennoch hat der Genremix aus Politthriller, klassischer Ermittlung und Wiener Gesellschaftsdystopie durchaus seinen Reiz. Klug ist der Film immer dann, wenn er die Uneindeutigkeit der politischen Gemengelage inszeniert.