Podcast "Lanz & Precht"

Precht seziert verblüffend harmloses AfD-Programm, Lanz sieht den "Wolf im Schafspelz"

07.07.2023 von SWYRL

Wie umgehen mit der AfD und ihrem aktuellen Höhenflug in den Umfragen? Richard David Precht und Markus Lanz kritisierten in ihrem ZDF-Podcast etablierte Parteien und die Wortwahl von Jan Böhmermann. Precht hatte zur Vorbereitung das AfD-Programm erkenntnisreich studiert.

Treffsicher war der französische Fußballstar Eric Cantona nicht nur während seiner Karriere auf dem Platz (und manchmal auch per Karatetritt daneben). Zu rassistischen Entgleisungen auf Fußballtribünen gab das einstige Enfant terrible von Manchester United vor wenigen Jahren eine nicht minder zielgenaue Losung aus: "Mit Rassisten diskutieren, das ist, wie mit einer Taube Schach spielen: Es ist völlig egal, wie gut du bist - am Ende wird die Taube aufs Spielfeld kacken, alles umschmeißen und umherstolzieren, als hätte sie gewonnen."

Ein Sinnspruch, so klangvoll, dass man ihn immer zitieren kann. Markus Lanz ließ in der aktuellen Folge seines vom ZDF produzierten Podcasts "Lanz & Precht" die Gelegenheit nicht verstreichen. Der Diskussionshintergrund war allerdings keiner aus dem Sport. Lanz, der immer wieder auch AfD-Vertreter in seinen ZDF-Talk einlädt, wollte erörtern, ob es statthaft sei, Köpfen der deutschen Rechtsaußenpartei eine solch öffentlichkeitswirksame Plattform zu bieten.

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Precht: "Ich kann nicht sagen, wir grenzen eine Partei komplett aus"

Sein Gesprächspartner Richard David Precht war inhaltlich ganz bei Cantona - allerdings nur für den Fall, wenn es stimmen würde, dass jene 21 Prozent, die laut aktuellen Umfragen mit einer Stimmabgabe für die AfD sympathisieren, alle Rassisten wären. Das allerdings halte er "erst mal für eine gewagte Hypothese". Der Philosoph und Bestsellerautor schloss daraus: "Ich kann nicht sagen, wir grenzen eine Partei komplett aus. Außer ich weise eben nach, dass sie nur aus Nazis und Rassisten besteht."

Wiewohl die beiden Podcast-Teilnehmern an dieser Stelle keine sprachliche Trennschärfe zwischen Parteimitgliedern hier und potenzieller Wählerschaft dort herzustellen vermochten, forderte Lanz: Man müsse "versuchen, mit der Sprache wirklich präzise zu sein".

"Die Böhmermann-Aussage relativiert die Verbrechen des Dritten Reiches"

In dem Zusammenhang geißelte er einen unlängst abgesetzten Tweet von Jan Böhmermann, der an die ARD-Talkerin Sandra Maischberger gerichtet war. Nach einem Auftritt des AfD-Parteivorsitzenden Tino Chrupalla in der Sendung "maischberger" hatte der ZDF-Satiriker getwittert: "Sandra Maischberger lädt Nazis in ihre Talkshow ein, damit Nazis nach der Machtergreifung Sandra Maischberger auch (in) ihre Talkshow einladen."

Markus Lanz empörte sich über diese Wortwahl. "Wenn du einmal in Auschwitz warst, einmal in Birkenau warst, einmal mit Holocaustüberlebenden gesprochen hast, dann wirst du nie wieder leichtfertig sagen: 'Du bist ein Nazi', weil das alles verharmlost, was Nazis wirklich waren." AfD-Chef Chrupalla sei womöglich ein "Wolf im Schafspelz", der daherkomme "im Gewand des netten Handwerkermeisters", aber ein Nazi, das sei etwas ganz anderes.

Das fand auch Precht, der an seinen langjährigen Debattenwidersacher gerichtet urteilte: "Die Böhmermann-Aussage relativiert die Verbrechen des Dritten Reiches." Dann verrutschte wieder die Differenzierung zwischen Funktionär und Wähler. Es gebe viele Motive, die AfD zu wählen, meinte Precht, "diese Menschen kollektiv als Nazis abzustempeln, ist eine Verharmlosung dessen, was ein Nazi ist".

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Richard David Precht analysiert das AfD-Programm

Trittfester wurde es im weiteren Fortgang der Podcast-Folge. Richard David Precht hatte sich nämlich selbst die Aufgabe auferlegt, einmal das vollständige AfD-Programm durchzulesen. Ein Unternehmen mit durchaus verblüffenden Erkenntnissen. Dort finde sich nichts, das auf eine mögliche "feindliche Übernahme" des deutschen Rechtsstaats deute, nichts von einer Einschränkung der Pressefreiheit, nichts davon, die Gewaltenteilung außer Kraft zu setzen.

Stattdessen werbe die Partei in ihrer Grundsatzschrift für mehr direkte Demokratie, etwa durch Volksabstimmungen und die Direktwahl des Bundespräsidenten - allesamt keine dezidiert rechten Forderungen, wie Precht anmerkte. Auch die geforderte Reduktion des öffentlich-rechtlichen Rundfunks auf die Kernbereiche Nachrichten und Regionales sei keine Position, die "nur eins zu eins bei der AfD vorkommt".

Verblüfft stellte Precht fest, dass zum Thema Migration festgehalten sei, man wolle Fluchtursachen bekämpfen und sich in Afrika engagieren. Da die "Entwicklungshilfe" - laut Precht ein per se überholter Terminus - aber nur in funktionierenden Staaten stattfinden solle, wo keine Korruption die Bemühungen zunichtemache, könne das Ganze kaum aufgehen. "Aus den Ländern kommen die Migranten nicht."

"Das Parteiprogramm ist viel unschuldiger als das Personal"

Die EU, fuhr der Philosoph fort, wolle die AfD "auflösen und neu erfinden" als loser "Staatenbund". Der "rote Faden", den Precht in den Parteipositionen erkannte: "wieder mehr Autonomie für den Einzelnen". Und auf staatlicher Ebene: mehr Autonomie für Deutschland als Nation. In der Bildungspolitik wolle die Partei zurück zum Schulsystem der 60er- und 70er-Jahre. Der Bereich Klimapolitik sei dann allerdings ein "Ausflug nach Absurdistan", es werde bestritten, dass der Klimawandel menschengemacht sei, Wärmeperioden würden als fruchtbar verharmlost. Für Precht hat das mehr mit den Gebrüdern Grimm als der bedrohlichen Realität zu tun.

Dennoch resümierte er: "Wenn ich nur das Parteiprogramm lese, würde ich nicht sagen, das klingt wahnsinnig rechts. Da ist nichts Rassistisches in irgendeiner Form drin." Dann schränkte er ein: "Das Parteiprogramm ist viel unschuldiger als das Personal." Lanz bestätigte den Zwiespalt: "Dieses Programm ist eigentlich so, wie es daherkommt, harmlos, und es ist genau so intendiert. Das ist 'Wolf im Schafspelz' - kann man nicht anders sagen."

Auch Precht fand, man kriege im Kopf "das Parteiprogramm auf der einen Seite und das Personal auf der anderen Seite erst mal gar nicht zusammen". Man müsse jedoch eher davon ausgehen, dass ein Regierender der AfD das einlöse, "was ihr handelndes Personal verspricht, als das, was im Parteiprogramm steht".

Lanz: "Unser ganzes System, diese ganze Demokratie ist sehr, sehr fragil"

"Das wahre Parteiprogramm der AfD", warf Markus Lanz ein, sei "das Spiel mit der Angst". Precht ergänzte, die AfD verstehe es darüber hinaus, ihren Wählern zu schmeicheln: "Erst verbreitet man eine Riesenangst, und dann erzählt man jedem Volltrottel noch, dass er genau alles richtig erkannt hat." Spannender wäre es, "wenn es um Lösungen ginge. Aber das scheint die Wähler nicht zu interessieren."

Eine eindringliche Warnung formulierte Precht indes an die etablierten Parteien gerichtet. Die dürften die Belange gerade der ländlichen Bevölkerung nicht weiter ignorieren und dem AfD-Höhenflug im Duktus des Ressentiments begegnen. "Ist es denn nicht richtig, dass viele europäische Regelungen bis viel zu tief in die regionale Ebene hineingehen?", fragte der Philosophie-Talk-Gastgeber ("Precht", ZDF) rhetorisch. "Brauchen wir nicht viel mehr regionale Autonomie?" Das sei ein legitimer Gedanke. "Wieso muss man Menschen, die das Bedürfnis haben, der AfD zutreiben? Diese Frage müssen sich die etablierten Parteien ganz deutlich stellen."

Die Dringlichkeit dafür scheint gegeben. Nach einem abschließenden Exkurs über die Verwundbarkeit von Justiz und Medien in autoritären Regimen hielt Markus Lanz fest: "Unser ganzes System, diese ganze Demokratie ist sehr, sehr fragil."

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