Nach uns der Rest der Welt - Mi. 04.10. - ARD: 20.15 Uhr

Liebe, Sex und Behinderung: Dieses Jugenddrama rührt an

01.10.2023 von SWYRL/Eric Leimann

Ein schwerkranker 16-Jähriger mit Duchenne-Muskeldystrophie verliebt sich in seine schöne Mitschülerin. Aber haben der Außenseiter im Rollstuhl und die scheinbar perfekte Arzttochter eine Chance? Das starke Jugenddrama erzählt ein Tabu und ist doch ein Film von wunderbarer Leichtigkeit.

Menschen mit Einschränkungen freuen sich normalerweise weder über fiktionales Mitleid noch übers Vorgeführtwerden - und sei die Intention der Macherinnen und Macher noch so "gut gedacht". Ein Beispiel dafür, wie sich solche Stoffe auch noch das Prädikat "gut gemacht" (und deutlich mehr) verdienen, ist der ARD-Mittwochsfilm "Nach uns der Rest der Welt". Der 16-jährige Jonas (bärenstark: Julias Gause) ist ein hochintelligenter, aber rebellischer Jugendlicher, der im Rollstuhl sitzt. Die Lebenserwartung des Duchenne-Muskeldystrophie-Patienten ist nicht sehr hoch. Die Erkrankung verschlechtert sich chronisch, Einschränkungen der Lebensqualität nehmen immer weiter zu.

Jonas' alleinerziehende Mutter (Anneke Kim Sarnau), die zwei Jobs hat, um ihrem Jungen Therapien zu finanzieren, musste mal wieder die Stadt wechseln, weil Jonas auf einer Schule nicht klar kam. Nun sind Mutter und Sohn in Stuttgart gelandet. An seiner neuen Schule fällt Jonas die schöne Emily (Lina Hüesker) ins Auge, zufälligerweise auch die Tochter seiner - ebenfalls alleinerziehenden - Ärztin Dr. Wildenhahn (Sophie von Kessel). Nach anfänglicher Abneigung, wie es sich für ein "Highschooldrama" gehört, finden die beiden ungleichen Jugendlichen Gefallen aneinander. Emily hat ebenfalls Probleme, von denen ihre Mutter und andere Mitschüler nichts ahnen. Doch in Jonas findet sie nicht nur einen Seelenverwandten, sondern man findet sich auch körperlich anziehend. Aber kann eine solche Liebe gutgehen?

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"Asymetrische" Liebe als Tabu?

"Schon länger hat mich die Frage beschäftigt, warum es eigentlich so gut wie keine Filme gibt, in denen Behinderte als Liebende gezeigt werden", erzählt Autorin und Regisseurin Franziska Buch. "Und schon gar keine, in denen die Sexualität Behinderter eine Rolle spielt." Die erfahrene Filmemacherin ("Tatort: Das verschwundene Kind") nimmt sich in diesem sehr sehenswerten ARD-Mittwochsfilm eines "heiklen" Themas an. "Findet diese sexuelle Liebe dann auch noch zwischen einer schwerbehinderten und einer nicht behinderten Person statt, kommen wir schon in den Bereich eines gesellschaftlichen Tabus", sagt sie. Eine große Leistung des 90-Minüters über eine "besondere" junge Liebe und gestresste Erwachsene ist die Leichtigkeit und gleichzeitige Tiefe, mit der das Drama erzählt. Man leidet mit allen Figuren irgendwie mit, freut sich aber auch immer wieder über Inseln der Freude in ihrem Leben. Eigentlich eines der größten Komplimente, die man fiktionalen Stoffen machen kann.

Natürlich liegen Faszination und Anziehungskraft von "Nach uns der Rest der Welt" neben dem guten Drehbuch und der einfühlsamen Regie an den starken Darstellerinnen und Darstellern, die das Stück mit Leben füllen. Dass Könner wie Anneke Kim Sarnau, Sophie von Kessel oder Florian Stetter die Eltern- und Lehrergeneration verkörpern, tut dem Film schon mal sehr gut. Dass mit Julius Gause und der ehemaligen Kinderdarstellerin Lina Hüesker ("Hilfe, ich hab meine Lehrerin geschrumpft") auch ein bärenstarkes "Liebespaar" die Nöte und Sorgen 16-Jähriger verkörpert, die sich besonderen Herausforderungen stellen müssen, ist dann die Sahne auf der Torte eines der bislang besten Fernsehspiele in der noch jungen TV-Saison 2023/24.

Sind Filme zu teuer für Inklusion?

Filmemacherin Franziska Buch, die seit gut 20 Jahren auch die Drehbuchabteilung der Filmakademie Baden-Württemberg leitet, äußerte sich auch zur Frage, warum sie die Rolle des Jonas nicht im Sinne der Inklusion mit einem echten Duchenne-Muskeldystrophie-Patienten besetzte. "Diese Erkrankung ist so schwerwiegend und häufig auch so schmerzhaft", sagt sie, "dass auch nur der Bruchteil eines Drehtages für diese Menschen kräftemäßig nicht zu bewältigen ist. Zugleich verunmöglichen die Bedingungen und Budgets, mit denen wir heutzutage Filme machen, einen Rahmen, in dem an eine Arbeit mit Schwerbehinderten überhaupt nur zu denken ist."

Letzteres darf durchaus als Kritik am "System Film" verstanden werden, in dem gegenwärtig noch sehr wenig Raum für Inklusion ist. Zeit ist (viel) Geld - daher arbeitet Film gerne mit Menschen ohne Beeinträchtigung. Ein Umstand, über den Produzenten und ihre Auftraggeber durchaus mal nachdenken dürfen.

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