Trauer um legendären Sportmoderator

"Meister der Sprache, Meister der Pausen": Erinnerungen an "Mr. Sportschau" Ernst Huberty

25.04.2023 von SWYRL/Frank Rauscher

"Schnellinger ... Ausgerechnet Schnellinger": Auch daran erinnert man sich, wenn man an Ernst Huberty denkt. Nun ist der legendäre "Sportschau"-Mann im Alter von 96 Jahren verstorben. Zeit, sich an eine Fernseh-Ära zu erinnern, die heute von vielen belächelt wird - zu Unrecht!

Es war der 17. Juni 1970: Im WM-Halbfinalspiel Deutschland gegen Italien im Aztekenstadion von Mexiko-Stadt steht es vor über 100.000 Zuschauern und vielen Millionen Fans, die daheim am Fernseher mitfiebern, 0:1. Es läuft bereits die 91. Minute, dann flankt Jürgen Grabowski von links, Karl-Heinz Schnellinger grätscht mit rechts: 1:1. Und was tat der ARD-Reporter in diesem geschichtsträchtigen Moment? Ernst Huberty brüllte nicht, er sang nicht, er atmete noch nicht einmal auffällig hektisch, sondern er sprach ganz dezidiert und sachlich die Worte: "Schnellinger ... Ausgerechnet Schnellinger." - Mehr brauchte es nicht. 16 Jahre nach dem "Wunder von Bern" und fast zwei Jahrzehnte vor der Neuerfindung der Fußballberichterstattung im deutschen Privatfernsehen waren am knarzigen Livemikro noch die Präzisionsarbeiter gefragt, und Ernst Huberty war zweifellos einer ihrer besten. Am 24. April ist der legendäre Fernsehmann gestorben. Er wurde 96 Jahre alt.

"Wir nehmen traurig Abschied von Ernst Huberty. Als 'Mr. Sportschau', wie ihn das Publikum liebevoll nannte, hat er als erster Moderator diese Sendung entscheidend geprägt: wohltuend unaufgeregt und mit großer Seriosität", ließ sich WDR-Intendant Tom Buhrow am Montagabend zitieren. "Ernst Huberty bleibt uns allen nicht nur als Moderator der Sportschau, sondern auch als Sportreporter-Legende ewig in Erinnerung."

Ernst Hubertys Ableben ist auch ein Anlass, auf diese Ära zurückzublicken und spannende Vergleiche zu ziehen. Was ist dem Fußballsport eigentlich angemessener: das mithin Grimmepreis-trächtige Schwadronieren und Emotionalisieren heutiger Tage oder die hochseriöse, nüchterne Herangehensweise von damals?

"Schnellinger ... Ausgerechnet Schnellinger." - Unter dem Titel "Mr. Sportschau wird 90 - Eine Hommage an Ernst Huberty" gratulierte der ehemalige ARD-"Sportschau"-Chef Steffen Simon dem Altvorderen vor sechs Jahren mit einem Porträt, in dem jenes, soll man sagen Bonmot von 1970 nicht nur einmal rezitiert wird. Denn immerhin: Was damals eine wohlfeile Anspielung darauf war, dass eben jener Kultverteidiger namens Schnellinger seit Jahren in Italien spielte, wurde fast ebenso berühmt wie das "Jahrhundertspiel" selbst (das die Italiener mit 4:3 nach Verlängerung gewannen). Der Film von Simon und Marc Schlömer, unter dem Titel "Ernst Huberty - die große Karriere des "Mr. Sportschau" auch in der ARD-Mediathek zu finden, ist jedoch mitnichten ein Stück nur für TV-Nostalgiker.

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Reinhold Beckmann: "Für uns alle ein Vorbild"

Auch für den hippen Sky- und noch hipperen DAZN-Zuschauer dürfte diese Lektion von Interesse sein. Denn was bei all der aus heutiger Sicht nachvollziehbaren Kritik an der alten Über-Sachlichkeit, was bei all dem Lächeln über die Ernst Hubertys, Eberhard Stanjeks, Addi Furlers oder Werner Zimmers der 60er- und 70er-Jahre nicht vergessen werden darf: Das Handwerk der Reporterlegenden legte die Basis für das launige Fußballshowfernsehen von heute. Nicht umsonst war Huberty in den frühen 90er-Jahren noch vom Pay-TV-Vorreiter Premiere engagiert worden und auch danach noch jahrelang als Coach für den Kommentatoren- und Moderatorennachwuchs gefragt. Reinhold Beckmann nennt ihn in Simons Film einen "Meister der Sprache, Meister der Pausen" und natürlich "für uns alle ein Vorbild", für Oliver Welke ist Huberty nichts weniger als die "Fleisch gewordene 'Sportschau'", und Steffen Simon selbst sagt es seinem Freund gleich persönlich: "Ernst, es ist ein großes Geschenk, dich kennen zu dürfen!"

Einer seiner prominentesten Schüler ist heute Intendant des Westdeutschen Rundfunks. Tom Buhrow erinnert sich mit dankbarer Anerkennung an einen essenziellen Rat Hubertys: "Sie arbeiten nicht in einem Fernsehstudio, sie arbeiten in einem Wohnzimmer", habe ihm der Lehrmeister erklärt - denn die einzig entscheidende Frage sei doch: "Schaffen Sie es, aus diesem Kasten in das Wohnzimmer der Menschen zu kommen oder nicht?" Mehr muss über Anspruch und Selbstverständnis der "Sportschau"-Legende im Grunde nicht gesagt werden. Schließlich hatte die "Sportschau" einst eine Resonanz erzeugt, von der sämtliche Sportformate heute nicht nur ein paar Jahrzehnte, sondern Lichtjahre entfernt scheinen.

In den 60er- und frühen 70er-Jahren sahen im Schnitt 15 Millionen Zuschauer die "Sportschau" im Ersten. Ein Straßenfeger - und das, obwohl lediglich von drei ausgewählten Partien des Spieltags Bewegtbilder gezeigt wurden und die Zuschauer eher nicht mit dem neuesten Kicker-Gossip, sondern beispielsweise mit den nackten Zahlen des "Rennquintetts" verwöhnt wurden ... Huberty, der Moderator der ersten Stunde, der zwischen 1961 und 1982 auf unnachahmliche Weise die Zuschauer zur "Spochtschau" begrüßt hatte, war definitiv ein Star - auch wenn er sich damals gar nicht so fühlte, wie er durchblicken ließ. Schon gar nicht "von der finanziellen Seite her", denn da, so lächelte der Jubilar altersmilde in die WDR-Kamera, "konnte man überhaupt kein Star-Gefühl haben".

"Wenn Sie jemals ein echtes Müller-Tor gesehen haben ..."

Und wie war das nun mit dem Schnellinger-Kommentar von 1970? - Er hätte damals "auch schreien können", sagte Huberty. Aber er habe ganz bewusst so dosiert kommentiert, weil er "die Zuschauer feiern lassen" wollte. Überhaupt, so befand er, dürfe man als Kommentator sein Publikum nicht "entmündigen", indem man zu viel erklärt ... Der fachkundige Zuschauer könne selbst erkennen, wie eine Partie gerade läuft. Im Jahrhundertspiel in Mexiko-City ließ er sich während der Verlängerung aber gleich noch zu einem zweiten knochentrocken vorgetragenen Satz für die Ewigkeit hinreißen: "Wenn Sie jemals ein echtes Müller-Tor gesehen haben, dann jetzt!" Spätestens hier staunt manch Jüngerer vielleicht doch: So ein trefflicher Augenzwinkerkommentar könnte auch einem Wolff-Christoph Fuss über die Lippen kommen.

Solides Handwerk und der Genius des Spontanen - dieses Geschäft lebt nun mal seit jeher von der Kombination dieser Grundvoraussetzungen. Ernst Huberty durfte man in dieser Hinsicht getrost als Bindeglied zwischen gelebter TV-Tradition und gleißender Fernsehmoderne verorten.

Der heute längst etablierte Alexander Bommes erinnert sich im WDR-Film an sein erstes Coaching bei Ernst Huberty. "Wenn ich Sie reden höre, höre ich das Papier knistern", habe Huberty nach seiner ersten Sendung gemeckert. Der Ertappte bekennt nun, er wusste sofort, dass Huberty Recht hatte. "Ich hatte alles auswendig gelernt. Und er wusste zu jeder Sekunde, wie ich mich in der Sendung gefühlt habe." Wohl dem, der von den Richtigen lernt, ist man da geneigt zu sagen. Oder, wie es der WDR über den Mann, der am 4. Juni 1961 die allererste Sportschau moderierte, formulierte: "Ernst Hubertys Einfluss ist bis heute allgegenwärtig."

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