Interview zum Start im ZDF

"Irgendjemand am Set hat immer geweint": Katja Riemann über Suizid-Serie "RESET"

07.03.2024 von SWYRL/Eric Leimann

In der starken Zeitreiseserie "RESET - Wie weit willst du gehen?" (ZDF) spielt Katja Riemann eine Mutter, die im Vorfeld der Tat den Suizid ihrer 15-jährigen Tochter verhindern will. Doch würde man tatsächlich die eigene Vergangenheit ändern wollen - und was würde man dabei verlieren?

In der sechsteiligen Miniserie "RESET - Wie weit willst du gehen?" (Montag, 11. März, 20.15 Uhr, ZDF oder ab 7. März in der Mediathek) spielt Katja Riemann eine Mutter und erfolgreiche TV-Journalistin, deren 15-jährige Tochter sich das Leben nimmt. Dann bekommt sie von einer obskuren Organisation die Möglichkeit zur Zeitreise - und möchte nun die Geschicke ihrer vierköpfigen Familie ändern. Die deutsche Adaption einer frankokanadischen Serienidee hätte durchaus in die Hose gehen können. Die deutsche Variante der Erzählung, für die das ZDF drei Primetime-Abende freiräumte, erweist sich jedoch als hochemotionales, kluges Gedankenspiel über die wichtigen Dinge des Lebens. Im Interview spricht Katja Riemann, 60, über den Blick auf die eigene Vergangenheit, über Lasten, die auf der heutigen Jugend liegen, und sie erklärt, warum sie im Gegensatz zu den meisten anderen, die an der Serie beteiligt waren, immer noch durch die Zeit reisen würde.

teleschau: Sie haben das Zeitreisen während der Dreharbeiten zur Serie sicher im Team diskutiert. Wie war dort die Meinung? Würden das viele machen, um ihr früheres Leben zu ändern?

Katja Riemann: Ja, da wurde häufig drüber gesprochen. Wir haben ja fast vier Monate gedreht. Darunter waren sechs oder sieben Wochen, die wir in einem Haus, dem Wohnort der Familie, an einem Ort verbrachten. Es gab also viel Zeit zum Nachdenken. Ich fand es auch sehr berührend, denn das Thema der Serie, dass eine geliebte Person gestorben ist und man sie im Nachhinein retten möchte - es hat bei fast allen etwas ausgelöst. Irgendjemand am Set hat immer geweint. Doch im Laufe der Zeit haben immer mehr Personen in der Crew von der Idee Zeitreise Abstand genommen.

teleschau: Warum, glauben Sie, war das so?

Katja Riemann: Die Konsequenzen des Gedankenspiels Zeitreise entfalten sich im Laufe der Serie immer mehr - und das eben nicht nur mit positiven Konsequenzen. Es ist eben ein Eingriff ins Schicksal. Doch wenn Sie mich fragen: Ich würde weiterhin reisen.

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"Gibt es auch Dinge, die zwangsläufig passieren?"

teleschau: Um was genau zu verändern?

Katja Riemann: Konkret kann ich Ihnen das leider nicht erzählen, weil es mir zu persönlich wäre. Nur so viel: Die Vorstellung, mit dem Bewusstsein von heute in die Vergangenheit zu reisen, fände ich schon reizvoll. Mein Umgang mit bestimmten Situationen wäre anders. Ich könnte vieles besser einschätzen. Vielleicht lege ich mir mit der Zeitreise auch ein Ei ins Nest, aber erst mal fände ich das ziemlich interessant.

teleschau: Dinge in der Vergangenheit ändern zu können, hieße auch, dass man etwas in der Gegenwart verlieren würde ...

Katja Riemann: Das ist richtig. Meine Figur gibt per Zeitreise ihren Beruf und die Karriere auf, um sich um ihre Tochter zu kümmern, die sich später umbringt oder sich umgebracht hätte. Trotzdem zeigt die Serie, dass auch dieser Weg nicht so einfach wäre. Sind wir gute Eltern, wenn wir unsere Träume und Leidenschaften aufgeben, um uns voll um die Kinder zu kümmern? Sind wir dann wirklich bessere Eltern? Oder gibt es auch Dinge, die zwangsläufig passieren, die sich gar nicht verhindern lassen?

teleschau: Sie wollen auf die philosophische Frage hinaus, ob manche Dinge vorbestimmt sind? Dass gewisse Dinge passieren - egal, wie man sich verhält?

Katja Riemann: Für mich geht es vor allem um Achtsamkeit. Wenn man sich fragt: Ist eine Depression vorbestimmt oder ließe sie sich verhindern, finde ich in manchen Biografien keine klare Antwort darauf. Das nur als Beispiel für viele andere, ähnliche Fragen. Was unsere Serie aber schafft, ist ein Bewusstsein dafür, dass es wichtig ist, uns um uns selbst und unsere Mitmenschen zu kümmern. Irgendwann könnte es nämlich zu spät sein.

"Ich war selbst Mobbing-Opfer"

teleschau: Eine Psychologin hat die Dreharbeiten begleitet. Hatten Sie Angst bei einer Serie, die den Suizid einer Jugendlichen thematisiert, Sie könnten zur Nachahmung anregen?

Katja Riemann: Die Beratung lief so ab, dass wir keine Trigger-Punkte liefern wollten. Es ging zum Beispiel um die Formulierung der Abschiedsbotschaft. Da meinte die Psychologin, diese sollte besser anders formuliert werden. Es gibt immer mehr junge Menschen, die psychische Probleme haben, die selbstzerstörerisch denken und handeln. Die Zahlen und mein persönliches Umfeld sprechen für einen klaren, traurigen Trend. Ich kenne tatsächlich viele Leute, die für ihre Kinder keinen Therapieplatz bekommen, weil der Bedarf das Angebot derzeit deutlich übertrifft. Hier müsste dringend etwas passieren!

teleschau: Haben Sie eine Erklärung dafür?

Katja Riemann: Es wäre anmaßend, wenn ich das behaupten würde - denn ich bin heute nicht mehr jung. Ich rede mit meiner Tochter, die aber schon 30 ist, öfter über das Thema. Sie sagt, dass sie froh ist, ein bisschen älter zu sein und das verpasst zu haben, was heute normal ist. Als sie Teenagerin war, gab es nur "schülerVZ". Dann kamen Facebook und all die anderen Sozialen Netzwerke, die heute unser Miteinander bestimmen. Von meiner Tochter gibt es nur ein paar Papierfotos vor dem zwölften Lebensjahr. Erst danach kam die digitale Bilderflut. Heute hat man schon die ersten 1.000 Foto von seinem Kind gemacht, wenn es erst wenige Wochen alt ist.

teleschau: Also war früher alles entspannter?

Katja Riemann: Leid, Druck und Unglück gab es zu jeder Zeit. Mir fällt nur auf, dass junge Leute heute mit viel Material klarkommen müssen, das irgendwie verdaut werden will. Es gibt so viele Reize, die direkt zu uns nach Hause kommen. Ich war selbst Mobbing-Opfer zu einem Zeitpunkt, als es noch keinen Namen dafür gab. Das ging bis zur neunten Klasse, und damals dachte ich, man wäre selbst verantwortlich dafür, wenn andere beschlossen haben, einen zu quälen. Mobbing gab es damals logischerweise nur in der analogen Welt. Mittlerweile existieren so viele Multiplikationsmöglichkeiten für Mobbing-Verhalten, dass man sich leicht vorstellen kann: dass jedenfalls das Problem heute ein größeres sein dürfte als damals.

"Ich habe einfach wahnsinniges Glück mit meinem Kind"

teleschau: Aber haben Soziale Netzwerke nicht auch ihr Gutes? Zum Beispiel ist es einfacher für einsame oder schüchterne Menschen, jemanden zu finden ...

Katja Riemann: Ich wollte gar nicht wettern gegen Soziale Medien. Sie nutzen mir beispielsweise sehr, wenn ich als Autorin Werbung für meine Lesungen mache. Viele meiner humanitären Reisen habe ich auf diese Weise recherchiert und internationale Projekte darüber gefunden. Es gibt noch andere Gründe, warum Jugendliche heute so gefordert sind. Wir haben die sogenannten parallelen Krisen: Krieg, Hass in der Gesellschaft, Klima und Umweltzerstörung, Corona. Das ist schon ein ziemliches Brett, so insgesamt. Warum sollten Kinder und Jugendliche diese Sorgen nicht auch spüren?

teleschau: Wie ängstlich waren Sie als Mutter bei Ihrer eigenen Tochter?

Katja Riemann: Ich hatte immer ganz viel Vertrauen in mein Kind. Wir haben alles besprochen. Es war mir stets wichtig, dass meine Tochter mich anruft, wenn es ihr schlecht geht. Egal, wie spät es ist, und egal in welchem Zustand. Das ist bis heute so. Ich bin sehr dankbar dafür, dass es so gut funktioniert bei uns, denn es zeigt, dass Vertrauen da ist. Ich weiß aber auch nicht, was wir dafür getan haben. Es gibt solche und solche Kinder. Ich habe einfach wahnsinniges Glück mit meinem Kind, denke ich oft.

teleschau: Wann kann man sicher sein, dass mit dem Aufwachsen alles gut gegangen ist?

Katja Riemann: Es gibt kein Lebensalter, in dem die Sorge ums eigene Kind aufhört. Sie begleitet einen das ganze Leben. Keine Mutter und kein Vater weiß, wie das Kind auf den ersten Liebeskummer reagiert. Da kann man vielleicht nur noch daneben sitzen, Taschentücher reichen und Tee kochen. Unser Einfluss als Eltern ist irgendwann begrenzt. Und doch ist man ein Leben lang verbunden - und man sollte sich umeinander kümmern.

"1978 ging es uns nicht so schlecht"

teleschau: Noch mal zurück zur Zeitreise. Glauben Sie wirklich, dass wir unser altes Leben mit dem Wissen von heute besser leben würden?

Katja Riemann: Es ist ein theoretisches Modell. Nicht nur deshalb, weil es bisher keine Zeitreisen gibt, soweit ich weiß, sondern auch deshalb, weil unsere Vergangenheit ein komplexes Gebilde ist. Viele Dinge kommen von außen in unser Leben. Wenn ich mich an mein bisheriges Leben erinnere, sind dramatische Ereignisse oft einfach so passiert. Ich hätte daran gar nichts ändern können. Immerhin hätten wir per Zeitriese kollektiv die Möglichkeit, den Lauf der Welt zu verändern.

teleschau: In welche Richtung?

Katja Riemann: Ich denke da an das Buch von Ulrike Herrmann, "Das Ende des Kapitalismus". Darin beschreibt sie sehr anschaulich, dass Wachstum, wie es der Kapitalismus nun mal benötigt, und unser Überleben nicht gleichzeitig möglich sind. Es gibt kein "grünes Wachstum", sondern nur "grünes Schrumpfen". Konkret müssten wir zum westdeutschen Lebensstandard des Jahres 1978 zurückkehren. Dann kämen die Erde und wir miteinander klar. Das wäre dann eine andere Art Zeitreise, aber eine, die ich gar nicht so schlimm fände. 1978 ging es uns nicht so schlecht. Statt fünfmal pro Jahr nach Malle zu jetten, würden wir dann vielleicht nur einmal im Jahr für vier Wochen nach Italien fahren. Das hätte auch etwas Entschleunigendes.

teleschau: Was tun Sie selbst für die Entschleunigung?

Katja Riemann: Ich beschäftige mich mit tibetisch-buddhistischer Meditation, die interessanterweise sehr nah dran ist an den modernen Neurowissenschaften. Sam Harris ist ein Autor, Wissenschaftler, Podcaster und Praktizierender, von dem ich dazu viel lerne.

teleschau: Und was machen Sie als Nächstes?

Katja Riemann: Ich habe ein neues Buch geschrieben: "Zeit der Zäune: Orte der Flucht". Damit gehe ich auf Lesereise, auf die ich mich sehr freue.

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