"Was läuft schief in Deutschland?"

Bürokratisch, ängstlich, überaltert: In Kloeppels Deutschland-Doku ist der Stillstand mit Händen zu greifen

11.01.2024 von SWYRL/Eric Leimann

90 Netto-Minuten dauerte Peter Kloeppels Bestandsaufnahme "Durchleuchtet: Was läuft schief in Deutschland?" am Donnerstagabend bei RTL. Darin erfuhr man, dass unsere Probleme in drei Bereichen liegen: Arbeitskräftemangel, Bürokratie und schlechte Infrastruktur. Sind wir schon verloren?

Schon im Sommer untersuchten Peter Kloeppel und sein RTL-Team in ihrer ersten langen Reportage unter dem Titel "Durchleuchtet" ein gesellschaftliches Ärgernis: die Deutsche Bahn. Mit anschaulichen Beiträgen zu verschiedenen Problembereichen - die fast immer mit Vor-Ort Reportagen dicht bei den Menschen waren - gelang das ziemlich gut, sodass man wirklich den Eindruck hatte: "Aha, jetzt weiß ich, warum auf meinen Reisen so viel Chaos herrscht".

In Ausgabe zwei mit dem Titel "Durchleuchtet: Was läuft schief in Deutschland?" wird der Fokus nun noch deutlich weiter. Es geht in der am Donnerstagabend ausgestrahlten Doku um das allgemeine Gefühl des Stillstands im Land. Dafür wurden drei Problembereiche ausgemacht: Personalknappheit, Bürokratie und Vorschriften sowie Stillstand bei Infrastruktur (Straßen, Brücken) und Digitalisierung.

Die längste Sendestrecke widmet sich dem Fachkräftemangel, wofür man sich als Anschauungsort die 34.000-Einwohnerstadt Korschenbroich wählte. Hier absolviert Reporter Thorsten Schorn "Praktika" bei Handwerkern: einem Heizungstechniker, einem Fleischer und im Service eines Landgasthofes. Alle Bereiche haben Probleme Arbeitskräfte zu finden. Warum? Weil die Babyboomer in Rente gehen.

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Deutsche Kunden warten im Schnitt 12,5 Wochen auf Sanitärtermin

In den kommenden 15 Jahren hören 12,9 Millionen Erwärbstätige auf zu arbeiten. Die Zahl der Sanitärfachkräfte ist laut RTL in den letzten zehn Jahren um 9,4 Prozent geschrumpft. 12,5 Wochen warten deutsche Kunden im Durchschnitt auf einen Sanitärtermin. Der Betrieb im Film findet trotz bester Auftragslage keinen Nachwuchs. Dabei wird gerade in diesem Bereich sehr gut bezahlt. Mit 5.000 bis 6.000 Euro netto kann ein Meister am Monatsende nach Hause gehen, schätzt der gezeigte Unternehmer.

Thorsten Schorns nächste Station ist ein Fleischereibetrieb, der durch einen fiesen Arbeitsbeginn um drei Uhr morgens "glänzt". "Hier kriegt jeder eine Chance", erzählt der alte Inhaber des Familienbetriebes vor der RTL-Kamera. Immerhin kann er sich über einen Praktikanten freuen, der sich auch für eine Leerstelle interessiert.

Ähnlich angespannt sieht es im Liedberger Landgasthaus aus, einem alteingesessenen Gastronomiebetrieb. Die Chefin hier hat einen zweiten Ruhetag eingeführt, da sie die Gäste wegen Personalmangels nicht mehr bedienen kann: "Ein dritter Ruhetag wäre wirtschaftlich nicht mehr tragbar." Allein in NRW sind während Corona 12.000 Gastro-Beschäftigte gegangen, vor allem Köche fehlen. Die bundesweite Top 3 der gesuchten Arbeitskräfte lautet jedoch: 3. Sanitär, 2. Zahnarzthelferinnen, 1. Pflegekräfte.

Problem Personalmangel: Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich?

Neben der Demografie hat das deutsche Handwerk wohl auch ein Imageproblem, wie es mehrere Stimmen im Film andeuten. Die jungen Leute wollen lieber studieren oder Jobs, die körperlich nicht so anstrengend sind, wie man es bei einem Handwerker vermutet. Eine Malerin aus der Region Korschenbroich macht vor, wie man derlei Probleme kreativ löst: Sie führte eine attraktive Vier-Tage-Woche ein, in der ihre Mitarbeitenden pro Tag neun Stunden malen und lackieren. Macht 36 Stunden bei vollem Lohnausgleich. Das Ergebnis: 20 Angestellte, weniger Krankenstand, zwei bis drei neue Bewerbungen pro Monat.

Auch eine weit verbreitete Meinung wurde im Film unter die Lupe genommen: Lohnt es sich überhaupt noch zu arbeiten oder bekommt man genauso viel, wenn man von Bürgergeld (früher: Hartz IV) lebt? Das Ergebnis der RTL-Recherche ist nicht ganz eindeutig, Peter Kloeppel fasst es wie folgt zusammen: "In unserem Beispiel steht eine Familie mit zwei Kindern, in der nur ein Elternteil mit Mindestlohn arbeitet, immer noch etwa 500 Euro besser da, als eine Familie, in der beide Eltern Bürgergeld beziehen. Diese Differenz kann jedoch kleiner werden, wenn man bestimmte Zulagen ausreizt. Das System ist sicher nicht perfekt."

Problem Bürokratie: Vor 20 Jahren brauchte man zwei Gutachten, heute sieben

Ziemlich "unperfekt" im Sinne der Effizienz arbeitet mittlerweile unsere Bürokratie. Ein junger Unternehmer aus Mecklenburg-Vorpommern hat Probleme, eine neue Produktionshalle genehmigt zu bekommen. Für das nötige Verfahren brauchte man vor 20 Jahren noch zwei Gutachten, heute sind es sieben! Anderthalb Jahre brauchen deutsche Behörden im Schnitt, bis sie alle Unterlagen für ein solches Projekt zusammen haben und bearbeitet bekommen.

Die Bürokratieforscherin Sabine Kuhlmann bringt das Phänomen so auf den Punkt: "Es herrscht vor allem die Angst, etwas falsch zu machen. Die Verwaltungen wollen alles gerichtsfest machen und nicht angreifbar zu sein. Die Angst regiert, dass etwas schieflaufen könnte." Der Abbau von Bürokratie fällt vor allem den Deutschen schwer. Peter Kloeppel dazu: "Es hat auch mit der Psychologie der Deutschen zu tun, die eben alles ganz genau machen wollen. Wir Deutschen hassen Fehler."

Problem Infrastruktur: Was macht Estland besser?

Bliebe die miese Infrastruktur, zu der nicht nur schlechte Straßen, marode Brücken und eine ebensolche Bahn gehören, sondern auch die fehlende Digitalisierung. Deutschland belegt in dieser Disziplin nur Platz 18 von 27 EU-Staaten.

Ein Beispiel aus Estland, das übrigens auch exzellente Pisa-Zahlen vorweist, zeigt im Film, wie es besser geht: Jeder Este und jede Estin besitzt eine Karte, auf der alle persönlichen Daten zusammengefasst werden. Sie dient als Ausweis, Führerschein und Krankenversicherung. E-Rezepte gibt es hier übrigens schon sehr lange. Durch den hohen Grad der Digitalisierung laufen in Estland "Amtsgänge" und Verwaltungsprozesse rasend schnell ab. Der Bedarf an Kindergartenplätzen oder Lehrern wird automatisch erfasst und zentral geplant. Dinge, die in Deutschland allein aus Datenschutzgründen schwierig bis unmöglich erscheinen.

Natürlich haben die drei Problembereiche miteinander zu tun: So behindert unsere Bürokratie die Zuwanderung und den Einstieg dringend benötigter Arbeitskräfte. Dazu kommt eine schlechte Willkommenskultur. RTL veröffentlicht Zahlen aus dem Gesundheitswesen: 2035 könnten 1,8 Millionen Stellen nicht mehr besetzt werden. Dabei verlassen schon jetzt 25 Prozent der Zuwanderer Deutschland wieder, weil Berufsabschlüsse nicht anerkannt werden. 50 Prozent haben Probleme, sich allein in der Bürokratie zurechtzufinden. 51 Prozent klagen über Diskriminierung.

Peter Kloeppel: "Wir müssen alle mutiger werden"

Ein Beispiel aus Göttingen, wo das Uni-Klinikum dringend Pflegekräfte suchte, zeigt, wie es besser geht. Dort kümmern sich Mitarbeitende so intensiv um neue Arbeitskräfte aus anderen Ländern, dass die sich gut aufgehoben fühlen und eine hohe "Bleibequote" herrscht.

Zum Abschluss gibt es dann noch ein Beispiel, wie Arbeitskräftemangel durch "Digitalisierung" abgefedert werden kann: In einem Altersheim führt ein Roboter die Krankengymnastik der Senioren durch. Ein Fitness-Trainer aus Fleisch und Blut war dort nicht zu finden. "Wir müssen alle mutiger werden", zieht Moderator Peter Kloeppel ein Fazit der RTL-Recherchen. "Und wir müssen von denen lernen, die es besser machen."

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