Helen Schneider im Interview

Deutschland aus Zufall

18.03.2021 von SWYRL/Eric Leimann

In der dritten ZDF-"Ku'damm"-Trilogie spielt 80-er-Jahre Rockstar Helen Schneider eine Sanges-Diva, die von Hauptfigur Monika (Sonja Gerhardt) ein Lied für den Grand Prix Eurovision de la Chanson geschrieben bekommt. Schneiders echtes deutsch-amerikanisches Leben war mindestens ebenso verrückt.

Man muss schon ein wenig älter sein, um sich an Helen Schneider als Popstar und Teenie-Idol zu erinnern. 1981 hatte die in Leder gewandete New Yorkerin mit der großen Blues- und Soulstimme einen der bekanntesten Hits des Jahrzehnts: "Rock'n'Roll Gypsy". Doch Schneider, der damals auch in den USA eine große Karriere vorausgesagt wurde, hängte das Musikgeschäft an den Nagel und besuchte in New York eine Schauspielschule. Dank eines Udo Lindenbergs auf Rollschuhen gelangte sie Ende der 70-er nach Deutschland, wo sie später in großen Musicals sang. Nun ist Helen Schneider in der Fortsetzung der ZDF-Filmreihen "Ku'damm 56" und "Ku'damm 59" zu sehen. Im Dreiteiler "Ku'damm 63" (ab Sonntag, 21.3., 20.15 Uhr) spielt sie die deutsch-amerikanische Chanson-Diva Hannelore Lay (Helen Schneider). Auf der Suche nach einem Song für den Grand Prix Eurovision de la Chanson trifft sie auf Songschreiberin Monika (Sonja Gerhardt) und lässt die junge Frau für sich arbeiten. Im Interview erzählt Helen Schneider, wie es dazu kam, dass sie als Ur-Amerikanerin niemals von Deutschland loskam - und nun im fortgeschrittenen Entertainerinnen-Alter in Hamburg lebt.

teleschau: "Ku'damm 63" erzählt von versteckten Grenzen, an die deutsche Frauenleben zur damaligen Zeit stießen. Sie sind in New York aufgewachsen. Kennen Sie diese Grenzen auch?

Helen Schneider: Ja und nein. Ich bin etwa eine halbe Generation jünger als die Töchter in "Ku'damm 63". Außerdem hatte ich das Glück, in einem liberalen Elternhaus groß zu werden. Mich erinnert das Leben der jungen Frauen in "Ku'damm" eher an das Leben meiner Mutter, die leider jung gestorben ist. Sie war ungemein künstlerisch veranlagt, durfte das aber nicht ausleben. Einfach, weil man das einer Frau in jener Zeit nicht zugestanden hat.

teleschau: Welches Leben sollte Ihre Mutter stattdessen führen?

Helen Schneider: Sie war einfach eine Mutter. Aber ich muss sagen, dass sie eine sehr gute Mutter war - und drei Kinder großzuziehen ist keine leichte Aufgabe. Mit 19 Jahren heiratete sie. Sie kochte, machte sauber - und so weiter. Zeichnen und Musizieren, was sie beides sehr gut konnte, hat sie nur für sich alleine tun "dürfen".

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"Ich weiß noch, dass er auf Rollschuhen zu dem Gig kam"

teleschau: Wann haben Sie begonnen, Ihren eigenen Weg im Leben zu gehen?

Helen Schneider: Früh. Ich bin mit 17 ausgezogen und mit einer Bluesband in die Berge gezogen. Sechs Jahre lang lebte ich von der Hand in den Mund. Es war eine harte Schule, aber was ich in den kleinen Clubs in New England gelernt habe, kann man nicht in einer Schule unterrichten.

teleschau: Und wie sind Sie damals als Musikerin nach Deutschland gekommen?

Helen Schneider: Es war reiner Zufall. Meine Karriere in den USA hatte gerade begonnen, ich hatte einen Vertrag bei einem großen Management unterschrieben. Die erste Platte war bereits veröffentlicht und lief ganz ordentlich. Richard Kröger, ein Produzent aus Saarbrücken, hat das Album irgendwie zu fassen bekommen und mich Ende der Siebziger für eine Musik-TV-Show namens "Session" nach Deutschland eingeladen. Irgendwann hatte ich dann Stress mit meinem Plattenvertrag in den USA und unterschrieb einen anderen, deutschen Plattenvertrag. Es war eine sehr komplizierte Geschichte (lacht).

teleschau: Sie hatten 1981 mit "Rock 'n' Roll Gypsy" einen Riesenhit. Vorher waren Sie aber schon mit Udo Lindenberg in Deutschland auf Tournee. Woher kannten Sie sich?

Helen Schneider: Das war eine witzige Geschichte. Er kam mal zu einem Auftritt von mir in New York. Der fand in einem Club namens "Lone Star Cafe" statt. Ich weiß noch, dass er auf Rollschuhen zu dem Gig kam. Und er stieg auch nach der Show mit Rollschuhen die steile Treppe zu meiner Garderobe hinauf, um mich zu fragen, ob ich mit ihm auf Tour gehen würde. Ich hatte keine Ahnung, wer der Typ war. Doch ich hatte schon immer eine gute Nase für Menschen, die mir etwas bedeuten könnten. Deshalb sagte ich spontan zu.

"Es war im Prinzip der Tod meiner Popkarriere"

teleschau: Wie empfanden Sie Deutschland damals?

Helen Schneider: Es war eine spannende Zeit für mich, alles war neu. Deutschland, die deutsche Sprache, große Bühnen. Eine lange, hochprofessionelle Tournee. Dazu war sie sehr lang. Ich glaube, so etwas wie 61 Auftritte in 65 Tagen. Wahrscheinlich war ich an Orten in Deutschland, die nie ein Amerikaner zuvor gesehen hatte (lacht). Udo überließ mir damals eine halbe Stunde Zeit inmitten seiner Show. Wie gesagt, nicht als Vorgruppe, sondern in der Mitte. So ist Udo. Ich schulde ihm und Alfred Biolek, der mich in seine Show "Bios Bahnhof" geholt hat, als mich in Deutschland niemand kannte, einen großen Teil meines Erfolges.

teleschau: Nach der Rock'n'Roll-Karriere wurden Sie ein großer Musical-Star. Mittlerweile machen Sie Liederabende, spielen in Filmen und Serien. Außerdem unterrichten Sie Nachwuchs-Schauspieler. Haben Sie sich ganz bewusst immer wieder neu erfunden?

Helen Schneider: Ich bin ein Bauchmensch. Viele Lebensentscheidungen habe ich nach dem Motto "warum nicht?" gefällt. Ich glaube, man könnte dieses Motto sogar als Überschrift über mein Leben setzen. Ich lebte oft von der Hand in den Mund. "Der große Plan" war nie so mein Ding. Trotzdem oder gerade deshalb war es immer aufregend. Immer dann, wenn sich eine Tür schloss, öffnete sich eine andere. Immer dann, wenn ich mich gefangen fühlte, habe ich einen neuen Weg gesucht.

teleschau: Sind Sie auch durch Zufall zur Schauspielerei gekommen?

Helen Schneider: Nein, das war tatsächlich mal eine bewusste Entscheidung. Aber auch eine, die ich mit dem Bauch getroffen habe. Meine Plattenfirma WEA war damals alles andere als glücklich damit. Ich spielte 1983 eine Hauptrolle in einem kleinen US-Film. "Eddie and The Cruisers" hieß er - mit Michael Paré, Tom Berenger und Ellen Barkin. Der Streifen hat sich zum Kultfilm entwickelt. Mir hat die Erfahrung so viel bedeutet, dass ich danach eine Auszeit aus dem Musikgeschäft nehmen wollte. Tatsächlich ging ich ein paar Jahre auf eine New Yorker Schauspielschule. Es war im Prinzip der Tod meiner Popkarriere, aber eben auch das, was ich machen wollte.

"Man will berühren und berührt werden"

teleschau: Wie ging es nach der Schauspielschule weiter?

Helen Schneider: Mit einer Mischung aus Schauspiel und Musik. Ich habe hier und da gespielt. Dann hat eine sehr begabte Autorin, Tina Landau, für mich eine One-Woman-Show geschrieben. "A Flapper's Folly", eine Mischung aus Schauspiel und Musik, die ein enormer Erfolg auf New Yorks kleinen Bühnen wurde. Die Geschichte spielte in den 20-ern. Das Show ging auch nach Los Angeles, wo mich Désirée Nosbusch gesehen hat. Durch sie habe ich Helmut Baumann kennengelernt und für ihn in Berlin Sally Bowles in seiner Inszenierung von "Cabaret" gespielt. Hildegard Knef spielte Fräulein Schneider. Es war eine Erfahrung, die ich nie vergessen werde, bei der ich so viel gelernt habe. So kam ich wieder nach Deutschland. Damals habe ich übrigens auch erst Deutsch gelernt, denn das war eine Voraussetzung für das Engagement.

teleschau: Wie leben Sie heute?

Helen Schneider: Seit ein paar Jahren lebe ich in Hamburg. Da ja Bühnenprogramme momentan wegen Corona nicht stattfinden, bin ich froh, dass ich an der "Stage School" unterrichte. Dazu kommt: Ich liebe diesen Job! Lied-Interpretation heißt mein Fach, da bringe ich als Dozentin sozusagen die beiden Disziplinen meines Lebens zusammen, Musik und Schauspiel.

teleschau: Würden Sie gerne öfter als Schauspielerin arbeiten, so wie jetzt bei "Ku'damm 63"?

Helen Schneider: Ja, das wäre eine schöne Sache. Ich werde die Bühne sicher nicht aufgeben.

teleschau: Was ist die wichtigste Botschaft, die Sie Ihren Schülern nach dem eigenen wendungsreichen Leben mitgeben?

Helen Schneider: Lebe und arbeite so eng wie möglich an deiner persönlichen Wahrheit. Wir Menschen sind uns eigentlich sehr ähnlich. "We are the same, but different", sagt man im Englischen. In der Kunst geht es darum, das Wichtige in sich selbst zu entdecken und es mit anderen zu teilen. Weil wir uns so ähnlich sind, wird der Zuhörer oder Betrachter immer wieder Wahrheiten des Künstlers auf sein Leben übertragen können - und berührt werden. Zumindest ist das meine Hoffnung. In der Kunst geht es letztendlich darum: Man will berühren und berührt werden.

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