ARD-Talk

"Hart aber fair": Auch Sahra Wagenknechts Pläne überzeugen Unternehmerin nicht

30.01.2024 von SWYRL/Doris Neubauer

Wut, Proteste, neue Parteien: "Wer hält unser Land noch zusammen?", fragte Louis Klamroth in der ersten "Hart aber fair"-Ausgabe nach der Winterpause. Zu Wort kamen vor allem enttäuschte Bürger, die sich von den Parteien nicht gehört fühlen. Auch Sahra Wagenknecht (BSW) konnte nur wenig punkten.

Unbeholfen nestelte sie an ihrem Kostüm, um das Mikrofon anzustecken: Zuhra Visnjic versuchte bei "Hart aber fair" (ARD) nicht, ihre Aufregung zu verbergen. Ob sie wegen des bevorstehenden Jahres nervös wäre oder wegen der Sendung, wollte Moderator Louis Klamroth, der den Talk ab sofort mit seiner eigenen Produktionsfirma verantwortet, von der Friseurmeisterin aus Remscheid wissen: "Wegen allem", entgegnete die Blondine: Sie würde von Existenzängsten geplagt. "In Deutschland werden Arbeiter geehrt", hatte sie von ihrem Vater gelernt. Wie dieser hatte sie auch immer die SPD gewählt, die habe sich um die Arbeitenden gekümmert. "Heute ist das nicht mehr so", drückte sie ihre Enttäuschung aus.

An dieser änderte wohl wenig, dass Carsten Schneider als Vertreter der SPD und Beauftragter der Bundesregierung für Ostdeutschland der dreifachen Mutter in der Sendung seinen Respekt zollte. Auch von seiner Einschätzung, dass die "wirtschaftliche Lage besser ist als die Stimmung", kann sich die Unternehmerin mit Migrationshintergrund nichts kaufen. Die Löhne ihrer Mitarbeitenden zahlen, kann sie ebenso wenig vom Ansatz des CDU-Generalsekretärs Carsten Linnemann, das Bürgergeld wieder abzuschaffen. "Ich bekomme kein Bürgergeld", Visnjics Antwort wurde mit Applaus belohnt.

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SPD-Mann Schneider: "Wir haben einfach kein Geld mehr!"

"Vielleicht probieren wir es mit einer neuen Partei": sprach Louis Klamroth aus, was sich vermutlich so manch enttäuschter Bürger hierzulande denkt. Die "dümmste Regierung Europas" (Zitat Parteitag BSW) habe sich von Lobbys steuern lassen, "aber nicht von dem, was Menschen bewegt", warf Sahra Wagenknecht, Gründerin und Vorsitzende der BSW - Vernunft und Gerechtigkeit den etablierten Parteien vor.

"Ich will nicht immer hören, was schiefläuft, sondern wie es geht", nutzte Klamroth einen Seitenhieb der Unternehmerin und Autorin Tijen Onaran, um Wagenknechts Positionen abzuklopfen: Energiepreise kurzfristig senken, bürokratische Auflagen minimieren, Erbschaftssteuer für sehr gut Betuchte, "aber nicht für die Mittelschicht und das kleine Häuschen am Stadtrand", Einkommen aus Vermögen stärker besteuern als aus Arbeit und ein Mindestlohn von 14 Euro, nannte Wagenknecht auf Nachfrage des Moderators einige Punkte. "Dann müsste man Freibeträge senken, anders kann ich mir das nicht leisten", fühlte sich Visnijc von Letzterem nur mäßig abgeholt. Auch sie müsse ihr Personal bezahlen.

"Ich wollte mal kurz zur Finanzlage ein paar ehrliche Worte sagen. Wir haben einfach kein Geld mehr!", gab hingegen SPD-Politiker Schneider ein unerwartetes Geständnis in der Debatte zu Staatshilfen ab.

Unternehmerin hofft auf "Agenda 2024"

Das Programm klinge "auf den ersten Blick vernünftig", gab Onaran zu. Der "große Aufschlag für Deutschland, die Agenda 2024", um Mut und Hoffnung unter den Menschen wieder zu entfachen und "nicht Gruppen gegeneinander auszuspielen", fehlte ihr allerdings. Wie ein solcher auszusehen hätte, darüber herrschte auf dem Podium Uneinigkeit.

Für CDU-Mann Linnemann zählten dazu Themen wie Steuern, eine Entlastung der Energiepreise, Abschaffung des Bürgergelds und Entbürokratisierung. Schneider hingegen nannte die Investition in Chipfabriken zur Stärkung von Deutschlands technologischer Unabhängigkeit sowie das Nein zu Kürzungen im Sozialbereich als "den großen Plan". Dass dabei die Diskussion aus dem Ruder geriet (Klamroth zu Visnjic: "Jetzt passiert, was wir vor der Sendung besprochen haben, dass alle hier sitzen und streiten"), spielte Tijen Onaran in die Arme: Die Investorin plädierte für eine starke Führung und einen "Action-Plan, sodass Leute nicht mehr auf die Straße gehen".

Landwirte, Rentner, Milchbauern, ... Klamroth selbst holte sie auf Demonstrationen vors Mikrofon, um ihre Frustration gegen die Beschlüsse der Bundesregierung auszudrücken: "Stimmt das, hat man einfach vergessen, mit den Landwirten zu sprechen?", wollte er von Schneider wissen. "Eindeutig", gab der SPD Politiker den "klaren Fehler" zu.

Wagenknecht: "Teile die Angst, dass eine Partei wie die AfD stärker wird"

Die Proteste wären aber nicht nur die Reaktion auf diesen, sondern Zeichen der allgemeinen Unzufriedenheit: 82 Prozent aller Deutschen wären von der Ampelregierung enttäuscht, nannte er das Ergebnis einer Umfrage. "Grundrauschen der Enttäuschung" wären in parlamentarischen Demokratien normal, erklärte Protest-Forscher Nils Kumkar von der Universität Bremen. Parteien wie die AfD hätten sich jedoch dieses Grundrauschen zunutze gemacht. Ihre Botschaft lautete: Alle anderen kriegen ihren Willen, nur dir wird nicht zugehört. "Das ist gefährlich und lässt sich mit Politik nicht wieder einfangen", gab der Soziologe zu bedenken, "das Gefühl wird bleiben."

Dass jetzt so viele Menschen gegen dieses Narrativ auf die Straßen gehen, habe ihn selbst überrascht. 1.200 waren es etwa in der 42.000-Einwohner Gemeinde Freiberg in Sachsen. "Wir haben auf den Moment gewartet, der uns zusammenbringt", erzählte Organisatorin Maria Fichte vom Netzwerk "Freiberg für alle". Für sie stand fest: "Wir müssen versuchen, die Stimmung - und sie ist schlechter als die Lage - ins Positive zu drehen." Das gelinge nur durch das Schaffen von Begegnungsorten, um Ressentiments gegen Menschen mit Migrationshintergrund etwas entgegensetzten. "Ich teile die Angst, dass eine Partei wie die AfD stärker wird", freute sich auch Wagenknecht über diese Aktionen, wollte es darauf aber nicht beruhen lassen: "Das sollte nicht davon ablenken, was die Ursachen für die Erstarkung der AfD ist. Die Ursache ist die hohe Unzufriedenheit."

Das gelte vielleicht für die Proteste der Bauern, widersprach Fichte "vehement". Mit Demonstrationen wie denen in Freiberg oder München hätten sie nichts zu tun. Ihnen ginge es nicht darum, "gegen etwas" aufzustehen, sondern einen Beitrag für eine positive Sicht auf die Dinge zu leisten und mitzugestalten. Denn: "Wo wird die Gesellschaft zusammengehalten?", beantwortete sie die Frage der Sendung für sich klar: "Auf lokaler Ebene."

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