ARD-Talkshow

Falsche Zahlen bei "Hart aber fair"? CDU-Politiker spricht von 250.000 Abschiebungen

07.11.2023 von SWYRL/Doris Neubauer

Könnten mit Asylverfahren in EU-Drittstaaten und Bezahlkarten Probleme für Städte und Gemeinden reduziert werden? Wofür CDU-Politiker Thorsten Frei plädierte, hielten andere Gäste bei "Hart aber fair" (ARD) im besten Fall für "illusionär". Und dann waren da noch fragwürdige Zahlen.

Angeblich 250.000 Menschen sollen von den von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) angekündigten Abschiebungen "im großen Stil" betroffen sein? Auf dieser Zahl beharrte Thorsten Frei, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der Union, bei "Hart aber fair" (ARD) am Montagabend hartnäckig. Selbst als Talk-Moderator Louis Klamroth ihm mit erhobenem Zeigefinger per Einspieler die Zahlen vor Augen hielt ("Ausreisepflichtige ohne Duldung sind tatsächlich 50.134 Personen. Stand Ende September".), wollte es der CDU-Politiker nicht dabei belassen: Wenn der Kanzler davon spreche, im erheblichen Stil abzuschieben, dann würde es um besagte 250.000 Menschen gehen. Schließlich ginge es darum, Abschiebehindernisse aus dem Weg zu räumen.

Gegen so viel Beharrlichkeit wusste sich auch Gastgeber Klamroth nicht zu wehren und bat Dirk Wiese, den stellvertretenden Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion um Hilfe. Er musste nicht lange bitten: "Es gibt gewisse Länder, in die wir nicht abschieben aus unterschiedlichen Gründen", erklärte Wiese. Weil man keine diplomatischen Beziehungen habe, weil dort Menschenrechtsstandards verletzt würden, "weil denjenigen, die abgeschoben werden, möglicherweise die Todesstrafe droht", war es Scholz' Parteikollegen wichtig, zu differenzieren. "Deswegen ist das, was Thorsten Frei gerade sagt, falsch."

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Geld für Aslyverfahren in Drittstaaten? "Schöne Idee, aber illusionär"

Es war nicht das erste Mal, dass sich der CDU-Politiker an diesem Abend im Netz der Zahlen verhedderte. "Haben Sie Statistiken oder Datengrundlagen oder verlassen Sie sich auf Ihr Bauchgefüh?", wollte Moderator Klamroth von Frei wissen, als er die Einführung einer Bezahlkarte für Asylbewerber damit argumentierte, dadurch Überweisungen ins Ausland und in weiterer Folge einen Geldtransfer an Schlepper zu unterbinden. Keine Migrationsstudie würde eine solche Behauptung untermauern, kritisierte Journalistin und Moderatorin Hadija Haruna-Oelker Freis Begründung.

Ebenso wenig überzeugen konnte sie der Vorschlag, Drittstaaten außerhalb Europas und entlang der Fluchtrouten Geld für Asylverfahren und Schutzgewährung nach rechtsstaatlichen Regeln zur Verfügung zu stellen. Beispiele wie das britische Ruanda-Verfahren oder das gescheiterte Türkeiabkommen zeigten ihrer Ansicht nach, dass die Einhaltung von Standards oder Menschenrechte in Drittstaaten nicht kontrolliert und somit sichergestellt werden könnten. Dass solche Maßnahmen Menschen von einer Flucht nach Deutschland abhalte und damit das Sterben im Mittelmeer verringere, bezeichnete sie als "schöne Idee, aber illusionär".

Abgesehen davon sollte das laut Dirk Wiese nicht das Ziel sein. "Wir brauchen Zuwanderung", betonte der SPD Politiker und argumentierte mit einem Fehlen von Fach- und Arbeitskräften. Deshalb würde die Bundesregierung Migrationsabkommen mit Drittstaaten anstreben, um die notwendige Immigration zu ermöglichen und gleichzeitig sicherzustellen, dass diejenigen ohne Bleibeperspektive zurückgenommen würden. "Das geht allerdings nicht mit einmal schnippen", mahnte er zu Geduld.

Großer Handlungsdruck für Kommunen

Lange warten könnten die Kommunen hinsichtlich einer Unterstützung durch die Bundesregierung aber nicht mehr. Der Staat verlasse sich derzeit zu viel auf Ehrenamtliche und Vorreiterorte wie das bayrische Hebertshausen, das statt 45 Menschen bereits über 230 Asylbewerber aufgenommen und integriert hätten. "In manchen Kommunen bekomme ich das Signal, das es funktioniert", wusste auch Bischof Christian Stäblein, der Beauftragte der Evangelischen Kirche für Flüchtlingsfragen, zu berichten. Es gebe aber auch andere Stimmen.

Eine solche gehört Jens Marco Scherf (Grüne), Landrat von Miltenberg: "Der Handlungsdruck ist groß", machte er auf die prekäre Lage aufmerksam, "wir brauchen eine Einigung und ein Maßnahmenbündel." Bis Oktober seien 20 bis 25 Menschen in seinen Landkreis gekommen, jetzt seien es bis zu 45. Die 60 Plätze der bisherigen Notunterkunft, eine ehemalige Schule, würden bald nicht mehr ausreichen. "Was mache ich in drei Monaten?", drängte Scherf, "vergessen Sie Integration, die können wir uns nicht mehr leisten."

Auf die Frage von Haruna-Oelker, was die Kommune genau bräuchte, musste Scherf länger nachdenken: "Mehr Kindergartenplätze, mehr Lehrer, mehr Mitarbeitende, mehr Wohnungen... von allem mehr und viel mehr Zeit, um Menschen gut integrieren zu können", lautete seine Antwort. Eine volle Kostenerstattung wäre notwendig, aber Geld alleine helfe nicht.

Bischof liefert "Wort zum Dienstag"

Welche Maßnahmen Olaf Scholz und die Ministerpräsidentenkonferenz, die an diesem 6. November tagte, beschloss - unter anderem eine jährliche Pro-Kopf-Pauschale für die Länder und Kürzungen bei Leistungen für Asylbewerber -, war zum Sendungsende von Hart aber fair weiterhin offen. Das anfangs versprochene Update konnte Louis Klamroth seinem Publikum vor den Bildschirmen leider nicht liefern.

Das letzte Wort hatte deshalb Bischof Stäblein: Er sehe "auch in der Diskussion einen vereinten Willen, das Ganze so anzugehen, dass die Grundhaltung und die Bereicherung, dass wir die Würde der Menschen achten, all das verbindet uns in allem Streit darüber, wie es am besten geht." Ein "Wort zum Dienstag", das Hoffnung machen sollte.

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