Reportageformat "STRG_F" deckt auf

Fake-Skandal um preisgekrönte Doku: NDR distanziert sich von "Lovemobil"

22.03.2021 von SWYRL

Die preisgekrönte Kino-Doku "Lovemobil" zeigt angeblich den Alltag von Prostituierten in Niedersachsen. Tatsächlich sind im Film Darsteller zu sehen, wie nun herauskam. Die Regisseurin glaubt, "eine viel authentischere Realität" geschaffen zu haben. Der koproduzierende NDR verurteilt den Fall scharf.

Im Dokumentarfilm "Lovemobil" von Autorin Elke Margarete Lehrenkrauss werden zwei junge Prostituierte aus Nigeria und Bulgarien begleitet, die ihrer Arbeit unter entwürdigenden Umständen in Wohnmobilen an einer Landstraße bei Gifhorn nachgehen. So lautete jedenfalls die offizielle Version, denn nach Recherchen der NDR Redaktion STRG_F sind weite Strecken des mit dem Deutschen Dokumentarfilmpreis 2020 dekorierten Films nicht authentisch.

Der NDR, welcher die Kino-Doku mitproduzierte, distanzierte sich nun per Statement vom Film. So beruhe "Lovemobil" zwar auf langjährigen Recherchen Lehrenkrauss', zentrale Protagonisten und Protagonistinnen würden jedoch keine persönlichen Erfahrungen schildern, sondern lediglich eine Rolle spielen.

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"Lovemobil": Filmemacherin will "authentischere Realität" geschaffen haben

Demnach erhielt das investigative funk-Reportageformat STRG_F Informationen aus dem Umfeld der für den Grimme-Preis nominierten Produktion und sei so auf Unstimmigkeiten gestoßen. Im Interview mit STRG_F gab Elke Margarete Lehrenkrauss dann zu, sie habe den NDR nicht über Inszenierungen informiert - und dieser hätte nicht weiter nachgefragt. Einerseits gab sie an, diese Vorgehensweise zu bereuen, andererseits verteidigte sie ihr Handeln: "Ich kann mir auf jeden Fall nicht vorwerfen, die Realität verfälscht zu haben, weil diese Realität, die ich in dem Film geschaffen habe, ist eine viel authentischere Realität."

Im Film sieht diese "authentischere Realität" folgendermaßen aus, wie Lehrenkrauss selbst einräumt: Bei der Prostituierten "Rita" handelt es sich nicht wirklich um eine Sexarbeiterin, die Darstellerin habe nur Geschichten echter Prostituierter nachgespielt. "Milena" hingegen arbeitet nicht in den gezeigten Wohnmobilen bei Gifhorn, sondern fand nur für den Dreh den Weg nach Niedersachsen. Einer der gezeigten angeblichen Freier sei ein Bekannter der Autorin.

Dokumentarfilm "gaukelt Authentizität vor, die er nicht hat"

Für die redaktionelle Begleitung und Abnahme von "Lovemobil" war die NDR Dokumentarfilmredaktion zuständig. Als Grundlagen hätten ein Exposé sowie eine Kalkulation über einen Dokumentarfilm gedient. Im NDR-Statement wird betont, dass die Redaktion in der mehrjährigen Produktionszeit nichts von den Inszenierungen wusste und die Vorwürfe der Autorin, man habe keine Nachfragen zur Authentizität gestellt, vehement bestreitet. Die Aufklärung befindet sich nach Angaben des NDR aktuell noch am Anfang.

"Der Film "Lovemobil" entspricht nicht den Standards, die der NDR an dokumentarisches Erzählen anlegt. Er gaukelt dem Publikum eine Authentizität vor, die er nicht hat", stellt Frank Beckmann, Teil der Programmdirektion Fernsehen, klar. Des Weiteren kündigte er an, der Sender werde diesen Sachverhalt in seinen Programmen transparent machen und unabhängig berichten. "Wir müssen neben der vollständigen Aufklärung noch bessere Wege finden, wie wir uns vor solchen Irreführungen schützen können", so Beckmann. In der Mitteilung des NDR wird außerdem betont, dass das Genre Dokumentarfilm Realität und Wahrheit gegenüber verpflichtet ist und auch Dokudramen, die szenische Elemente beinhalten, sauber zwischen Fiktion und Wirklichkeit trennen müssen.

Im NDR Fernsehen wird das Kulturjournal (Montag, 2. März, 22.45 Uhr) über den Fall berichten. STRG_F veröffentlicht seine Reportage am Dienstag, 23. März, um 17 Uhr auf dem hauseigenen YouTube-Kanal. Darin kommt neben der Autorin sowie Protagonisten des Films auch ein NDR-Redakteur zu Wort. Auch Panorama 3 (Dienstag, 23. März, 21.15 Uhr) widmet sich dem Thema. Der Film "Lovemobil", den das NDR Fernsehen zuletzt am 8. Dezember 2020 zeigte, wurde vorerst aus der Mediathek entfernt und für Wiederholungen gesperrt.

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