"Die Farben der Zeit"

Zweifache Suche nach den eigenen Wurzeln

10.08.2025 von SWYRL/Elisa Eberle

Eine junge Frau reist 1895 nach Paris, um ihre Mutter zu finden. Knapp 130 Jahre später verfolgen ihre Nachfahren ihre Spuren in der Geschichte ... "Die Farben der Zeit", der nun im Kino startet, ist ein auf zwei Zeitebenen erzählter Film und eine tiefe Verneigung vor der französischen Malerei.

Es muss eine albtraumhafte Situation für Nachlassverwalter sein, mit der "Die Farben der Zeit", der neue Film von Cédric Klapisch ("Das Leben ein Tanz", "Der Wein und der Wind") beginnt: Auf einer Grünfläche in der Normandie soll im Jahr 2024 ein Einkaufszentrum entstehen. Doch im Moment steht auf dem Gelände noch ein kleines Haus. Es gehörte einst einer Frau namens Adèle Meunier und wurde seit 1944 nicht mehr geöffnet. Nachforschungen ergaben eine Erbengemeinschaft aus rund 30 Personen, die sich untereinander jedoch kaum kennen. Im echten Leben würde diese Situation vielleicht im Streit enden, vielleicht würden die Erben das Haus auch möglichst schnell an die Baufirma verkaufen, um die Sache abschließen. Nicht so in dem von Regisseur Cédric Klapisch und Santiago Amigorena erdachten Drehbuch.

Mit der Ingenieurin Céline (Julia Piaton), dem Lehrer Abdelkrim (Zinedine Soualem), dem Imker Guy (Vincent Macaigne) und dem Content Creator Seb (Abraham Wapler) bestimmt die Erbengemeinschaft vier Vertreter aus ihren Reihen, die in die Normandie reisen und das Haus und die darin befindlichen Objekte begutachten sollen. Im Haus stoßen sie auf eine Wand voller vergilbter Familienfotos. Anhand der Fotografien sowie eines Stapels alter Briefe offenbart sich den vier Erben die unglaubliche Geschichte ihrer Ahnin, die Cédric Klapisch geschickt auf einer parallel verlaufenden zweiten Zeitebene erzählt.

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Paris im Wandel der Zeit

Adèle Meunier, geborene Vermillard (Suzanne Lindon, Tochter des renommierten französischen Schauspielpaares Vincent Lindon und Sandrine Kiberlain), ist 21 Jahre alt, als sie beschließt, ihre Heimat in der Provinz und ihren Freund Gaspard (Valentin Campagne) zu verlassen. In Paris möchte sie ihre Mutter finden. Diese hatte sie als Baby bei den Großeltern abgegeben und seither nie besucht. Das Paris des Jahres 1895, in dem Adèle ankommt, befindet sich auf dem Sprung in die Moderne, über der Seine thront der frisch errichtete Eiffelturm. Schnell macht Adèle ihre Mutter ausfindig, doch es erwartet sie ein Schock: Odette (Sara Giraudeau) arbeitet in einem Bordell! Adèle ist überfordert, sie läuft davon und flüchtet sich zu zwei jungen Männern, die sie auf ihrer Reise kennengelernt hatte: Lucien (Vassili Schneider) ist Fotograf und Anatole (Paul Kircher) Maler. So wie Adèle die Geschichte ihrer Herkunft, suchen sie ihr berufliches Glück in der Stadt ...

"Die Farben der Zeit" ist ein Film, der auf der Watchlist jedes Paris-Fans stehen muss: Die Schönheit der pulsierenden Großstadt mit ihren oft Jahrhunderte alten Gebäuden wird nur selten so geduldig eingefangen wie hier. Auch in den Szenen auf dem Land sind die Bildausschnitte bewusst gewählt: Viele Einstellungen erinnern an Gemälde, was passt, schließlich spielen die Malerei und der zur Zeit von Adèle langsam aufkommende Impressionismus eine wichtige Rolle im Film. Ohne zu viel zu verraten: Namhafte Größen der Epoche, allen voran der französische Maler Claude Monet (gespielt von Abraham Wapler und später von Olivier Gourmet), spielen im Leben der Protagonistin eine wichtige Rolle. Ihr Auftritt dürfte ein wahres Fest für Liebhaber der Malerei sein.

Das Für und Wider des Fortschritts

"Ich habe mit 12 Jahren angefangen zu fotografieren und war schon Fotograf, bevor ich überhaupt daran dachte, einmal Filme zu drehen", erinnert sich Regisseur Cédric Klapisch, was die sorgsam ausgewählten Bildausschnitte und die Auseinandersetzung mit dem Kulturkampf zwischen Anhängern der Fotografie und der klassischen Malerei Ende des 19. Jahrhunderts erklärt. "Die Farben der Zeit" ist jedoch nicht nur eine Verbeugung gegenüber der Kunst und der Schönheit Paris.

Der 63-jährige Regisseur möchte seinen Film auch als eine Auseinandersetzung mit den Vor- und Nachteilen des allgemeinen Fortschritts verstanden wissen: "Viele Menschen stellen sich heute diese kritischen Fragen über diesen Fortschrittsgedanken, und nicht nur aus Umweltgründen", sagt er: "Weil unser Film ständig zwischen den beiden Zeitebenen hin und her wechselt, wirft er immer wieder diese Fragen auf. Es ist schon verrückt und auch irgendwie deprimierend, wenn man sieht, wie sich heute Städte in der Provinz ähneln mit ihren Einkaufszentren, riesigen Supermärkten, Parkhäusern und Autobahnkreuzen."

Übertriebene Länge und fehlender Tiefgang

Im Film gibt es deshalb zahlreiche Szenen, in denen die Jahre 1895 und 2024 gekonnt ineinander übergehen: Mal sieht man Adèle in ihrem langen Kleid eine Treppe hinaufsteigen und in der nächsten Szene läuft ein Jogger in moderner Sportkleidung eben jene Treppe hinab.

Bisweilen ziehen die malerischen Einstellungen den knapp zweistündigen Kinofilm jedoch unnötig in die Länge. Auch dass die vier Erben dank einer schamanischen Erfahrung ins 19. Jahrhundert reisen ("Ich wurde angebaggert von Victor Hugo"), wirkt im Vergleich zum Rest des Films ein wenig albern. Letztlich ist "Die Farben der Zeit" aber durchaus ein hübsch anzusehender Film mit einem talentierten Ensemble, dessen Figuren nach ihrer Herkunft und ihrer Zukunft suchen, ohne dabei jedoch allzu tiefgründig zu werden.

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