"Das Milliardenspiel: Die verkaufte WM"

Whistleblowerin gibt in TV-Reportage erschütternde Einblicke in die Fifa: "Bezug zum Fußball verloren"

07.11.2022 von SWYRL/Julian Weinberger

Zwischen Hinterzimmerabsprachen und Gürteln aus Känguru-Leder: Ex-Fußballprofi Benjamin Adrion sprach für seine ProSieben-Reportage unter anderem mit einer Fifa-Whistleblowerin, Philipp Lahm und Hansi Flick. Das Ergebnis: ein erschütternder Tatsachenbericht über die kruden Machenschaften der Fifa.

2015 regnete Geld über Sepp Blatter, nicht metaphorisch gesehen, sondern ganz real. Der britische Comedian Simon Brodkin bewarf den damaligen Fifa-Präsidenten auf einer Pressekonferenz mit Geldscheinen. Die symbolträchtige Aktion ging um die Welt, als Ausdruck für Korruption, Machtmissbrauch und die WM-Vergabe ins reiche Wüstenemirat Katar.

Mehr als sieben Jahre später ist es so weit: Die Katar-WM steht allen Boykottaufrufen zum Trotz vor der Tür. Bevor der Ball rollt, beleuchtete ProSieben in der aufwendig recherchierten Reportage "Das Milliardenspiel - die verkaufte WM" den Vergabeprozess des Turniers und holte zahlreiche Expertenstimmen ein.

Besonders erschütternd sind im Film die Schilderungen, die Ex-Profi Benjamin Adrion auf seiner Recherchereise von Bonita Mersiades einholte. Die Fifa-Whistleblowerin kämpfte 2010 darum, die WM 2022 nach Australien zu holen. "Es gab drei Dinge, die man richtig machen musste: die Bewerbungsmappe, die technische Inspektion der Fifa im eigenen Land und die finale Präsentation", erinnert sie sich vor der Kamera. "Und doch war nichts davon entscheidend." Vielmehr seien es externe Berater gewesen, die mit guten Drähten ins Fifa-Exekutivkomitee die Wahl maßgeblich beeinflusst hätten.

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Fifa-Funktionäre "haben komplett den Bezug zum Fußball verloren"

Schier unglaublich muten Beschreibungen von Mersiades über den damaligen Vize-Präsidenten des Komitees an, Reynald Temarii. Auf einer Liste habe der damals Forderungen gestellt, die den australischen Verband vier Millionen Dollar gekostet hätten. Merciades sei gesagt worden: "Du hast dieses Papier nie gesehen."

Heute urteilt die Whisteblowerin gnadenlos über die von Profitgier getriebenen Fifa-Funktionäre. "Sie haben komplett den Bezug zum Fußball verloren. Die Frage war nicht, was können sie für den Fußball tun, sondern was kann der Fußball für sie tun." Um an die nötigen Stimmen zu kommen, seien die Mitglieder des Exekutivkomitees mit exquisiten Geschenken, etwa Gürteln aus Känguruleder, versorgt worden.

2015 erfolgte dann der große Knall beim Fußball-Weltverband. Nach einer Razzia wurden sieben Funktionäre verhaftet. Der Fall landete sogar vor dem US-Senat, wo der Demokrat Richard Blumenthal die Fifa als "Mafia-ähnliches Verbrechersyndikat" bezeichnete.

Ähnlich bewertete es Mark Pieth, der im Anschluss den Ruf der Fifa aufpolieren sollte und ebenfalls mit Benjamin Adrion sprach: "Das war ein Klub von älteren Männern, die in die eigene Tasche gewirtschaftet haben." Bei der Fifa selbst biss Adrion übrigens auf Granit - trotz Besuch in der Fifa-Zentrale in Zürich. "Es ist eine Schande, dass die Fifa gegenüber den Medien nicht offener ist", beklagte Whisteblowerin Mersiades.

WM in Katar: Amnesty International kritisiert fehlende Transparenz

Hinterzimmerabsprachen mit hochrangigen Politikern und Geld als wichtigstes Machtinstrument - "Das Milliardenspiel - die verkaufte WM" zeichnet ein vernichtendes Bild der Fifa. Doch Benjamin Adrions Reportage ist mehr als eine bloße Abrechnung mit dem Weltverband. Neben dem Blick in die Vergangenheit ging es dem Gründer von "Viva con Agua" auch um den Blick ins Hier und Jetzt und in die Zukunft. Auf einer Reise nach Katar versucht er mit den Einheimischen ins Gespräch zu kommen. "So etwas gab es hier noch nie", schallte es ihm voller Vorfreude entgegen.

Von offizieller Stelle blieben Statements trotz Anfrage indes aus, nur ein einflussreicher Geschäftsmann äußert sich vor der Kamera. "Wir werden repräsentiert, wir werden Zeugen davon, wie Geschichte geschrieben wird", kommmentiert Zaid Al-Hamdan die nahende WM. Kritik aus Europa erklärt er per philosophischem Ansatz weg: "Die menschliche Natur fürchtet das, was sie nicht kennt. Kein Mensch ist perfekt."

Verbesserungen bei den Arbeitsbedingungen, die er anführt, verneint Katja Müller-Fahlbusch von Amnesty International. Noch immer würden teils Löhne nicht gezahlt und Pässe von Arbeitsmigranten einkassiert. Bei den verstorbenen Arbeitsmigranten, deren Zahl differenziert bewertet werden müsse, kreidet Müller-Fahlbusch dem katarischen Führungszirkel fehlende Transparenz an: "Dass Katar das nicht tut, ist ein enormes Versäumnis, ein Zeichen von mangelndem politischem Willen."

"Der Fußball gehört nicht der Fifa"

Auch der Spielerseite verschafft Benjamin Adrion in dem ProSieben-Beitrag eine Stimme. Jackson Irvine, WM-Teilnehmer für Australien und Spieler des FC St. Pauli, macht den Zwiespalt begreifbar. Einerseits gehe für ihn als Spieler mit der WM-Teilnahme ein Traum in Erfüllung, andererseits stünden die Kicker in einer besonderen Verantwortung: "Wir wollen unsere Präsenz nutzen, um eine längerfristige Veränderung für die Arbeits- und Menschenrechte im Land zu erreichen."

Einen Boykott beurteilt auch Bundestrainer Hansi Flick im Gespräch mit Adrion als wenig zielführend: "Zu verlangen, dass die Spieler alles boykottieren, finde ich unfair." Dennoch sei es unabdingbar, das künftig bei der Vergabe auf die Einhaltung von Menschenrechten und Werten im Gastgeberland geachtet werden.

Bei Katar habe "man mit Sicherheit nicht ganz so gut hingeschaut", mutmaßt Flick. Noch klarer wird Philipp Lahm, der Kapitän der Weltmeister-Elf von 2014. "Das darf in Zukunft nicht mehr passieren", macht der ehemalige Weltklassespieler klar. Er selbst sehe als Fan keinen Grund, zum Turnier im Wüstenstaat zu reisen.

Das Fazit einer bemerkenswerten, fundiert recherchierten und äußerst informativen Reportage blieb Fifa-Whistblowerin Bonita Mersiades überlassen. "Es geht darum, wem der Fußball gehört. Er gehört uns allen, er gehört nicht der Fifa", bilanziert sie in einem staatstragenden Schlusswort. "Wir verdienen es, einen Sport zu haben, bei dem nach den Prinzipien des Fairplay gespielt wird."

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