Tatort: Hochamt für Toni - So. 04.06. - ARD: 20.15 Uhr

Die Liebe des Kommissars

30.05.2023 von SWYRL/Eric Leimann

Im "Tatort: Hochamt für Toni" muss Franken-Ermittler Felix Voss (Fabian Hinrichs) tief in die eigene Vergangenheit abtauchen. Ein alter Freund, der mittlerweile Pfarrer ist, will eine Messe für Felix' große Jugendliebe feiern. Doch bevor Geheimnisse offengelegt werden können, stirbt der Geistliche.

TV-Ermittler sind oft seltsam beziehungslose Gesellen. "Lonely Wolf" hieß das früher mal, aber mittlerweile haben die Wölfinnen in Sachen Einsamkeit längst nachgezogen. Man schaue nur zu den "Tatort"-Dezernaten Ludwigshafen oder Hannover/Göttingen und natürlich auch zu den ewigen Single-Kommissaren aus München oder Max Ballauf in Köln. Auch den Franken-Ermittlern Paula Ringelhahn (Dagmar Manzel) und Felix Voss (Fabian Hinrichs) hat man in bisher neun Filmen (seit 2015) kein dauerhaftes Glück der Zweisamkeit ins Drehbuch geschrieben. Dafür widmet sich ihr neuster Fall "Tatort: Hochamt für Toni" so intensiv der wohl größten, verflossenen Liebe des Ermittlers Voss, so dass der Film mindestens ebenso sehr Lebensbilanz-Drama wie Krimi ist. Dennoch gibt es im "Tatort", der irgendwo in der oberpfälzischen Provinz spielen soll, natürlich auch einen Mord als Ausgangspunkt für das Eintauchen von Voss in die eigene Vergangenheit.

Marcus Borchert (Pirmin Sedlmeier), ein alter Freund von Felix Voss aus dessen Studienzeit in Berlin, arbeitet mittlerweile als Pfarrer in der Oberpfalz. Marcus lädt Felix zu einer Messe ein, in der es auch um Toni gehen soll, eine enge Freundin der beiden aus jung-erwachsenen Tagen. Mit gemischten Gefühlen reist Felix von Nürnberg in die Provinz. Weder mit Marcus noch mit Toni hatte er in den letzten Jahren Kontakt. Nach einer kurzen Begrüßung durch Marcus wird Felix auf den Inhalt der Messe verwiesen, die gleich beginnen soll. Doch die Messe findet nie statt, denn der Pfarrer wird in seiner Sakristei ermordet. Bald erfährt Felix, dass auch Toni seit zwei Jahren nicht mehr am Leben ist. Dafür lernt er die nicht ganz so nette Familie seiner früheren großen Liebe kennen.

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Mit Kafka am Baggersee

Toni entstammt der sehr wohlhabenden Unternehmerfamilie Hentschel, die ihre Gegend in Sachen Einfluss fest im Griff hat. So fest, dass auch die örtliche Polizei nur ungern ermittelt, wenn Patriarch Johannes Hentschel (André Jung) oder seine beiden Söhne Christian (Johannes Allmayer) und Lukas (Sebastian Zimmler) dies so wünschen. Neben der im Rollstuhl sitzenden Mutter Anna (Marita Breuer) gibt es noch eine weitere Frau in der kaltherzig wirkenden Hentschel-Villa: Tonis kleine Schwester Eva (Sina Martens), die noch am ehesten dazu bereit ist, Felix Voss bei seinen Nachforschungen zu unterstützen. Es gilt, ein Familiengeheimnis zu enträtseln, aber auch herauszufinden, ob Voss heute ein ganz anderer Mensch wäre, hätte er seinem Herzen damals nachgegeben und sich für ein Leben mit Toni entschieden.

Autor Bernd Lange ("Das Verschwinden"), der noch junge Schweizer Regisseur Michael Krummenacher ("Der Räuber Hotzenplotz") und die jüngst verstorbene BR-Redakteurin Stephanie Heckner mit ihrem letzten Film - sie alle wussten, dass "Hochamt für Toni" kein normaler "Tatort" werden würde. Experimentell ist Felix Voss' Spurensuche in der oberpfälzischen Provinz nicht. Dazu ist der Krimi-Plot zu bodenständig, ja fast schon altmodisch im "derrickschen" Sinne gestrickt. Das Besondere des Films sind die elegischen Momente mit bebilderten Erinnerungen an unbeschwerte studentische Sommertage am Baggersee, die mit Marcus, Felix und Toni - ebenfalls verkörpert vom 34-jährigen Theaterstar Sina Martens - einen Hauch des Dreiecks-Liebesklassikers "Jules und Jim" verströmen. Auch Franz Kafkas unvollendeter Roman "Der Verschollene", die Literatur am Baggersee, dürfte nicht ganz zufällig ins Bild gerückt sein. Kafkas einziges in Amerika spielendes Werk thematisiert Zugehörigkeit und Verlorenheit.

Letzter Film von Franken-"Tatort"-Erfinderin Stephanie Heckner

In den besten Momenten des melancholischen Liebes-"Tatorts" sitzt Felix Voss jedoch in seiner Provinz-Pension, hört tieftraurigen Indie-Folk - das dazu gespielte, extrem reduzierte Stück "Demon Host" der kanadischen Band Timber Timbre ist dabei eine echte Entdeckung - und denkt über sein Leben nach. Felix Voss scheint in seine eigene Welt abgetaucht und ist für seine besorgte Kollegin Ringelhahn, die ab und zu anrückt, um nach dem Rechten zu sehen, kaum noch erreichbar. Insofern ist "Hochamt für Toni" auch ein Film über alte Lebensdämonen, seien sie nun böse oder sanft-liebevoll, die ins Jetzt einbrechen können, um eine funktionierende, ja vielleicht sogar "gute" Gegenwart zu überlagern.

"Tatort: Hochamt für Toni" ist bei weitem nicht der beste aller Franken-"Tatorte", die erzählerisch zu den ambitioniertesten - und oft besten - Revieren des deutschen Krimiklassikers zählen. Dazu ist die Krimihandlung ein wenig zu sehr von der Stange, und vielleicht wäre auch ein bisschen weniger unsympathische Hentschel-Familie im Buch Bernd Langes besser gewesen. Dennoch ist der Felix Voss-Solotrip so berührend, dass einem vor allem bei der bewegenden Abschlussszene fast die Tränen kommen.

Auch deshalb, weil nach dieser letzten Szene eine Widmung für die Ende März nach langer Krankheit verstorbene Stephanie Heckner eingeblendet wird, eine von Kreativen hochgeschätzte, leitende TV-Redakteurin des BR. Nicht nur den Franken-"Tatort" hat sie aus der Taufe gehoben, auch preisgekrönte Produktionen wie "Im Angesicht des Verbrechens", "Operation Zucker" oder "Türkisch für Anfänger". Was vom Leben übrig bleibt, durchaus eine der großen Fragen dieses Films, hat die verstorbene TV-Macherin auf ihre Art beantwortet.

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