Vom Gamer zum Mörder

"Tatort: Game Over" aus München: Wie gefährlich sind Videospiele wirklich?

21.05.2023 von SWYRL/Franziska Wenzlick

Auf der Suche nach neuen Kulissen für die Ermittlungen ihrer Fernseh-Cops setzten die Drehbuchautoren der "Tatort"-Folge "Game Over" auf die E-Sport-Szene. Dabei begegneten die Münchner Ermittler zahlreichen gewaltbereiten Gamern. Doch machen Videospiele tatsächlich aggressiv?

Was passiert, wenn man die TV-Institution "Tatort" mit der Gaming-Szene mischt? Das Ergebnis des Crossovers konnte sich sehen lassen: In "Game Over" (Regie: Lancelot von Naso, Drehbuch: Stefan Holtz und Florian Iwersen), dem 93. Fall aus München, führte der Mord an einer Polizistin die Kommissare in die E-Sport-Community. Damit wagte sich die BR-Produktion auf heikles Terrain: Bei TV-Berichten oder fiktionalen Stoffen über die Gaming-Szene monieren Spielerinnen und Spieler nicht selten klischeehafte Darstellungen. Tatsächlich kamen die E-Sportler im Film nicht besonders gut weg. Doch was ist dran an den gängigen Vorurteilen: Machen Videospiele aggressiv? Und wie hoch ist das Suchtpotenzial?

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Worum ging es?

Ein Polizeiauto fährt durch die Bayerische Landeshauptstadt. Darin sitzen zwei Kollegen, man unterhält sich über die Heimat, die Arbeit, das geringe Gehalt. Fast schon könnte man meinen, die Münchner "Tatort"-Kommissare seien durch jüngere Modelle ausgetauscht worden. Doch dann geschieht bei einer routinemäßigen Verkehrskontrolle kurz vor Schichtende das Unfassbare: Die eben noch munter plaudernde Polizistin wird von den zwei Insassen des angehaltenen Wagens niedergeschossen. Die Täter fliehen - und Lena Wagensonner (Xenia Benevolenskaya), die erst 22-jährige Beamtin, bleibt blutend auf der Straße liegen.

Es dauert eine Weile, bis sich Leitmayr (Udo Wachtveitl) und Batic (Miroslav Nemec) in ihrem 92. Fall blicken lassen. Der Mord an der jungen Polizistin führt die Ermittler schon bald in die Gamingszene. Michael Hetsch (Mauricio Hölzemann) ist nämlich nicht nur der Besitzer des kurz nach der Tat brennend aufgefundenen Fluchtwagens, sondern auch leidenschaftlicher Zocker. Leider fehlt von Hetsch jede Spur - bis der gut vernetzte "Counter-Strike"-Spieler selbst ermordet aufgefunden wird.

Worum ging es wirklich?

Auf dem Computer des Getöteten findet sich ein entscheidender Hinweis, der den Ermittlern das Blut in den Adern gefrieren lässt: Handelt es sich bei Lenas Mördern etwa um Polizisten? Der Verdacht, dass die Täter aus den eigenen Reihen stammen, verhärtet sich zunehmend. Die Schuldigen scheinen Teil der "Munich Sherrifs" zu sein, einer Gruppe von E-Sportlern, die allesamt bei der Münchner Polizei arbeiten und sich im Netz unter Namen wie "WaltherPPK" und "Shooter_110" treffen, um gemeinsam Ego-Shooter zu zocken. Um herauszufinden, wer sich hinter den Online-Nutzernamen versteckt, holen sich die in puncto Gaming doch recht unbeholfenen Kommissare einen Profi zur Hilfe: Oskar Weber (Yuri Völsch), ein erst 17-jähriger E-Sportler, hat sich in der Szene einen Namen gemacht und soll sich nun bei den "Munich Sherrifs" einschleusen. Und tatsächlich: Oskar gelingt es, die persönlichen Daten der Spieler herauszufinden.

Wie sich letztlich herausstellt, handeln die Täter vor allem aus dem Wunsch, ein besseres Leben zu führen. Rechtfertigen kann diese Sehnsucht die Skrupellosigkeit der Schuldigen aber natürlich nicht. "Wenn das Gehalt nicht mal mehr für die Miete reicht, könnte man in Versuchung geraten, mit ein bisschen Illegalität eine Abkürzung zu nehmen zum großen Glück", weiß auch Regisseur Lancelot von Naso. "Und das gilt in unserem Film für junge Polizisten, Gamer und auch für Partyqueens und sonstige Glücksritter." Keine der Figuren dieses Krimis glaube noch daran, "dass man es selbst schaffen kann mit so etwas wie harter Arbeit".

Tatsächlich zieht sich die allseitige Desillusionierung wie ein roter Faden durch den Film - angefangen bei der jungen Beamtin, die für 1.500 Euro netto Nachtschichten schieben muss und für ein Standardprozedere ihres Jobs mit dem Leben bezahlt, bis hin zu Oskar, der trotz seines Talents glaubt, zu unlauteren Methoden greifen zu müssen.

Wie gefährlich sind Ego-Shooter?

Das Klischee vom aggressiven Gamer ist weitverbreitet. Belege für einen Zusammenhang zwischen Videospielen und Gewaltbereitschaft gibt es aber kaum - ganz im Gegenteil: Im Jahr 2021 etwa wurde eine US-Langzeitstudie veröffentlicht, die Erkenntnisse über den Einfluss gewalthaltiger Computerspiele auf das Verhalten von Teenagern lieferte. Die Psychologin Laura Stockdale und die Medien- und Familienforscherin Sarah Coyne führten über zehn Jahre hinweg Untersuchungen durch, bei denen sie das Verhalten von Jugendlichen analysierten, die Ego-Shooter spielten.

Die Ergebnisse waren eindeutig: Die Forscherinnen konnten keine Auswirkungen auf das Aggressionslevel durch den Konsum von Videospielen feststellen. Im Vergleich zu Gleichaltrigen, die keine Videospiele spielten, zeigten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Studie kein erhöhtes Maß an Aggressivität oder Brutalität. Darüber hinaus verhielten sich die Probanden ähnlich positiv und hilfsbereit wie ihre Altersgenossen. Also kein Grund zur Sorge?

Können Videospiele süchtig machen?

Ein gewisses Risiko bergen Videospiele dennoch - immerhin pausiert die Online-Welt nicht, wenn der Computer ausgeschaltet wird. Das kann vor allem bei Community-basierten Videospielen zum Problem werden: Sie gehen immer weiter, haben kein Ende, keine finale Befriedigung. Stattdessen vermitteln sie das Gefühl, stets etwas zu verpassen, wenn man nicht online ist - den Anschluss an die Gruppe, ein Abenteuer, eine Belohnung. Der Übergang vom puren Zeitvertreib zur Sucht, vom Vergnügen zum Verlangen ist dabei schleichend und für die Betroffenen kaum zu erkennen.

Seit 2019 erkennt die Weltgesundheitsorganisation "Videospielsucht" offiziell als Krankheit an. Das Krankheitsbild ist nach wie vor nur schwammig definiert: Als potenziell krank wird eingestuft, wer nicht mehr mit dem Spielen aufhören kann, obwohl er es möchte - oder bei dem das Privat- und Berufsleben erheblich unter dem übermäßigen Spielgenuss leidet. Unklar ist allerdings, wo klassische psychische Krankheitsbilder aufhören und eine mutmaßliche Computerspielsucht beginnt. Depressionen und Angststörungen können zum Beispiel dazu führen, dass sich der Betroffene in sogenannte "Safe-Zones" wie etwa ein Computer- oder Videospiel flüchtet.

Die Klassifizierung von Computerspielsucht als Krankheit ist nicht gänzlich unumstritten: So hat etwa die "American Psychological Association" eine Studie veröffentlicht, die das "Konzept der Videospielsucht" als bestenfalls kontrovers einstuft. Laut der Vereinigung seien die Diagnose-Kriterien und möglichen Symptome noch immer umstritten. Ebenfalls auf Kritik stößt die Tatsache, dass die WHO zwar eine als Games-Sucht spezifizierte Störung aufgenommen hat, sich bisher aber weder Internet- noch Smartphonesucht in der Liste finden.

Wie geht es mit dem München-"Tatort" weiter?

Der nächste München-"Tatort" mit dem Titel "Königinnen" wurde im Herbst 2022 gedreht und soll noch in diesem Jahr zu sehen sein. Neben den üblichen Verdächtigen sind im 93. Fall auch Veronica Ferres und Wolfgang Fierek mit von der Partie, die die Ermittler beim Gipfeltreffen bayerischer Produktköniginnen empfangen. Regie führte Rudi Gaul ("Tatort: Videobeweis"), das Drehbuch stammt von Robert Löhr ("Tatort: Mord unter Misteln").

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