Oliver Wnuk im Interview

"Vielleicht ist Heimat nur eine Einbildung"

07.11.2021 von SWYRL/Franziska Wenzlick

Spätestens seit "Stromberg" ist Oliver Wnuk aus dem deutschen TV nicht mehr wegzudenken. In seinem neuen Film schlägt der Schauspieler und Drehbuchautor jedoch ernstere Töne an als in seiner einstigen Paraderolle. Im Interview erklärt er, wieso er dabei auch Themen wie Abtreibung nicht auslässt.

Abtreibung, Fremdgehen, Alzheimer: Im zweiten Teil der ARD-Reihe "Das Leben ist kein Kindergarten" (Freitag, 12. November, 20.15 Uhr, im Ersten im Rahmen der Themenwoche "Stadt.Land.Wandel - Wo ist die Zukunft zu Hause?") fahren Regisseurin Esther Gronenborn und Drehbuchautor Oliver Wnuk dramaturgisch schwere Geschütze auf. Das titelgebende "Umzugschaos" nimmt seinen Lauf, als Freddy (Wnuk) und seine Frau Juliana (Meike Droste) sich samt Kindern und Großvater vom beschaulichen Konstanz ins hektische Berlin aufmachen. Für Hauptdarsteller und Drehbuchautor Oliver Wnuk ein Wechsel von einer Heimat in die andere: Der 1976 in Konstanz geborene "Nord Nord Mord"-Star, der in der Stadt am Bodensee aufwuchs und seine ersten Bühnenerfahrungen am Stadttheater Konstanz sammelte, lebt heute gemeinsam mit seiner Partnerin Yvonne Catterfeld in Berlin. Im Interview spricht der zweifache Vater über den Grund für den Drehortwechsel.

teleschau: Ihr neuer Film handelt von einem Umzug und der Frage, wie die Figuren sich in ihrer neuen Heimat zurechtfinden. Muss Heimat überhaupt örtlich definiert sein?

Oliver Wnuk: Das habe ich mich auch gefragt. Ich wusste nicht: Ist Heimat ein Geruch? Ist Heimat eine Sehnsucht? Vielleicht gibt es Heimat ja auch gar nicht. Vielleicht ist Heimat nur eine Einbildung.

teleschau: Inwiefern?

Wnuk: Nur, weil wir die Wege in unserer Heimatstadt kennen und die Gebäude uns bekannt vorkommen, denken wir, in einem kleinen Kokon zu sein. Ich glaube, das stimmt nicht. Für mich persönlich muss Heimat da sein, wo wir sind. An jedem Ort, auch wenn das im ersten Moment brutal klingt. Im Kern bedeutet das wohl: Heimat ist man selbst.

teleschau: Können Sie sich überall zu Hause fühlen?

Wnuk: Wenn die Definition von Heimat beinhaltet, dass ich mich mit mir selbst wohlfühle, dann sollte das im besten Fall in jedem Moment an jedem Ort herstellbar sein. Leider versucht man häufig, sein Glück außerhalb zu suchen, und fühlt sich nicht wohl dort, wo man sich gerade befindet. Besonders für Menschen, die viel reflektieren, ist das vermutlich die große Lebensaufgabe: zu lernen, wie man in sich ruht und nicht ständig wissen zu müssen, was noch da draußen ist und wie es einem noch geiler gehen kann.

teleschau: Im Hinblick auf das Internet gar kein so leichtes Unterfangen.

Wnuk: Das ist natürlich durch die sozialen Medien verstärkt worden, gerade bei Jugendlichen. Es ist hart, was junge Menschen alles zur Seite schieben müssen, um das persönliche Stresslevel nicht ad absurdum zu treiben.

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"Die sind richtig aufgeblüht!"

teleschau: Wie kam es zu der Entscheidung, einen Umzug zum Kernthema des Films zu machen und den zweiten Teil nun in Berlin statt in Konstanz zu drehen?

Wnuk: So ganz freiwillig habe ich das nicht gemacht (lacht). Es hatte viel damit zu tun, dass es nicht so einfach ist, in Konstanz zu drehen. Vor allem ist es teuer. Wir dachten, dass es in Berlin vielleicht günstiger wird. Außerdem bot die Entscheidung, die Reihe nach Berlin zu verlegen, auch interessante Möglichkeiten. Ich wollte zeigen, was es mit den Menschen macht, so entwurzelt zu werden.

teleschau: Sie haben Ihr Drehbuch also den Voraussetzungen angepasst?

Wnuk: Ich habe die Geschichte um die Produktionsbedingungen herumgespannt. Das ist aber nicht ungewöhnlich, sondern die Aufgabe einer jeder Drehbuchidee, wenn man sie schließlich auch realisiert sehen möchte. Das Thema ist sehr spannend, genauso wie der Vergleich zum ersten Teil der Reihe. Es ist zwar die gleiche Familie, aber es sind trotzdem zwei extrem unterschiedliche Filme, vor allem, weil sich die Temperatur und Atmosphäre von Konstanz und Berlin so unterscheiden. Man merkt das auch daran, wie die Kinder dort sind, wie die Stimmung ist, wie die Probleme angegangen werden. Ich habe das Gefühl, dass im zweiten Teil alles noch ein bisschen authentischer ist und alle Figuren einen Ticken mehr mit sich hadern. Auch, wie sie miteinander umgehen, ist metallischer.

teleschau: Ist die Stimmung in Konstanz besser?

Wnuk: Nicht direkt, aber in Berlin ist alles ein Stück härter. Es war sogar bei den Dreharbeiten interessant zu beobachten: Wir haben erst in Berlin gedreht und haben im Anschluss dann noch drei Tage in Konstanz gefilmt. Man kann sich gar nicht vorstellen, was plötzlich mit den Teammitgliedern passiert ist. Die sind richtig aufgeblüht! Alle waren glücklich und fanden die Stadt toll und haben lange Spaziergänge gemacht. Ich denke, eine Stadt wie Konstanz kann einfach eine gewisse Sehnsucht triggern.

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"Das Stäbchen in der Nase gehört eigentlich zum Alltag"

teleschau: Worin haben sich die Dreharbeiten der beiden Filme unterschieden?

Wnuk: Wir haben den zweiten Teil komplett unter Corona-Hardcorebedingungen gedreht, während der Hochphase. Deshalb sind natürlich ganz andere Probleme auf uns zugekommen.

teleschau: Welche zum Beispiel?

Wnuk: Als Drehbuchautor war es für mich sehr schwer, dass gewisse Dinge einfach nicht machbar waren. Ein Beispiel: Ich habe vom Arbeitsalltag im Krankenhaus erzählt, durfte aber nicht im Krankenhaus drehen. Wir durften auch nicht in öffentlichen Verkehrsmitteln drehen, weil man keine Drehgenehmigung bekommen hat. Außerdem war es schwierig, Wohnungen zu finden. Wer räumt zu Corona-Zeiten schon freiwillig die eigenen vier Wände und stellt diese einem Filmteam zur Verfügung?

teleschau: Schlussendlich hat es aber doch geklappt.

Wnuk: Ja, aber für das Produktionsteam war es von der Logistik her eine wahnsinnige Herausforderung. Etwa beim Elternabend, wo nur sehr wenige Statisten anwesend sein konnten. Es ist gar nicht so einfach, das aussehen zu lassen, als wären da mehr Menschen.

teleschau: Haben Sie sich mittlerweile an die besonderen Umstände gewöhnt?

Wnuk: Anfangs waren das wirklich herausfordernde Zeiten. Jetzt drehe ich meinen sechsten oder siebten Film seit der Pandemie und das Stäbchen in der Nase gehört eigentlich zum Alltag. Trotzdem hat es vieles deutlich verkompliziert, zum Beispiel war die Kindergartengruppe im zweiten Teil extrem klein. Es waren nicht 15 oder 16 Kinder, wie in einem echten Kindergarten, sondern nur sieben oder acht, weil nicht mehr Menschen auf einmal in einen Raum durften. Dazu kam, dass man erst einmal Kinder finden musste, deren Eltern in Kauf genommen haben, jeden Tag zu testen und sich und ihre Kinder einem gewissen Risiko auszusetzen.

"Manchmal musste ich auch alleine mit irgendwelchen Bällen spielen"

teleschau: Der Dreh mit Kindern ist ja ohnehin eine ganz besondere Herausforderung.

Wnuk: Total. Mit Kindergartenkindern zu drehen ist nicht ganz einfach, denn Kinder unter sechs Jahren dürfen nicht länger als drei Stunden am Set sein und nicht länger als zwei Stunden vor der Kamera stehen. Es ist fast nicht machbar, in so kurzer Zeit einigermaßen gute Szenen hinzubekommen.

teleschau: Wie haben Sie das Problem gelöst?

Wnuk: Beim ersten Teil, in dem noch viel mehr Szenen im Kindergarten gedreht wurden, hatten wir Double-Kinder. Das bedeutet: Es gab Kinder, die wir von vorne gefilmt haben, und Kinder, die so ähnlich aussehen, die dann von hinten gefilmt wurden. Man benötigt also eine Person am Set, die nur zu dem Zweck da ist, solche Dinge zu koordinieren.

teleschau: Klingt ganz schön kompliziert.

Wnuk: War es auch. Es kam oft vor, dass zunächst nur die Kinder gefilmt wurden. Nachdem die weg waren, musste ich mit Regieassistenten die Szene spielen, die sich vor mich hingekniet und mich nett angeschaut haben. Ich habe also gedreht, ohne, dass ich in ein Kindergesicht geblickt habe. Manchmal musste ich auch alleine mit irgendwelchen Bällen spielen. Das ist schon komisch. Ich fand es aber trotzdem total bereichernd und schön, mit den Kindern zu spielen. Gerade, wenn Kinder am Set sind, die viel Spaß an der Sache haben, ist das ein wahres Geschenk.

teleschau: Kinder sind schließlich auch ein fester Bestandteil der Reihe, genauso wie das Familienleben. Wie entscheiden Sie als Drehbuchautor, welche Themen Sie aufgreifen möchten?

Wnuk: Das entscheidet sich unter anderem durch den Blickwinkel, aus dem die Geschichte stattfindet. In dem Film wird ja ausschließlich aus Freddys Perspektive erzählt. Die Frage ist also immer: Wie kommt Freddy mit den Problemen zurecht? Ich bin ja neu in dem Fach und habe das Drehbuchschreiben nicht gelernt, deshalb erzähle ich zunächst einfach das, was mich interessiert. Erst danach schaue ich, wie ich mich dramaturgisch fokussieren muss. Dann kommt noch dazu, was der Regisseur oder die Regisseurin, in diesem Fall Esther Gronenborn, erzählen will. Schlussendlich ist das ja ihr Film.

"Wollte keinen Film über die Frage machen, wie moralisch vertretbar eine Abtreibung ist"

teleschau: Im Film überlegt die Protagonistin, einen Schwangerschaftsabbruch durchführen zu lassen. Wie gelingt es, solche Themen sensibel aufzuarbeiten?

Wnuk: Ich hatte dabei auf jeden Fall keine Hilfe oder Beratung. Mir ging es auch gar nicht unbedingt um Abtreibung an sich, sondern in erster Linie darum, was dieser große Einschnitt mit der Familie macht. Wie verändert sich die Dynamik dieses Paares? Wer kann besser loslassen von den Erwartungen daran, wie das eigene Leben strukturiert sein soll? Das war eher mein Punkt.

teleschau: Es ging Ihnen also eher um die Beziehungen zwischen den Charakteren?

Wnuk: Gewissermaßen. Mich hat interessiert, wie die Figuren reagieren, wenn sich etwas im Leben verändert. Frei nach dem Motto: "Wenn du Gott zum Lachen bringen willst, erzähle ihm von deinen Plänen." Ich wollte keinen Film über die Frage machen, wie moralisch vertretbar eine Abtreibung ist, aus welchen Gründen auch immer. Das würde ich mir auch nicht anmaßen.

teleschau: Bereits im Laufe des zweiten Teils wird klar, dass sich der dritte Film wohl ebenfalls mit einer schwierigen Thematik auseinandersetzen wird: Alzheimer.

Wnuk: Ja. Nach vielen Gesprächen mit Ärzten und Neurologen denke ich, dass Alzheimer aus dramaturgischer Sicht eine 'dankbare' Erkrankung ist, weil sie sehr facettenreich zeigt. Ich selbst habe familiär viele Erfahrungen damit machen müssen, deswegen weiß ich, wie unterschiedlich die Krankheit aussehen kann. Mir geht es dabei gar nicht um Alzheimer als solches, sondern eher um das Verhältnis, das Vater und Sohn haben. Um den Abschied. Was es bedeutet, loszulassen, auch, von den eigenen Gedanken und der eigenen Identität.

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