Jan Georg Schütte im Interview

Das schreckliche Wort "Improvisation"

11.10.2021 von SWYRL/Eric Leimann

Wenn Jan Georg Schütte ruft, stehen die Stars Schlange. Für Improvisations-Filme wie "Für immer Sommer 90", "Klassentreffen" oder "Altersglühen" wurde der Filmemacher mit Preisen überhäuft. Nun spielt er selbst einen Paartherapeuten - in der schrägen ARD-Serie "Kranitz - Bei Trennung Geld zurück".

In diesem Jahr hat Jan Georg Schütte für sein nostalgisches Roadmovie "Für immer Sommer 90" mal wieder den Grimmepreis gewonnen, die wichtigste deutsche Fernsehauszeichnung. Der 58-jährige Regisseur und Schauspieler sammelt seit Jahren begehrte Trophäen und exzellente Kritiken für Filme ein, die trotz ihrer ungewöhnlichen Machart ihr Publikum finden. "Altersglühen - Speed Dating für Senioren" (2014), "Wellness für Paare" (2016), "Klassentreffen" (2019) und sogar den "Tatort: Das Team" (2020) realisierte der Norddeutsche mit der Methode, seinen Schauspielerinnen und Schauspieler feste Rollenprofile, aber kein Drehbuch zu geben. Sprich: Schütte ist der Improvisationsmeister des deutschen Fernsehens. Dennoch bekommt er Magenschmerzen, wenn er das Wort Improvisation auch nur hört. Nun spielt Jan Georg Schütte, der im "normalen Fernsehen" wie der Krimireihe "Kommissar Dupin" regelmäßig als Nebendarsteller (Inspecteur Thierry Kadeg) zu sehen ist, zum ersten Mal die Hauptrolle in einem eigenen Projekt. In "Kranitz - Bei Trennung Geld zurück" (ab Freitag, 15. Oktober, in der ARD Mediathek oder ab 20. Oktober, 22.30 oder 23.00 Uhr, NDR) verkörpert er einen windigen Paartherapeuten.

teleschau: Wie kamen Sie auf Ihre Paartherapeuten-Figur Klaus Kranitz?

Jan Georg Schütte: Ich habe 2016 den Film "Wellness für Paare" gedreht. Dabei merkten wir, dass die Therapiesituation eigentlich das perfekte Setting für schauspielerische Improvisation ist. Man kann Psychotherapie-Sitzungen gar nicht so gut schreiben, wie sie sich manchmal in der improvisierten Form ergeben. Deshalb entwickelte ich danach die etwas windige Therapeutenfigur Klaus Kranitz für ein Hörspiel, aus dem jetzt eine TV-Serie geworden ist.

teleschau: Wie viel Ahnung muss man von Psychotherapie haben, um einen Therapeuten überhaupt improvisieren zu können?

Schütte: Ich bin selbst sehr Therapie-affin und mache auch selbst Therapie. Ich kenne die Situation also aus Sicht des Klienten. Schon mein Vater, der heute über 90 und sein Leben lang als Apotheker gearbeitet hat ist, wäre eigentlich lieber Therapeut geworden. Das ging aber damals nicht, er musste Apotheker werden. Die Faszination für die Feinheiten des menschlichen Miteinanders liegen wohl in der Familie. Ich bin Schauspieler geworden. Natürlich kann ich mir nicht anmaßen zu wissen, wie ein Therapeut arbeitet. Deshalb ist mein Kranitz ja auch ein Quereinsteiger und mit dem Background des Immobilienmaklers bewusst schräg angelegt.

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"Komödie ist schnell und Therapie eigentlich langsam"

teleschau: Hatten Sie überlegt, die Hauptrolle mit einem echten Therapeuten zu besetzen?

Schütte: Ja, hatte ich. Tatsächlich waren die Therapeuten in "Wellness für Paare" echte Therapeuten. Einer von ihnen war sogar Therapeut und Schauspieler. Als ich die Kranitz-Idee für den Hörfunk konzipierte und wusste, es soll eine Komödie zum Hören werden, wusste ich, dass ich für den Therapeuten auf jeden Fall einen Schauspieler brauche, denn Komödie ist schnell und Therapie eigentlich langsam. Ich wollte die Rolle dann selbst spielen, habe aber wahnsinnigen Respekt vor dem Beruf. Also baute ich mir eine Figur, die eher so ein Business-Spieler ist. Die Paare bezahlen für drei Sessions wahnsinnig viel Geld, 1.500 Euro. Wenn sie sich dann doch trennen, bekommen sie ihr Geld zurück. Das ist die Prämisse einer jeden Serienfolge.

teleschau: Dennoch ist Kranitz ja kein Knallcharge, sondern jemand, der auch mit echten Mitteln der Paartherapie arbeitet. War es schwierig, diesen Mann irgendwo zwischen Paartherapie-Experten und Scharlatan anzulegen?

Schütte: Solche Figuren sind ja mein Spezialgebiet. Ich brauche immer die Komödie, um Menschen tiefer zu berühren. Wenn ich nur Drama spiele, fühle ich mich meist ein bisschen verloren. Ich würde mich als solider Therapeut beim Improvisieren definitiv verloren fühlen. Meine Figuren sind immer komödiantisch überhöht, ein bisschen neben der Spur angelegt. Aber eben nur ein bisschen! Genau das ist mein Ansatz.

teleschau: Sie arbeiten bei Ihren Filmen ausschließlich mit Improvisation. Dafür bekommen die Schauspieler ausführliche Rollenprofile. Ist Improvisieren der Königsweg für herausragendes Schauspiel?

Schütte: Für mich schon. Aber es steckt auch eine große Gefahr darin. Was ich ganz schrecklich finde beim Improvisieren, ist dieses Wühlen in privaten Gefühlen. Jeder ausgebildete Schauspieler kennt das von der Schauspielschule. Es wurde - gerade als ich anfing - insgesamt viel improvisiert: am Theater, beim Film. Die meisten Leute haben dabei den Fehler gemacht, dass sie sich zu ernst genommen haben. Schauspieler haben Rotz und Wasser geheult und fanden sich dabei wahnsinnig toll. Sie haben ihre private Befindlichkeit komplett in die Rollen geschoben. So etwas finde ich ziemlich klebrig, und es ist absolut nicht mein Ding.

"Ich will unbedingt vermeiden, dass meine Sachen als Experimentalfilm eingestuft werden"

teleschau: Ihre Filme laufen - zumeist im Ersten - um 20.15 Uhr. Sie haben sogar einen "Tatort" improvisiert. Ist die Komik der Grund, warum Sie - beinahe als einziger Filmemacher - im deutschen Fernsehen zur Primetime improvisieren lassen dürfen?

Schütte: Na klar, ohne Komik ginge das nicht. Die Leute wollen gerne lachen, und ich will das im Übrigen auch. Weil ich gleichzeitig noch eine gewisse Tiefe reinbringe, decke ich ein gewisses Spektrum ab, das im Öffentlich-Rechtlichen zur Primetime funktioniert. Ich will unbedingt vermeiden, dass meine Sachen als Experimentalfilm eingestuft werden. Ich möchte auch das Wort Improvisation nicht in der Vordergrund stellen. Immer wenn die Sender ihre Pressearbeit konzipieren, bitte ich darum, das schreckliche Wort Improvisation wegzulassen. Niemand schaltet den Fernseher ein, weil dort improvisiert wird.

teleschau: Wenn wir im Alltag sagen, dass wir etwas improvisieren, bedeutet das in der Regel, dass es ist nicht so gut ist, als wenn wir es "richtig" machen würden.

Schütte: Genau, das Wort "improvisieren" ist eine Herabsetzung, was natürlich falsch ist. Bei den "Kranitz"-Therapien war es die beste Art, so etwas zu drehen. Immer vorausgesetzt, die Schauspieler sind stark und sie agieren auf Basis der sorgfältig ausgearbeiteten Profile.

teleschau: Wie war Ihre Regie-Methode bei "Kranitz"? War jede Therapie-Session immer ein One-Take und wenn es nicht so gut funktioniert, dann ist es eben so?

Schütte: "Kranitz" war ein bisschen anders als meine anderen Filme. Es gibt Filme wie "Klassentreffen", da wird vom Ensemble ganz viel gespielt. Eine Menge davon geschieht parallel, und es wird von sehr vielen Kameras festgehalten. Am Ende entscheiden Auswahl und Schnitt über die Dramaturgie des Films. Bei "Kranitz" war es so, dass ich vor jeder Therapiesession lange Einzelgespräche mit jedem der beiden Schauspieler führte. Auch die beiden haben sich vorher kennengelernt. Es gab aber immer Geheimnisse unter den beiden, die in der Session offenbart wurden. Wenn jemand zum Beispiel einen Seitensprung gesteht, dann wusste das Gegenüber vorher auch tatsächlich nichts davon. Wir haben diese Therapiesitzungen also nach intensiver Vorarbeit improvisiert. Und das in drei, manchmal vier Durchläufen - um noch Dinge zu verfeinern oder anders aufzunehmen. "Kranitz" ist insofern eine Mischung aus konventionellem Dreh und meiner klassischen Methode.

"Krimi und Improvisation schließen sich eigentlich gegenseitig aus"

teleschau: Kann man diese Methode auf alle Genres anwenden? Bei Ihrem Dortmunder "Tatort: Das Team", der am 1. Januar 2020 lief, waren die Kritiken durchwachsen ...

Schütte: Ja, das stimmt. Es ist mein bei weitem umstrittenster Film. Lustigerweise hat mich die "Bild"-Zeitung dafür gefeiert. Jene Kollegen, die vorher den Ludwigshafener Impro-"Tatort: Babbeldasch" des von mir sehr geschätzten Axel Ranisch komplett zerrissen haben. Klar war "Babbeldasch" als "Tatort" gescheitert, aber als Film war er total herzerwärmend. Ich mag alles, was Axel macht. Krimi und Improvisation schließen sich aber eigentlich gegenseitig aus. Weil man beim Krimi wissen muss, was genau passiert ist. Auf dieser Grundlage gilt es gewisse "plot points" zu bauen. Für "Das Team" hatte ich mir überlegt, dass sich zehn Leute in einen Raum befinden und einer von ihnen muss der Mörder sein. Dadurch fehlte die Überlegenheit der Kommissare, die mich beim konventionellen Krimi oft stört. Wir haben alle beim Dreh damals Blut und Wasser geschwitzt - auch ich als Regisseur (lacht).

teleschau: Mit "Altersglühen: Speed Dating für Senioren" kam Ihre Methode 2014 erstmals in die Primetime. Welche Settings neben Dating, Therapie und Klassentreffen eigenen sich noch, um einen Jan Georg Schütte-Film daraus zu machen?

Schütte: Konkret ist eine Serie mit dem Arbeitstitel "Raus aufs Land", in der Stadtmenschen aus Berlin sich ein Herrenhaus in Brandenburg kaufen. Außerdem plane ich einen Kinofilm über eine Hochzeit. Das wäre dann aber wie beim "Klassentreffen" eine Geschichte mit 50 oder mehr Kameras, die alles aufzeichnen, was gespielt wird. Die "Raus aufs Land"-Serie würde ich eher wie eine Mischung aus "Klassentreffen" und "Für immer Sommer 90" anlegen. Von "Kranitz" könnte ich mir gut eine zweite Staffel vorstellen, falls es gewünscht wird. Ich habe tatsächlich unzählige Ideen und halte es mit Leander Haußmann, der mal auf die Frage, welche Ideen er für neue Projekte hat, mal antwortete: "Ich bin froh über jede Idee, die ich nicht habe."

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