Honecker und der Pastor - Sa. 19.11. - 3sat: 20.15 Uhr

Mit Erich zum Tischgebet: Wenn Christen Sozialisten retten

14.11.2022 von SWYRL/Maximilian Haase

Im Rahmen des 3sat-Publikumspreises zeigt der Sender zehn der besten deutschsprachigen Fernsehfilme 2022: Den Auftakt macht Jan Josef Liefers Dramedy über das entmachtete DDR-Ehepaar Honecker, das bei einem Pastor unterkommt. Eine wahre Geschichte, ebenso wie die folgende "Wannseekonferenz".

Es ist eine der bemerkenswertesten Episoden der Wendezeit - und war bislang doch weitgehend unbekannt: Nachdem der Mauerfall 1989 das Ende der DDR besiegelt hatte, fanden sich der ehemalige Machthaber Erich Honecker und seine Frau Margot plötzlich auf der Straße wieder. Die Funktionärssiedlung in Wandlitz war aufgelöst, die SED-Genossen um Hans Modrow wollten dem Ehepaar keine sichere Unterkunft bereitstellen. Nur einer zeigte Erbarmen, wortwörtlich: Ausgerechnet ein evangelischer Pastor gewährte im Januar 1990 jenen Unterkunft, die jahrzehntelang auch für die Unterdrückung der Kirche verantwortlich waren. Wie die gläubige Familie die überzeugten Sozialisten im brandenburgischen Pfarrhaus aufnahm und damit vor dem weltgeschichtlichen Chaos draußen beschützte, hat kein Geringerer als Jan Josef Liefers in der ZDF/ARTE-Koproduktion "Honecker und der Pastor" verfilmt, die nun noch einmal als einer von zehn nominierten Film-Anwärtern für den 3sat-Publikumspreis beim "TeleVisionale Film- und Serienfestival Baden-Baden" läuft.

Im Anschluss um 21.50 Uhr folgt Kandidat zwei, Matti Geschonecks gruselig-präzise Neuinszenierung des Theaterstücks "Die Wannseekonferenz", das eine hochrangig besetzte Besprechung von Nazi-Funktionären und Soldaten zur "Endlösung der Judenfrage" nach Wortlautprotokollen nachstellte. Bis zum Mittwoch, 23. November, stellen sich jeden Abend zwei nominierte Filme für den Publikumspreis vor. Weiter geht es mit "Am Ende der Worte" und "Der Rebell - Von Leimen nach Wimbledon" (Sonntag, 20.11.), "Das Haus" und "Hyperland" (Montag, 21.11.), dem "Tatort: Das Mädchen, das allein nach Haus' geht" und "Ramstein: Das durchstoßene Herz" (Dienstag, 22.11.) sowie "Vier" und "Sugarlove" (Mittwoch, 23.11.).

Doch zurück zum Auftaktfilm "Honecker und der Pastor", der als ebenso unterhaltsames wie informatives Kammerspiel funktioniert. In den komischen Momenten gelingt Regisseur Liefers eine Familien-Dramedy, in den düsteren funktioniert die Inszenierung aber überaus gut als historischer Thriller.

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Edgar Selge scheint Honecker bis ins Detail studiert zu haben

Den großen Umbruch im Kleinen spiegeln zu lassen, ist alles andere als einfach. Dass "Honecker und der Pastor" diese Herausforderung meistert, liegt einerseits am eindrücklich recherchierten Drehbuch von Historien- und Krimimeister Fred Breinersdorfer ("Elser"), der neben anderen Zeitzeugen auch den echten Pfarrer Uwe Holmer befragte - was allein schon deshalb bemerkenswert ist, weil dieser eigentlich keine Interviews mehr zu geben pflegt. Zum anderen entpuppt sich die Besetzung als überaus dankbar: Edgar Selge verkörpert einen glaubhaften Honecker, den er bis ins Detail studiert zu haben scheint und nur an den richtigen Stellen überzeichnet - es hätte sogar ein wenig mehr saarländischer Singsang sein können. Immer, wenn der Film ins Karikaturhafte abzugleiten droht, bekommt er wieder die Kurve.

Herausragend auch Barbara Schnitzler als Margot Honecker, deren gefürchtete Resolutheit und Strenge den Zuschauer bisweilen zittern lässt. "Erich, du musst jetzt mal die Gusche halten, wenn ich dir den Blutdruck messe", weist sie an einer Stelle ihren schon sehr kranken Gatten zurecht. An der schmalen Grenze zwischen Ehe-Humor und historischer Korrektheit wird illustriert, welche gewichtige Rolle die ehemalige DDR-Bildungsministerin im "Arbeiter- und Bauernstaat" einnahm. All das funktioniert auch deshalb so gut, weil die Kontraste film- und unterhaltungsgerechter kaum sein könnten: Die gescheiterten Machthaber am Abendbrottisch des (übrigens im Studio komplett nachgebauten) Pfarrhauses im Örtchen Lobetal im Norden von Berlin; die strammen Sozialisten, die dem Gebet des Pastors beiwohnen müssen; die Spaziergänge am einsamen See vor der Christusstatue, bei denen über Politik, Moral, Schuld und die Verhältnisse in der DDR diskutiert wird.

Regisseur Liefers konnte Axel Prahl "gewinnen"

Immer, wenn beim Zuschauer so etwas wie Mitleid aufkommt mit den "Ausgestoßenen", die es ja vielleicht doch alles nur gut gemeint haben, ruft der Film in Erinnerung, welches Leid sie zu verantworten hatten: "Wegen Ihnen konnte keiner meiner Geschwister Abitur machen", sagt eines der Pfarrerskinder zu den ungebetenen Gästen. "Honecker und der Pastor", aus Sicht des jüngsten Sohnes Kornelius (Ilja Bultmann) erzählt, der heute ebenfalls als Pfarrer in Bamberg lebt, spielt mit der Fallhöhe, die das insgesamt zehnwöchige Asyl der Honeckers im Pfarrhaus mit sich bringt. Und erlaubt sich dabei einige Spielereien: Das Innenleben der Honeckers, geprägt von einer paranoiden Psyche, zeigt sich nicht nur in pointierten Dialogen, sondern auch in wahnhaften Visionen.

Derweil wird die Außenwelt oft komödiantisch nähergebracht: Für die Rolle des (in Sachen Handlung allerdings fast überflüssigen) "Herrn Schimke", Bewohner eines Heims für geistig behinderte Menschen in Lobetal, konnte Liefers seinen "Tatort"-Partner Axel Prahl gewinnen. Wie er den sensationsgeilen West-Reportern für eine Schachtel Kippen intime Details verspricht, ist wohl auflockernd gemeint, wirkt aber bisweilen fehl am Platz. Liefers' Partnerin Anna Loos gibt dagegen die herrlich übertrieben und wohl dadurch erst realistisch gezeichnete Konsumverkäuferin, die mit ihrem Kollegen (nicht minder genial: Kurt Krömer) über die Honeckers lästert.

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