Die gute Nachricht

Können Nacktschnecken Menschenleben retten?

06.12.2022 von SWYRL

Vom Fluchtinstinkt bis zur Angststarre - Tiere haben ein vielseitiges Spektrum an Überlebensstrategien bei Gefahren. Die Verteidigungstaktik der Hellbraunen Wegschnecke könnte bald auch Menschenleben retten.

Die Natur als Lehrmeister: Innovative Technologien sind nicht selten von Fauna und Flora abgekupfert. Bionik nennt sich der Crossover aus Biologie und Technik. Von der Natur lernen wollten auch US-amerikanische Bioingenieure, die sich das Verhalten einer bestimmten Nacktschneckenart genauer angeschaut haben. Das Proteinsekret der Hellbraunen Wegschnecke dient ihnen als Blaupause für einen Wundkleber, der neue Möglichkeiten für die Humanmedizin bietet, so die Vision der Forscher.

Während andere Tiere in Not einen Fluchtreflex haben oder in Angststarre verfallen, schwitzt die Hellbraune Wegschnecke ein zähes Proteinsekret. Dieser ganz besondere "Angstschweiß" wirkt wie ein äußerst effizienter natürlicher Sekundenkleber. Mit dieser klebrigen "Waffe" kann die Schnecke ihren Fressfeinden das Maul stopfen oder sich selbst so fest am Boden festkleben, dass sie nicht ohne Weiteres fortgeschafft werden kann.

Abonniere unseren Newsletter und wir versprechen, deine Mailadresse nur dafür zu verwenden.

Abonniere doch jetzt unseren Newsletter
Mit Anklicken des Anmeldebuttons willige ich ein, dass mir die teleschau GmbH den von mir ausgewählten Newsletter per E-Mail zusenden darf. Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und kann den Newsletter jederzeit kostenlos abbestellen.

Schneckenschleim hat Vorteile gegenüber chirurgischem Kleber

Sonderlich originell ist die Schnecken-Taktik im Tierreich nicht: Starke Bio-Klebstoffe nutzen beispielsweise Hundertfüßer zum Beutefang, Miesmuscheln, um an Felsen im Meer zu haften, und Seepocken, um sich an Schiffen festzusetzen. Die Besonderheit des Schneckensekrets: Es ist besonders klebrig und dehnbar. Diese Eigenschaften weckten die Neugier von Bio-Ingenieuren an der bekannten Harvard-Universität in Cambridge. Bereits 2017 sorgte eine Studie des dortigen "Mooney Lab" für internationales Aufsehen, weil die Forschenden ein Material entwickelten, das aufgrund seiner Flexibilität selbst an feuchten und dynamischen Stellen im menschlichen Körper wie der Leber oder dem schlagenden Herzen gut haften bleibt - inspiriert vom Sekret der Hellbraunen Wegschnecke.

Um ihren innovativen Wundkleber zu kreieren, sammelten die Forscher das Proteinsekret vom Oberkörper verängstigter Nacktschnecken. Der Supermix aus Wasser, Proteinen und Kohlehydraten wurde im Anschluss im Labor analysiert und nachgebaut. Das Ergebnis nennt sich "Tough Gel Adhesives", kurz TGA. Der Vorteil gegenüber üblichen chirurgischen Klebern wie Cyanacrylat: Der Schnecken-Kleber hat eine stärkere Haftkraft, ist dehnbarer und weniger giftig als die bekannten Alternativen. Die Superkräfte von TGA verdankt der Bio-Stoff seiner zweischichtigen Struktur: Die klebrige Schicht ist mit positiven Ionen geladen und geht auf diese Weise starke chemische Verbindungen mit den negativ geladenen Gewebeoberflächen ein. Die weitere Schicht ist ein Hydrogel, also ein Polymer auf Wasserbasis, wie man es beispielsweise von Kontaktlinsen kennt. Wie ein Stoßdämpfer beim Auto absorbiert dieses Gel die Energie, die den Klebstoff sonst ablösen könnte.

Die Vision: Chirurgen können mithilfe des Superklebers zukünftig Wunden an Organen oder Gefäßen effektiver zukleben, statt sie zu nähen, Herzschrittmacher direkt am Herz fixieren oder den Stoff spritzen, um ohne klassische OPs tiefe Wunden zu heilen. Bis es so weit ist, wird aber wohl noch Zeit vergehen, denn noch gibt es kein zugelassenes Medizinprodukt, das auf den Forschungsergebnissen basiert. Weitere Forschung ist nötig, um ein körperverträgliches Mittel zu entwickeln.

Anfang 2022 ist dem Biotechnik-Team aus Harvard ein wichtiger Schritt in diese Richtung gelungen: Gemeinsam mit dem Pharmakonzern Novartis arbeitete man an der neuen Materialfamilie "Janus Tough Adhesives" (JTA). Erstes angedachtes Einsatzgebiet sind Sehnenverletzungen. Wie der Vorgänger besteht die klebrige Seite nicht aus synthetischen Stoffen, sondern ist mit Chitosan, einem Zucker aus den Schalen von Garnelen, beschichtet. Klinische Untersuchungen an lebenden Menschen sind der nächste Schritt, um zu gewährleisten, dass JTA verlässlich biokompatibel ist.

Das könnte dir auch gefallen


Trending auf SWYRL