"Wirecard - Game Over" auf ZDFinfo

Gier, Täuschung und kollektives Versagen: Die Wahrheit über den Wirecard-Skandal

14.01.2021 von SWYRL/Christopher Schmitt

Nach der Aufdeckung krimineller Machenschaften erlebte das DAX-Unternehmen Wirecard einen freien Fall: Eine umfassende ZDFinfo-Doku beschränkt sich nicht auf die Erklärung des unlauteren Geschäftsmodells, sie richtet den Fokus auch auf das Scheitern von Wirtschaftsprüfern, Politikern und Journalisten.

Vielleicht war die Geschichte auch einfach zu schön, um wahr zu sein: In einem Industriegebiet in Aschheim bei München entstand das vermeintliche deutsche Silicon Valley. Mit einem CEO Markus Braun, dessen schwarzer Rollkragenpullover an Steve Jobs erinnerte, und einem Unternehmen, das mit einer zukunftsträchtigen Idee Traumzahlen schrieb: Der Finanzdienstleister Wirecard erlebte einen kometenhaften Aufstieg vom Start-up zum Global Player - bis zum 18. Juni 2020, als der größte Finanzskandal der deutschen Geschichte ans Licht kam und einen echten Wirtschaftskrimi in Gang setzte. Die pickepackevolle Dokumentation "Wirecard - Game Over" (Donnerstag, 14. Januar, 20.15 Uhr, ZDFinfo, ab sofort in der ZDFmediathek) beleuchtet den Wirecard-Skandal in all seinen Facetten. Dabei zeigt der mit vielen Interviews angereicherte Film von Volker Wasmuth und Patrick Zeilhofer neben den Finanzbetrügereien der Verantwortlichen auch die unwirklich anmutenden Scheuklappen von Politik, Finanzaufsehern und Wirtschaftsjournalisten auf.

Am Anfang der Geschichte steht auch hier die Gier: "Kriminelle sind in allen Branchen unterwegs, allerdings ist die Finanzindustrie besonders anfällig dafür", meint Finanzmarkt-Expertin Sandra Navidi. Als Gründe nennt sie die Nähe zum Geld sowie die vergleichsweise abstrakte Geschäftsform. Die wohl schillerndste Figur in diesem Geflecht aus gefälschten Dokumenten, erfundenen Konten und Luftbuchungen ist Ex-Vorstand Jan Marsalek - stets adrett gekleidet und offenbar unter anderem dafür zuständig, Kritiker zu diskreditieren. Von Einbrüchen und Hackerangriffen auf kritische Journalisten ist die Rede. Obendrein werden ihm diverse Verbindungen zu ausländischen Geheimdiensten nachgesagt. Marsalek verschwand bereits Tage, bevor sein Haftbefehl vorlag. Die Spur einer der meistgesuchten Männer des Kontinents verliert sich in Belarus.

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Wenn Finanzaufseher mit den Aktien der Beaufsichtigten handeln

Die überaus informative Doku zeichnet ein verheerendes Bild von allen, die hätten merken müssen, dass die von Wirecard angegebenen Daten nicht stimmen können: Wirtschaftsprüfer ließen sich einlullen, laut Wirtschaftsjournalist Bernd Ziesemer haben "Teile der deutschen Wirtschaftspresse im Fall Wirecard versagt". Dies gilt auch für die Bundesanstalt für Finanzdienstaufsicht (BaFin), welche Wirecard nur bruchstückhaft prüfte und Wetten auf Kursverluste stoppte. Obendrein suggerierte sie durch Klagen gegen unbequeme Journalisten aus England, dass Wirecard eine weiße Weste habe. Manche Aufseher handelten gar gleichzeitig mit den Aktien der Beaufsichtigten.

An nur einem Tag verlor das DAX-Unternehmen 7,6 Milliarden Euro an Börsenwert, doch natürlich trifft es die Kleinanleger am härtesten: Max Staudinger investierte 45.000 Euro in Wirecard-Aktien, und er verlor nicht nur 44.000 Euro davon, sondern auch seine Frau. "Ich habe mich nicht getraut, meiner Frau zu sagen, dass so eine Summe von heute auf morgen einfach weg ist", erzählt er mit stockender Stimme. Den finanziellen Verlust betrachtet er als letzten Gnadenstoß für die Beziehung.

Im Fall von Investor Frank Thelen, bekannt aus der VOX-Show "Die Höhle der Löwen" ist der monetäre Aderlass weniger dramatisch, aber dennoch schmerzhaft. Doch sein Beispiel zeigt, dass sich auch erfahrene Anleger von den frisierten Zahlen und der damals günstigen Aktie blenden ließen: "Der Gründer hat es schon geschafft, große Visionen zu transportieren", berichtet Thelen von den Gründen für seine Fehlinvestition.

Kein Kommentar von Olaf Scholz

Dabei bleibt die spannend erzählte Doku tatsächlich bis zum Abspann interessant. Denn was es da abrundend zu lesen gibt, lässt tief blicken: Markus Braun stand für die Anfrage der beiden Autoren ebenso wenig zur Verfügung wie die Anwälte von Jan Marsalek. Und wie Bundes-Finanzminister Olaf Scholz (SPD). Was bleibt, sind Reformen und angepasste Kontrollen - und ein Untersuchungsausschuss der Opposition, der nach eigenen Angaben in der Arbeit behindert wird. "Aus dem Fall Wirecard lernen wir, dass der Kampf gegen die Illegalität in der Finanzwelt keiner ist, der gewonnen werden kann, sondern der immer weiter gekämpft werden muss", schätzt Sandra Navidi die Lage ein.

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