"60 Tage Frauenhass - Eine Reporterin bei den Taliban"

"Die steinigen uns hier": So brenzlig wurde es für eine RTL-Reporterin in Afghanistan

24.08.2022 von SWYRL/Julian Weinberger

Auf Tuchfühlung mit den Taliban: Zwei Monate lebte RTL-Reporterin Liv von Boetticher in Afghanistan. Nun zeigte eine aufrüttelnde Reportage, was sie in einem der gefährlichsten Länder erlebte.

"Ich wollte bewusst kein Testament schreiben!" - Nein, eine gewöhnliche Recherchereise erwartete Liv von Boetticher im Frühjahr 2022 gewiss nicht. Für die RTL-Reportage "60 Tage Frauenhass - Eine Reporterin bei den Taliban" begab sie sich in eines der aktuell gefährlichsten Länder der Welt: Afghanistan. Ihrer Mutter zuliebe habe sie einen Nachlass formuliert, berichtete die Journalistin zu Beginn der einstündigen Reportage mit belegter Stimme. Um ihr Leben fürchten musste sie zum Glück nicht, so viel darf verraten werden. Während ihres zweimonatigen Aufenthalts erlebte Liv von Boetticher aber die ein oder andere brenzlige Situation, wie das RTL-Format am späten Dienstagabend offenbarte.

"Es ist ein sehr unangenehmes Gefühl", konstatierte die Reporterin kurz nach ihrer Ankunft über die vielen Blicke der afghanischen Männer. Zur Erinnerung: Seit die Taliban vor einem Jahr die Kontrolle über ihr Land zurückgewannen, verschlechterte sich die Position der Frauen im Land rapide. Um an Gesprächspartner heranzukommen, war von Boetticher auf ihre Begleiter, den Afghanistan-Experten Chris Klawitter und Kameramann NIklas, angewiesen. "Innerlich koche ich, das war so unverschämt", ärgerte sich von Boetticher etwa, als sie bei der Anbahnung eines Interviews einfach ausgesperrt wurde.

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"Ich habe keine Ahnung, ob die Regierung mir das wieder erlaubt"

Und doch traf die Journalistin auf ihrer Reise durch das Land auf viele eindrucksvolle Frauen - alllen voran die Frauenrechtsaktivistin Laila. Vor der Machtübernahme der Taliban half sie Drogensüchtigen, aber nun sagt sie: "Ich habe keine Ahnung, ob die Regierung mir das wieder erlaubt." Aufgeben kommt für die mutige Frau trotzdem nicht infrage. Trotz fehlender Genehmigung baute sie am Rand Kabuls eine Schule, bezahlt von ihren eigenen Ersparnissen. Das nötigte Liv von Boetticher Respekt ab: "Laila ist die stärkste Frau, die ich jemals in meinem Leben kennengelernt habe."

Mutig stellte die Journalistin zudem einen Taliban-Angehörigen zur Sprache. Während einer Patrouille wollte sie von dem Commander Maddani wissen, wie es um die Lage der Frauen in seinem Land bestellt sei. Der wiegelte ab: "Frauen sind jetzt Gott sei Dank geschützt. Es gibt keine Probleme für Frauen. Sie können sich frei bewegen, und niemand darf sie belästigen." Außerdem wolle er seine vier Töchter gerne in die Schule schicken. Das sei aber wegen "zu wenig Schulen" nicht möglich.

Maddani mag ein Taliban mit gemäßigten Ansichten sein, in der Hochburg der Miliz in Musa Qala im Süden des Landes machte von Boetticher gegensätzliche Erfahrungen. Schon wenige Momente, nachdem sie das Auto verlassen hatte, scharte sich eine große Männergruppe um sie. "Ein bisschen mulmig ist mir schon", räumte sie ein. Begleiter Chris Klewitter warnte: "Die steinigen uns hier. Das ist keine Witzveranstaltung." Außerdem solle von Boetticher jeden Blickkontakt mit Männern vermeiden. Zurück im Auto schnaufte die Reporterin erkennbar durch - auch weil ihr Übersetzer an sie herangetragen hatte, dass einige der Männer offenbar mit einer Entführung gedroht hatten.

Bei einer Sportveranstaltung kocht die Stimmung hoch

Auch bei einem Drehtag Ende Februar bei der Volkssportart Buskaschi erlebte Liv von Boetticher, wie schnell die Stimmung kippen kann. "Ich habe das Gefühl, ich werde mehr zur Attraktion als das Spiel", beobachtete sie schon zu Beginn der Tribüne der eigentlichen Männerveranstaltung. "Total rabiat" ließen Taliban-Angehörige sie wenig später entfernen. Nach dem Spiel wollten die Mannschaften mit der westlichen Journalistin ein Foto machen. Das wurde den Taliban zu viel, hektisch versuchten sie für Ordnung zu sorgen und drohten dem Kameramann Prügel an. Von Boetticher resümierte: "Mir klopft gerade das Herz bis zum Hals."

Doch die Taliban sind nicht das einzige Problem für afghanische Frauen, wie von Boettichers Besuch bei der einstigen Spitzensportlerin Nilufar offenbarte. Sie fühle sich "wie einem Gefängnis", klagte sie. Der Mord an einer Ex-Teamkollegin stellte sich lediglich als willkommene Rechtfertigung für ihre männlichen Verwandten heraus, Nilufar im Haus einzusperren. Chris Klawitter stellte fest: "Sie ist de facto eine Gefangene der Familie." Liv von Boetticher ließ ihren Emotionen freien Lauf: "Ich bin so sauer auf den Bruder."

Trotz der problematischen Situation in Afghanistan gab es aber auch kleine Erfolgserlebnisse. Die Schule, die die Frauenrechtsaktivistin Laila im Frühjahr eröffnet hat, bietet Kindern auch heute noch die Möglichkeit eines Unterrichts. Trotzdem hat Liv von Boetticher wenig Hoffnung auf langfristige Besserung in dem Land. "Meine Befürchtung, dass die Hardliner rund um das Hakkani-Netzwerk die Oberhand gewinnen. Der Ausblick ist eher düster", blickte sie im Interview mit der Nachrichtenagentur teleschau eher pessimistisch in die Zukunft.

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