Reaktion auf Kollaps von Christian Eriksen

Deutliche Worte bei Lanz: Ewald Lienen kritisiert Spielfortsetzung als "abgrundtief falsch" und "respektlos"

16.06.2021 von SWYRL/Maximilian Haase

"Man ist kein Reporter mehr, sondern nur noch Mensch", umschrieb Kommentator Béla Réthy bei Markus Lanz, wie er den Zusammenbruch des dänischen Spielers Christian Eriksen erlebte. Deutliche Worte und Kritik an der Spielfortsetzung äußerte auch Ewald Lienen.

Eigentlich drehte sich an diesem Dienstagabend alles um Mats Hummels' Eigentor und die Niederlage Deutschlands im EM-Spiel gegen Frankreich. Dass Kommentator Béla Réthy, der das 0:1 beim Wettbewerbsauftakt der Nationalmannschaft im ZDF begleitet hatte, schon kurz nach dem Spiel jedoch live bei Markus Lanz zugeschaltet war, hatte ein wenig andere Gründe als eine schnöde Spielanalyse. Denn Réthy war es auch gewesen, der als Kommentator am vergangenen Samstag den Zusammenbruch des dänischen Nationalspielers Christian Eriksen einordnen musste. Wie die Reporterlegende die Situation erlebte, berichtete er in Lanz' ZDF-Talkshow, in der auch Fußballtrainer Ewald Lienen deutliche Worte fand.

Die Erleichterung überwiege, kommentierte Réthy die Nachricht, dass Eriksen - der bereits wieder Selfies aus dem Krankenhaus postete - den vermuteten Herzstillstand vergleichsweise gut überstanden haben soll. Er hätte nicht gewusst, "wie man hätte weiterarbeiten können, wenn was Schlimmeres passiert wäre". Doch was ging in ihm in jener Live-Situation vor, als Hunderttausende TV-Zuschauer schockiert warteten, was passieren würde? Es sei ein schleichender Prozess gewesen: Jemand habe Eriksen die Zunge gelöst, dann seien die Ärzte gekommen, er habe den Defibrillator gesehen. Erst da habe "sich langsam erschlossen, dass ein Mensch auf dem Platz gerade um sein Leben kämpft", so Réthy emotional.

"Es war ein Herantasten an die Situation", so der 64-Jährige. Die Wiederbelebung, die Herzdruckmassage: "Das live zu begleiten ist natürlich ein Wahnsinn", so Réthy, der die Bilder in langen Teilen unkommentiert für sich hatte sprechen lassen. Irgendwann habe er sich entschlossen, "das wirken zu lassen" und nichts mehr zu sagen. "Man ist kein Reporter mehr, sondern nur noch Mensch", lautete ein bemerkenswerter Satz, mit dem der ZDF-Mann bei Lanz auf den Punkt brachte, worum es geht.

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"Abgrundtief falsch"

Aber: Lanz sprach den Sportreporter auch auf die ethische Abwägung an, die ein Sender und ein Journalist in so einem Moment treffen müssen. Zum Teil hatte es an der Regie der Situation Kritik gegeben. Als für einen kurzen Augenblick Eriksens Gesicht in einer Einstellung zu sehen gewesen sei, "bin auch ich ein bisschen zusammengezuckt", gestand Réthy. Doch wo zieht man die Grenze zum Voyeurismus? Einerseits habe man eine "gewisse Informationspflicht", andererseits brauche es "möglichst große Diskretion, keine Fantasiererei, was denn geschehen sein könnte", dazu wenige oder gar keine Worte sowie eine defensive Regie. Er habe "Teile der Kritik" an der Regie verstanden, so Réthy, wolle den Regisseur aber auch in Schutz nehmen. "Wir sind möglichst behutsam aus der Situation rausgegangen", urteilte der Kommentator.

Auch die anderen Gäste bei Markus Lanz waren vom Gedanken an die Geschehnisse vom Samstag überaus berührt: Man kriege Gänsehaut, gestand Journalistin Ulrike Herrmann etwa mit Blick auf das Verhalten von Spielern und Fans. Es sei "selten, dass alle gleichzeitig das Richtige" machten. Für Ex-Fußballprofi Ewald Lienen war es gar "eine der emotionalsten Situationen", die er in den letzten Jahren vor dem Fernsehschirm erlebt habe. Man sehe so viel Tod und Leid - doch "wenn es live passiert, ist es was anderes". Er habe gewusst, dass "der Junge um sein Leben kämpft". Und, so ein sichtlich berührter Lienen: "Ich habe geweint vorm Fernseher." Die Entscheidung, das Spiel wieder anzupfeifen, halte er jedoch "für abgrundtief falsch" und "respektlos". Die UEFA hätte eingreifen müssen, mahnte der ehemalige St. Pauli-Trainer, der für den Verein heute Markenbotschafter ist.

"Oh mein Gott, bitte nicht"

Lienen nutzte die Gelegenheit, um auf eine weitaus größere Problematik aufmerksam zu machen: Diese Respektlosigkeit "dem einzelnen Menschen gegenüber, die erleben wir überall", sagte er. "Wir leben in einer Welt, in der Leid und Tod überall passiert - und wir machen trotzdem weiter." Egal, ob wir Waffen in Kriegsgebiete lieferten oder "unser Lebensstil dazu beiträgt, dass woanders Menschen sterben". Es habe ihn daher auch beim Fußballspiel am Samstag "nicht überrascht, dass es weitergeht". Dies habe der Fußball "nicht exklusiv".

Dass man das Spiel fortgesetzt habe, sei auch für Daniel Engelbrecht "unverständlich". Der ehemalige Fußballprofi, der 2013 auf ähnliche Weise wie Eriksen mitten im Spiel kollabiert war, berichtete bei Lanz von seiner Erfahrung - und davon, wie er den Schock am Samstag erlebt hatte. "Oh mein Gott, bitte nicht", habe er zuerst gedacht. Das Tückische, so berichtete Engelbrecht mit Blick auf seinen eigenen Zusammenbruch, sei: "Es kommt von jetzt auf gleich." Und: Das Existenzielle an der Situation verstehe man als Betroffener "absolut nicht". Er selbst sei damals wieder zu sich gekommen und habe direkt weiterspielen wollen. Für Eriksen hoffe er, dass er gesund wieder herauskomme. Für dessen Fußballjahr sah der 30-Jährige indes schwarz: "Ich rechne nicht damit, dass er in diesem Jahr nochmal Fußball spielt."

Um das Deutschland-Spiel ging es dann bei Markus Lanz aber doch noch: "Wie die Wiedergeburt eines Fußballreporters", umschrieb Béla Réthy gewohnt poetisch die Erfahrung eines Spiels vor 14.000 Zuschauern. Endlich habe er wieder das Gefühl gehabt, "keine Selbstgespräche" zu führen in leeren Räumen und Stadien. Und das Spiel der Deutschen? Verdient verloren, urteilte Réthy. Er sei aber trotz allem "ganz zuversichtlich, dass es bis zum Achtelfinale reicht". Und dann war da ja noch SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz, der bei Lanz von seinen politischen Ambitionen sprach, aber ganz kurz auch über Fußball: Hummels' Eigentor sei natürlich "blöd" gewesen, aber sonst habe die Nationalmannschaft "ganz engagiert" gespielt. Besser könne er es nicht formulieren - in die Riege der Millionen Nationaltrainer wolle sich Scholz jedenfalls nicht einreihen.

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