25 Jahre "quer" im BR-Fernsehen

Christoph Süß im Interview: "Ich bin leider ein totaler Internet-Barbar"

14.09.2023 von SWYRL/Elisa Eberle

Das satirische Wochenmagazin "quer" feiert 2023 Jubiläum. Im Interview spricht Moderator Christoph Süß über die Anfänge der Sendung vor 25 Jahren sowie den politischen Wandel in der Gesellschaft.

Mit einer durchschnittlichen Einschaltquote von 15,9 Prozent und 660.000 Zuschauern war "quer" das erfolgreichste Magazin im BR-Fernsehen des vergangenen Jahres. 2023 feiert das satirische Wochenmagazin sein 25-Jahre-Jubiläum. Anlässlich der Rückkehr aus der Sommerpause am Donnerstag, 14. September, um 20.15 Uhr, wirft Moderator Christoph Süß einen Blick zurück auf die Anfänge seiner Sendung und einen zunächst durchaus steinigen Weg. Außerdem sinniert der 55-jährige Münchner über Humor und den politischen Wandel in einer alternden Gesellschaft. Und er erklärt, warum das lineare Fernsehen seiner Meinung nach doch (noch) nicht ausstirbt.

teleschau: Herr Süß, sind Sie ein humorvoller Mensch?

Christoph Süß: Es ist natürlich die Frage, was man unter Humor versteht. Dürrenmatt definiert Humor, dass man sich und die Welt mit einer gewissen Distanz sieht, die ein gewisses Gelächter auf sich zieht. In diesem Sinne: Ja, ich denke schon!

teleschau: Hatten Sie also schon immer einen Hang zum Satiriker?

Süß: Hm, ich war ein Klassenclown. Ich glaube nicht, dass man das schon als Satire bezeichnen darf, aber ich war schon immer jemand, der Distanz herstellt übers Blödeln.

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"Ich hatte das Glück, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein"

teleschau: Wie kamen Sie vom Blödeln vor 25 Jahren zur Moderation von "quer"?

Süß: Ich hatte damals ein Kabarett-Programm, zu dem keiner kam, und machte mir Sorgen. Gleichzeitig - das wusste ich nicht - machte sich auch die Redaktion vom "Schlachthof" Sorgen, weil sie versuchten, die Sendung aus dem Quotentief herauszuholen. Eigentlich hatte die Sendung ein super Renommee, aber irgendwie guckten die Leute das nicht mehr. Ich war als Schauspieler schon während meiner Studienzeit beim Casting Association-Team von Florian Neubauer. Er hat auch das Schlachthof-Team betreut. Eines Tages nach der Sendung kamen die Verantwortlichen zu ihm und sagten: "Es läuft nicht gut! Was können wir tun?"

teleschau: Und er brachte Sie beide dann zusammen?

Süß: So heißt es in der Legende: Der Florian hat ein Video von mir herausgezogen, weil ich tags zuvor bei einem Casting war. Da sagte die Regisseurin: "Okay, du spielst jetzt einen Fernsehpriester, der eine Predigt hält und dabei versucht, seinen Gebrauchtwagen zu verhökern." In so was bin ich ganz gut, glaub ich. Florian sagte dann zu den Leuten vom Schlachthof: "Schaut euch das mal an! Da müsst ihr lachen, dann geht es euch besser!" Dann guckten die, lachten wohl und sagten: "Hm, wer ist der Mann?" Dann waren die in meinem Programm, fanden das irgendwie lustig, und dann haben sie mich gecastet - das war schlecht! Interviews führen konnte ich gar nicht. Dann haben sie mich noch mal gecastet, und es war immer noch schlecht. Aber sie haben mich trotzdem genommen. Das war ein großes Glück für mich!

teleschau: Eine Verkettung voller glücklicher Zufälle also?

Süß: Ja, genau! Es gibt diese ganzen Erfolgsbücher: Zehn Wege zum Erfolg, man muss an sich glauben, man muss arbeiten und laber, laber. Ich will nicht sagen, dass das alles falsch ist, aber der wesentliche Punkt steht nicht drin: Man muss Glück haben! Zu dem Zeitpunkt, als ich den Job bekommen habe, gab es zig-Leute, die genauso qualifiziert waren wie ich. Doch nur ich hatte das Glück, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein.

"Am Anfang war die Sendung gar nicht erfolgreich"

teleschau: Der Erfolg von "quer" hält jetzt schon 25 Jahre an. Hätten Sie sich das erwartet?

Süß: Nein! Es hat nie zu meinen Stärken gehört, selbst stark in die Zukunft zu projizieren. Ich habe immer gedacht: "Joa, läuft offensichtlich", aber darüber, was das bedeutet, habe ich nie nachgedacht. Am Anfang war die Sendung ja gar nicht erfolgreich! Es hat eine ganz schön lange Zeit gedauert, bis wir uns gefunden haben und das Publikum uns gefunden hat. Aber seit das Publikum weiß, was wir machen, bleibt es auch, was schön ist.

teleschau: Sie sagten, die Sendung war anfangs nicht so beliebt. War sie ihrer Zeit voraus?

Süß: Nein, das würde ich nicht sagen. Aber es war ein Wagnis, satirische und kabarettistische Kommentarteile mit klassischem Journalismus zu kombinieren. Normalerweise hält man diese Teile streng getrennt, weil man dem Publikum nicht zutraut, eine Unterscheidung zu treffen. So wie wir machen es nicht sehr viele, ich glaube sogar niemand außer uns.

teleschau: Ist diese Kombination aus Satire und Seriosität also das Erfolgsrezept, das "quer" von weniger erfolgreichen Sendungen unterscheidet?

Süß: Das weiß ich nicht. Das ist eine schwierige Frage, denn zur Beantwortung müsste ich sagen: "Die Kolleginnen und Kollegen von dieser oder jener Sendung haben hier oder da etwas falsch gemacht." Wir haben die Entscheidung getroffen, diese Nische erarbeitet. Ich hoffe, dass man der Sendung anmerkt, dass immer noch viel Arbeit, viel Liebe und viel Ernsthaftigkeit darin stecken. Aber wissen Sie, wenn ich das wahre Erfolgsgeheimnis kennen würde, dann würde ich nicht bei "quer" arbeiten! (lacht)

"Ich bin leider ein totaler Internet-Barbar"

teleschau: Die Medienlandschaft hat sich in den vergangenen Jahren sehr verändert. Wie geht "quer" in seiner Zielsetzung mit?

Süß: Wir hatten relativ früh einen großen Online-Auftritt, an dem kundige Menschen sehr erfolgreich arbeiten. Das heißt, wir haben die Verschiebung hin zu den sozialen Medien mitgemacht, ohne die Sendung im linearen Programm anzupassen, weil Leute, die das lineare Programm sehen, eh eine andere Sehgewohnheit haben als im Digitalen. In der Sendung ist es so, dass die Verweildauer relativ lange ist. Das heißt, die Menschen, die einschalten, schauen die Sendung in der Regel auch ganz. Im digitalen Bereich - das wissen wir alle - ist die Aufmerksamkeitsspanne deutlich kürzer.

teleschau: Würden Sie sagen, dass die Arbeit heute leichter oder schwerer ist als früher?

Süß: Puh, keine Ahnung. Ich glaube, man selbst wird müder, und deswegen kommt einem die Arbeit schwerer vor.

teleschau: Was war die größte Herausforderung in 25 Jahren?

Süß: Die Herausforderung ist jede Woche gleich. Wir versuchen, ein sinnvolles interessantes Programm mit Haltung zu machen, in dem wir dem Publikum ein paar Geschichten anbieten, die es dann weiterdenken kann. Wirkliche Dramen gab es relativ wenige. Ich bin auch nicht gut darin, so was zu erzählen. Wissen Sie warum? Ich vergesse immer alles sofort! Ich habe mich diese Woche mit dieser Woche befasst, wenn Sie mich fragen, was letzte Woche war, krieg ich vielleicht noch ein, zwei Themen hin. Vorletzte Woche? Keine Ahnung! Das hat vielleicht auch mit der Struktur zu tun, jede Woche was abliefern zu müssen.

teleschau: Dann scheint es aber zumindest keinen riesigen Shitstorm gegeben zu haben...

Süß: Ich glaube, die Redaktion hält riesige Shitstorms auch ein bisschen von mir weg. Ich weiß gar nicht, welche hässlichen Beschimpfungen im Netz auf uns einprasseln. Ich nehme an, das übliche.

teleschau: Lesen Sie keine Kommentare, zum Beispiel auf Facebook oder Instagram?

Süß: Naa, ich lese keine Kommentare, und Kritiken lese ich auch nicht. Ich bin leider ein totaler Internet-Barbar, der klassische Boomer: Die klassischen Zeitungen lese ich auch online, aber das Bedürfnis, online Kommentare zu verbreiten, habe ich nicht, weil das ja mein Job ist.

"Natürlich macht uns diese Situation auch Angst"

teleschau: Ein Kommentar, den man häufiger unter den Beiträgen von "quer" liest, ist: "Bedauerlicherweise ist diese Sendung zu weit nach links abgedriftet." Was entgegnen Sie dem?

Süß: Dass unsere Gesellschaft bedauerlicherweise zu weit nach rechts abgedriftet ist.

teleschau: Würde die Sendung anders aussehen, wenn Bayern von der Ampel regiert würde?

Süß: Nein, das glaube ich nicht. Ich glaube eher, dass sich etwas in unserem Gesamtsystem verschoben hat: Wer heutzutage nicht dezidiert rechts ist, ist links. Heute wird man relativ rasch einem Lager zugeordnet: Wenn man nicht die ganze Zeit gegen die üblichen Verdächtigen belfert, dann heißt es, man sei links.

teleschau: Wie versuchen Sie mit Ihrem Satiremagazin darauf zu reagieren?

Süß: Ach, wir führen die gleichen Diskussionen zu dem Thema wie anderswo: Wie kann man versuchen, Leute zu erreichen, die man eigentlich nicht mehr erreichen kann? Ich habe dazu keine Antwort, sonst hätte ich ein Buch darüber geschrieben. Wissen Sie, wenn jemand sagt: "Ich bin gegen eine Elektroheizung, weil ich auch gegen die Corona-Impfung gewesen bin", dann fällt mir dazu nichts ein außer: "Aha." Natürlich macht uns diese Situation auch Angst, aber eine Lösung fällt mir nicht ein.

"Ich habe Angst vor einer noch mehr medial überdonnerten Zukunft"

teleschau: Sehen Sie Ihre Sendung vor dieser Strömung bedroht?

Süß: Nein, nein, nein! Das nicht. Die Leute, die "quer" schauen, schauen lange "quer", und es kommen immer neue dazu. Es ist nicht so, dass die gesamte Gesellschaft nach rechts gerückt ist. Ich nehme an, dass die Leute, die "quer" sehr links finden, die Sendung nicht mehr schauen, aber dass es gleichzeitig Menschen gibt, die sagen: "Gerade jetzt!" Tatsächlich werden unsere Quoten immer besser.

teleschau: Eigentlich interessant in einer Zeit, in der es heißt, lineares Fernsehen sterbe aus...

Süß: Naja, das Fernsehen stirbt jetzt schon lange aus. Klar, in der Zuschauerstruktur der Öffentlich-Rechtlichen sind die jüngeren Leute so alt wie ich. Aber die Mehrheit unserer Gesellschaft sind Menschen über 50. Die leben frecherweise auch noch und wollen Fernsehen schauen! Und in zehn Jahren ist es vielleicht immer noch so - das ist krass! Seit 25 Jahren heißt es: "Fernsehen stirbt ja." Zeitungen sterben auch, die gibt es schon gar nicht mehr - bis ich an den Kiosk gehe und sehe: Oh, die gibt es ja doch noch! Das Sterben zieht sich hin.

teleschau: Sie haben also keine Angst vor einer fernsehlosen Zukunft?

Süß: Nein. Ich habe Angst vor einer noch mehr medial überdonnerten Zukunft. Wie sagte Werner Schneyder klug auch schon vor 30 Jahren: "Das Fernsehen gibt mehr Unterhaltung aus, als es hat." Ich sage: Unsere digitale Mediengesellschaft gibt mehr Information aus, als sie hat. Deswegen kommt auch so viel Schmarrn, denn so viel gibt es auf der Welt gar nicht zu berichten.

"Ich bin ein rechter Stubenhocker"

teleschau: Sie sagen, die Menschen, die heute "quer" schauen, sind oft über 50. Würden Sie "quer" dann noch als Jugendsendung bezeichnen?

Süß: Nein! "quer" war noch nie eine Jugendsendung. Es lief nur in der Sparte "Jugendprogramm". So heißt die aber schon lange nicht mehr. Aber ich weiß, dass wir schon damals vor 25 Jahren gesagt haben: "Das Letzte, was junge Leute sehen wollen, ist eine Jugendsendung." Und dann haben wir auch davon abgelassen, eine sein zu wollen. Ich meine, ich war Anfang 30! So jung ist das auch wieder nicht.

teleschau: Denken Sie diesen Alterungsprozess bei der Konzeption der Sendung mit?

Süß: Natürlich! Nicht nur das Publikum, die ganze Gesellschaft altert. Die jungen Menschen sind nicht die Mehrheit in dieser Gesellschaft! Politisch ist das nicht ohne Bedeutung: Wenn beim Brexit zum Beispiel alle unter 30-Jährigen, die zur Mehrheit gegen den Brexit gewesen sind, wirklich gegen den Ausstieg gestimmt hätten, wäre Großbritannien trotzdem ausgestiegen.

teleschau: Wurden Sie eigentlich schon einmal von einem Politiker oder einer Politikerin auf die Sendung angesprochen?

Süß: Nein, ich bin noch nie einem Politiker über den Weg gelaufen. Ich bin ein rechter Stubenhocker und werde selbst auch wenig auf der Straße angesprochen. Wenn das in einem Monat zweimal passiert, dann war es aber oft!

teleschau: Was wünschen Sie sich für die Zukunft von "quer"?

Süß: Dass wir unbehelligt weiterarbeiten können, und ich glaube, der Wunsch geht auch in Erfüllung.

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