Gift auf dem Teller - Di. 22.06. - ARTE: 21.40 Uhr

Harvey Wiley: Erinnerungen an einen Quälgeist

20.06.2021 von SWYRL/Eric Leimann

Ein unbesungener Held der Menschheit bekommt seinen Dokumentarfilm. Der amerikanische Arzt und Lebensmittelchemiker Harvey Wiley kämpfte Anfang des 20. Jahrhundert für gesunde Nahrungsmittel, als die neue Lebensmittelindustrie unfassbare Zutaten und Betrügereien als modernes Essen verkauften.

Sicher, auch heute noch gibt es viel an der Lebensmittelindustrie herumzumäkeln: Ungesunde Zusatzstoffe werden verschwiegen oder irreführend deklariert, Konsumenten mit falschen Werbeversprechen an der Nase herumgeführt. Und doch gibt es mittlerweile durchaus mächtige Kontrollinstanzen für Lebensmittelsicherheit. Sowohl von staatlicher Seite als auch durch eine kritische Öffentlichkeit. Ganz anders sah das aus, als sich die USA Ende des 19. Jahrhunderts inmitten einer großen gesellschaftlichen Umwälzung befanden. Die zweite Welle der Industrialisierung sorgte dafür, dass Millionen von Menschen vom Land in die Städte zogen - um in Fabriken zu arbeiten. Damit änderten sich die Ernährungsgewohnheiten. Nicht mehr der Bauer von nebenan versorgte einen mit Essen - wenn man nicht ohnehin Farmer war - sondern neuartige Konserven und andere haltbar gemachte Lebensmittel, die industriell für den neuen Massenmarkt produziert wurden.

Im Mittelpunkt der ARTE-Dokumentation "Gift auf den Teller" steht der Arzt und Chemiker Harvey Wiley. Er begann früher als andere, diese Lebensmittel zu untersuchen. Eine der ersten Studien des Professors aus Indiana fand heraus, dass 90 Prozent der als Honig deklarierten Produkte in seinem Bundesstaat Fälschungen waren. In der Regel handelte es sich um gefärbten Mais-Sirup. Ausgehend von diesem Skandal startete Wiley eine lange Karriere als Stachel im Fleisch von Politik und mächtiger Lebensmittelindustrie, die zu jener Zeit völlig außerhalb jeglicher Qualitätskontrolle agieren durfte. Die Folge: Verwest riechende Fleischkonserven, mit Gift konserviertes Gemüse, mit Kalk oder Formaldehyd gestreckte Milch, verwurstete Ratten in den Fleischfabriken Chicagos - die Liste ist lang. Tote waren die Folge, ohne Konsequenz für die Industrie.

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250 Milligramm Kokain auf einen Liter Coca Cola

Berühmt wurden Wileys Experimente an einer Gruppe junger Männer, die 1902 und 1903 als "Poison Squad" systematisch mit verbreiteten und höchst beliebten Nahrungsmitteln der Lebensmittelindustrie ernährt wurden und deren sich immer weiter verschlechternder Gesundheitszustand wissenschaftlich festgehalten wurden. Alle Männer überlebten das ethisch heute ganz anders bewertete Experiment. Mit ihm konnte Wiley einer breiten Öffentlichkeit und verantwortungsvollen Politikern allerdings zeigen, wie gefährlich viele Zusatzstoffe waren. Auf seiner Arbeit fußen die ersten Lebensmittelgesetze der USA. Dabei legte sich der streitbare Wissenschaftler auch immer wieder mit großen US-Konzernen an.

So auch mit Coca-Cola, deren stark koffeinhaltiges Getränk Coca-Cola er für Kinder - die Hauptzielgruppe der Limonade - als nicht geeignet empfand. Bis 1903 enthielt das "erfrischende" und wach machende US-Alltagsgebräu sogar etwa 250 Milligramm Kokain pro einem Liter Coca-Cola. Als Industrie-Quälgeist Wiley, der lange Zeit für Regierungsstellen arbeitete, 1912 auf Druck von Lobbygruppen aus dem Dienst entfernt wurde, gründete er die äußerst erfolgreiche Zeitschrift "Good Housekeeping Magazine", mit der er nun nicht mehr über Gesetze, sondern die Presse mit der Öffentlichkeit sprach - und sie vor Lebensmittelbetrügereien und Gefahren warnte. Harvey Wiley, der noch spät heiratete und zwei Kinder zeugte, starb 1930 im Alter von 85 Jahren. Den amerikanischen Dokumentarfilm von John Maggio aus dem Jahr 2019 über Harvey Wileys Leben zeigt ARTE als deutsche TV-Premiere.

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