Interview zur großen Kabel Eins Doku

800 Meter Wahnsinn: Peter Giesel erklärt das Phänomen Ballermann

21.08.2022 von SWYRL/Marina Birner

Sonne, Schlager, Sangria - und sonst? - Peter Giesel fühlt der berühmt-berüchtigten Partymeile in der Kabel Eins-Doku "50 Jahre Ballermann" auf den Zahn. Der Journalist und Moderator gibt im Interview exklusive Einblicke!

Bereits ein halbes Jahrhundert zählt der sogenannte "Ballermann" auf Mallorca zu den beliebtesten Reisezielen der Deutschen. TV-Reporter Peter Giesel (54) taucht in seiner Dokumentation "50 Jahre Ballermann" (am Samstag, 27. August, um 20.15 Uhr, auf Kabel Eins) tief ein in die Welt der 800 Meter langen Partypromenade: Was löste einst den Hype aus? Und was hat ein Fußballclub aus Köln mit der Geburtsstunde des Hotspots in El Arenal zu tun? Auf diese und viele weitere Fragen rund um das Phänomen "Ballermann" liefert der "Achtung Abzocke" - Profi Antworten. Im Interview macht er deutlich, dass sich so manches geändert hat - aber nicht alles ist schlechter geworden, betont Peter Giesel. Er wagt einen überraschend positiven Ausblick und spricht ausführlich über 50 Jahre Ballermann, eine Zeit voller Höhen und Tiefen.

teleschau: Herr Giesel, wie man hört, steht bei Ihnen der Urlaub vor der Tür: Wohin führt die Reise?

Peter Giesel: Ah, es geht nach Kalifornien. Nachdem ich letztes Mal mit der Familie auf Mallorca war, haben wir jetzt drei Wochen lang eine Rundreise durch Kalifornien gebucht. Da freuen wir uns schon sehr drauf.

teleschau: Auf Mallorca waren Sie zuletzt auch beruflich viel unterwegs. Haben Sie die Dreharbeiten zu "50 Jahre Ballermann" an der berühmtesten Partymeile Europas unbeschadet überstanden?

Giesel (lacht): Ja, es war gar nicht so übel. Es war für mich - genauso wie nun auch für die Zuschauerinnen und Zuschauer - eine echte Zeitreise. Ich habe Fotos und Videomaterial in die Hände bekommen, Bilder, von denen man sich nicht einmal vorstellen kann, dass sie existieren. Was da in den 80-ern und 90-ern los war ...

teleschau: Also dann: Worauf können sich die Zuschauerinnen und Zuschauer gefasst machen?

Giesel: Die Dokumentation zielt darauf ab, die Höhen und Tiefen des Ballermanns zu beleuchten und herauszufinden, wie es überhaupt dazu kam, dass sich Deutsche so weit weg von der Heimat so daheim fühlen, dass sie beim Strandurlaub Schweinsbraten, Bier und Schlager brauchen - und so was auch noch toll finden.

teleschau: Und? Wie kam es dazu?

Giesel: Man wollte einfach irgendwo den verruchten Schlager genießen. In Deutschland gab es zwar noch die "ZDF-Hitparade", aber das war doch alles recht trocken. Schlager war nicht das, was es heute ist. Das Muster, so sein zu dürfen, wie man in Deutschland nicht mehr sein durfte, zieht sich durch die ganzen fünf Jahrzehnte Ballermann.

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"Ballermann 6' war ein wahrer Brandbeschleuniger"

teleschau: Was beeindruckt Sie persönlich an dieser Geschichte?

Giesel: Dass die Feiermeile schon immer so generationsübergreifend war. Der Ballermann ist eben nichts, was in den 70er-Jahren erfunden wurde und steckengeblieben ist. Im Gegenteil: Er hat sich immer ein bisschen neu erfunden. Es gibt natürlich auch so Urgesteine wie Jürgen Drews oder Mickie Krause, die selbst Jahrzehnte mit an Bord sind. Aber auch sie haben es immer wieder geschafft, zeitgemäß zu bleiben und größer zu werden. Die Urlauber werden zwar von den spanischen Gastronomen wie die Weihnachtsgänse ausgenommen, haben aber einen Ort, wo sie so feiern können, wie es in der Heimat nicht möglich ist. Väter werfen mit ihren Söhnen mal einen Blick ins "Oberbayern", oder Großväter zeigen ihren Enkel den "Megapark". Das sind Momente, die zeigen, dass der Ballermann ein Ort ist, der nicht nur die Zeiten, sondern auch die Generationen überlebt - völlig unabhängig vom sozialen Stand. Und genau das macht den Ort so besonders.

teleschau: Hatten Sie mit Schlagergrößen wie Mickie Krause oder Jürgen Drews bereits das Vergnügen?

Giesel: Ja, und ich muss sagen, wir sind alle total traurig darüber, dass Jürgen Drews während der Dreharbeiten sein Karriereende am Ballermann sowie in Deutschland verkündet hat und aus gesundheitlichen Gründen leider nur noch aus dem Archiv zur Verfügung stand. Wir haben jedoch mit vielen anderen gesprochen, die die Sendung prägen. Von Bernhard Brink über Tom Gerhardt bis hin zu Mia Julia ist alles dabei, was auf Malle Rang und Namen hat.

teleschau: Welche Rolle spielt ein gewisser Kultfilm mit Tom Gerdhardt aus den 90-ern?

Giesel: Der Film "Ballermann 6" war ein wahrer Brandbeschleuniger. Danach ging es erst richtig los. Ende der 90er-Jahre war auch ich auf Mallorca - aber noch als etwas jüngerer Reporter. Ich habe immer wieder über die großen Familienclans berichtet, die sich dort die gastronomischen Tempel aufgebaut haben. Häufig hatte das auch einen Hauch von Mafia.

teleschau: Gibt es dort wirklich jene dunklen Ecken, von denen man sich als Tourist fernhalten sollte?

Giesel: Absolut. Heutzutage zeichnen sich die Besitzerfamilien von unterhaltungsgastronomischen Betrieben jedoch dadurch aus, dass sie nicht auffallen, die Straßen sicher halten und ihre Geschäfte sauber abwickeln. Früher war es viel dunkler und hässlicher. Mittlerweile wurde das Gesamtbild der Playa de Palma aufgewertet. In der Gastronomie wurde fast überall ein Stern mehr draufgehauen. Klar fallen manchmal Leute da auf, wo viel Alkohol getrunken wird, werden vielleicht auch aggressiv. Aber im Großen und Ganzen ist der Ballermann heute ein Ort, den auch Familien besuchen können. Also ich hätte auf den Ramblas in Barcelona eher Angst, beraubt oder bestohlen zu werden als auf der Playa.

"Es ist zweifelsfrei richtig und wichtig, dass es Grenzen gibt"

teleschau: Schließen sich erholsame Familien-, Luxus- und Partyurlaube nicht gegenseitig aus?

Giesel: Nein, das würde ich nicht sagen. Ich glaube, man hat einen Weg gefunden, wie alles möglich ist. Ja, Viereinhalb Sterne-Hotels und ein Ort wie der Megapark lassen sich auf ein und derselben kleinen Insel unterbringen. Noch vor 20 Jahren hat der ganze Block gescheppert, während Mickie Krause gemeinsam mit fünftausend Leuten gefeiert hat. Unglaubliche bauliche Investitionen und Sicherheitsmaßnahmen machen es heute möglich, die feierwütige Menge vom Rest abzuschotten. Das meiste wurde quasi schalldicht gemacht. Diese zweite Hälfte dieser 50 Jahre habe ich als Journalist immer wieder mitverfolgt, auch über die Grenzen der 800 Meter Partymeile hinaus. Warum der Ballermann aber so eine große Rolle spielt, ist einfach zu sagen: Über 15 Prozent des kompletten touristischen Umsatzes Mallorcas sollen dort gemacht werden.

teleschau: Wie bewerten sie dann die neue Tourismuspolitik der Regierung vor Ort? Es sollen beispielsweise keine weiteren Gästebetten mehr zur Verfügung gestellt werden.

Giesel: Man muss da etwas differenzieren. Ich glaube, die Gastronomen an der Playa würden einen Teufel tun, allen Partytourismus von dort zu verbannen. Und eines haben sie erkannt: Die Partytouristen haben auch ein bisschen mehr Geld als früher, sind vielleicht etwas älter, haben nach Stunden im Megapark auch einfach Lust auf ein anständiges Hotelbuffet, ein schönes Hotelzimmer, eine nette lauschige Bar. Ich glaube, beides ist miteinander zu vereinbaren. Der Spagat gelingt dort derzeit sehr gut.

teleschau: Stellen Einschränkungen also keine Notwendigkeit dar?

Giesel: Doch! Es ist zweifelsfrei richtig und wichtig, dass es Grenzen gibt. Diese liegen natürlich im Benehmen draußen auf der Straße: Dass sich Menschen einfach nackt ausziehen oder ihr Geschäft irgendwo verrichten, würde jedem Gastronomen sowie jedem Stadtrat - völlig egal, ob es jetzt in der Münchner Innenstadt oder an der Playa ist - widersprechen. Die Partytouristen an sich werden jedoch nicht aussterben. Ich glaube, dass diese Symbiose von gehobeneren Hotels und der Möglichkeit, an gewissen Orten innerhalb gewisser Schranken und Grenzen auch zu feiern, erfolgsversprechend sein wird. Kein Mensch will Eimersaufende und sich erbrechende Touristen am Strand liegen haben, niemand. Das ist weder für die Touristen, noch für den Flair, noch für die Gastronomen gut.

"Die sozialen Grenzen verschwinden total. Es ist egal, wo du herkommst."

teleschau: Eine Einschränkung, die niemand wollte, war Covid-19. Wird sich die Partymeile erholen?

Giesel: Ja. Ich konnte bereits in dieser Saison sehen, dass sich der Ballermann erholen wird. Es gibt einfach enormen Nachholbedarf bei dieser Zielgruppe. Fast alle Läden sind wieder gefüllt wie vor der Pandemie. Randerscheinungen wie einzelne Restaurantschließungen blieben natürlich nicht aus. Im Großen und Ganzen ist es aber ein Urlaubsort, der wieder in vollem Glanze auferstanden ist.

teleschau: Damit sind bestimmt auch wieder viele Tourismusfallen auferstanden? Haben Sie als Profi Tipps für unsere Leserinnen und Leser?

Giesel: Ja, natürlich. Ich sage nur das Stichwort: "Getränke am Strand". Es ist nicht erwünscht, verboten oder verpönt, aus Eimern zu saufen. Wer nun aber doch ein kühles Bier oder eine schöne Sangria am Strand trinken möchte, der halte sich bitte an die Strandbars, an die "Balnearios" und nicht an die geflügelten, ähem fliegenden Händler (schmunzelt). Sie kaufen das Billigste aus den untersten Schubladen im Supermarkt nebenan, füllen es in Becher um und verkaufen es für das Zehnfache. Das nenne ich "Abzocke royal". Zudem gibt es Paella an der Palma nur ganz selten frisch und gut. Wenn sie in sieben Minuten auf dem Tisch steht, dann ist es keine Paella. Man muss manchmal nur ein paar Meter weiter gehen und bekommt eine gute Qualität. In den anliegenden Ortschaften oder Palma gibt es viele tolle Paella-Restaurants. Aber von Sangria und Paella am Strand sollte man die Hände lassen.

teleschau: Waren fliegende Händler Ihre größte Sorge während der Dreharbeiten, oder wurden Ihrer Crew noch weitere Steine in den Weg gelegt?

Giesel: Ja, wir dachten immer, es wäre schwer, mit Superstars von heute, wie Mia Julia, zu drehen. Was aber wirklich schwer war, war mit Tom Gerhardt zu drehen. Knapp 30 Jahre nach der Ballermann-Filmpremiere ist der Typ noch immer bekannt wie ein bunter Hund. Mit ihm mussten wir weg von diesem Streifen Strand. Wir haben uns dann einfach auf ein kleines Boot gesetzt, sind mit ihm die Küste abgefahren und haben dort das Interview geführt. Tom Gerhardt steht wie kein anderer Mensch für den Ballermann. Er hat dem Ganzen den Stempel aufgesetzt. Das zeigt, was für eine Strahlkraft gerade sein Film hat.

teleschau: Können Sie denn eine Ballermann-Anekdote aus eigener Erfahrung zum Besten geben? Etwas, das Ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist?

Giesel: Hm (überlegt) ... - Eine, die ich erzählen kann (lacht): Ich habe mal einen nicht mehr zu nennenden, alten Schlagerstar kennengelernt, der mir dann den ganzen Abend erzählt hat, wie toll das alles früher war und wie wenig er da mittlerweile in seinem hohen Alter nach seinen Auftritten noch mitfeiern kann. Morgens um halb vier ist er mir dann bei dem Versuch, die Lokalität zu verlassen, auf allen Vieren entgegengekommen. Das hat mir wieder gezeigt, dass auch diejenigen, die damit aufgewachsen sind und eigentlich offiziell ein bisschen damit gebrochen haben, es tief in ihrem Herzen dann doch noch ganz schön klasse finden. Am Ballermann feiern auch die Alten wie früher!

teleschau: Wer repräsentiert die Ballermann-Kultur Ihrer Meinung nach?

Giesel: Diese Frage kann ich nur mit "Ich weiß es nicht" beantworten. Ich glaube eben nicht, dass es an einer sozialen Gruppe hängt, wie beispielsweise nur an den Schlagerstars oder nur an den Junggesellenabschieden. Ich glaube, dass es universal geworden ist. Die sozialen Grenzen verschwinden total. Es ist egal, wo du herkommst. Ich meine, tendenziell hat man immer paar mehr NRW-ler am Ballermann. Aber auch wir Bayern sind vertreten. Berlin, meine Heimat, höre ich auch immer wieder. Es macht den Partystreifen aus: Der Ballermann ist ein Phänomen, das Urlauberklassen zusammenbringt und verschmelzen lässt. Im Großen und Ganzen ist der Ballermann frei von Fremdenfeindlichkeit, frei von Extremen und übrigens auch fast frei von Drogen. Am Rande ist immer bisschen was los, aber kein Vergleich zu vor acht bis zehn Jahren.

Die Zukunft des Ballermanns

teleschau: Warum lässt sich die Geburtsstunde dieses Ortes eigentlich auf genau 50 Jahre in der Vergangenheit datieren?

Giesel: Es gab niemanden, der sich dort hingestellt hat und meinte, das sei jetzt der Ballermann. Aber es gibt einen Fußballverein aus Köln, dessen Jungs damals Schwierigkeiten hatten, nach dem ein oder anderen Bier das Wort Balneario auszusprechen. Sie behaupten, die Ersten gewesen zu sein, die Folgendes ausgesprochen haben: "Wo treffen wir uns morgen? Da am Baller, Ba, da, wo wir geballert haben. Am Ballermann." In der Tat fliegen die Hobbyfußballer seit 1972 jedes Jahr dorthin. Das ist historisch und faktisch nicht ganz sauber, aber abstreiten kann's auch keiner. Daher setzen wir die Marke "50 Jahre Ballermann" bei 1972. Wir wären froh, würde sich ein Forscherteam auftun und sagen: "Hier ist das Beweisdokument" (lacht). Irgendwo muss man aber auch einfach beginnen.

teleschau: Welche Zukunft hat der Ballermann?

Giesel: Ich bin mir sicher, dass wir auch "75 Jahre Ballermann" feiern werden. Die Musik wird dann vielleicht ein bisschen anders sein, die Hotels werden dann vielleicht anders aussehen. Der Deutschen Exklave im Ausland, wo ihnen nicht immer auf die Finger gehauen wird, wird auch in den nächsten 25 Jahren nicht an ein anderes Land vergeben werden.

teleschau: Worauf kommt es dabei an?

Giesel: Es ist enorm wichtig, dass wir alle Gäste und Beteiligten ernst nehmen. Auf der anderen Seite sind es die Spanier, die einfach nicht wollen, dass das Gut vor ihrer Haustür in Verkommenheit gerät. Sie wollen uns als Gäste haben und halten uns schon so lange die Treue. Wir sind es ihnen schuldig, diesem Ort vielleicht künftig auch ein bisschen mehr Respekt entgegenzubringen. Dann bin ich mir sicher, dass es in 25 Jahren noch mal ein Jubiläum geben wird!

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