03.12.2025 von SWYRL/Susanne Bald
Pierre Linhart schuf mit seinem Regiedebüt ein so berührendes wie kluges Drama über Herkunft, Zugehörigkeit und Familie. Die Geschichte von Thibaut, der mit seinem siebenjährigen Adoptivsohn in dessen Heimat im Senegal ihrer beider Vergangenheit aufarbeitet, klingt noch lange nach.
Thibaut (toll: Jean Le Peltier) und sein Adoptivsohn Gabriel (Tyron Bayineni) leben in Paris ein glückliches Familienleben. Eigentlich. Denn seit Kurzem verhält sich der Siebenjährige ablehnend, ist bockig, traurig, verschlossen. Womöglich ist es an der Zeit, Gabriel zu zeigen, wo er herkommt, um die Fragen zu beantworten, die ihn womöglich umtreiben? "Der andere Vater", das Regiedebüt des Drehbuchautors Pierre Linhart ("Giftige Saat"), ist am Freitagabend bei ARTE als deutsche Erstausstrahlung zu sehen. Es ist ein berührendes, sensibel erzähltes Drama über Identität, Herkunft und Zugehörigkeit.
Thibaut lebte bis vor einigen Jahren auf der Insel Gorée im Senegal. Von hier wurden einst Menschen als Sklaven über den Atlantik verschifft. Auch wenn es heute Uneinigkeit über die wahre Bedeutung als Zentrum des Sklavenhandels in Westafrika gibt, besuchen nach wie vor allem zahlreiche Afroamerikaner und Afroamerikanerinnen die Insel, um ihrer Herkunft nachzuforschen. Das "Haus der Sklaven", von dem aus die Sklaven durch die "Tür ohne Rückkehr" auf Schiffe getrieben und ihrer Heimat und Familien entrissen wurden, ist heute Museum und Gedenkstätte.
Hier arbeitete Thibaut, ehe er mit Gabriel nach Frankreich zurückkehrte. Er hatte den Jungen als Baby adoptiert, nachdem dessen Mutter Awa ihn zurückgelassen hatte und verschwand. Thibaut habe sofort väterliche Gefühle für das Kind gehabt, erinnert er sich. Und doch fragt er sich: Bin ich auch ein guter Vater?
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Identitätssuche auf La Gorée
Während Thibaut Gabriel seine Heimat zeigt und mit ihm gemeinsam nach Awa sucht, erinnert er sich auch immer wieder an Miles. Mit dem Afroamerikaner verband ihn eine große Liebe, Miles wurde zu einer Art zweiter Vater für den kleinen Gabriel. Doch irgendwann muss die Beziehung zerbrochen sein.
So wie Gabriel heute, war Miles damals auf Gorée auf Identitätssuche. Er habe von einer Art "Heimkehr" geträumt, erklärt er Thibaut in einer schmerzhaft berührenden Rückblende. Doch anstatt wie ein Heimgekehrter werde er von den Einheimischen nur wie ein weiterer geldbringender US-Tourist behandelt. Er fühle sich weder hier noch dort, in den USA, zugehörig: ein Konflikt, den er mit vielen Nachfahren afrikanischer Sklaven teilen dürfte.
Unterschiedliche Konzepte von Familie
Und Gabriel? Der ist sauer auf Awa, versteht nicht, warum sie ihn nicht wollte. Und Awa zeigt in der Tat nicht die mütterliche Wiedersehensfreude, die man sich auch als Zuschauer erhoffen würde. Awa ist extrem rational, taff, gereadezu streng. Sie findet, dass sie alles getan habe, was eine gute Mutter für ihr Kind tun könne - ihm ein gutes Leben, eine gute Familie bereiten. Und das setzt nicht zwingend Blutsverwandtschaft voraus ...
"Der andere Vater" entwickelt von Anfang an einen Sog, ein Wechselbad der Emotionen, öffnet die Augen für verschiedenste Konzepte von Familie, Identität und Zugehörigkeit und die damit verbundenen Konflikte. Es ist eine warmherzige, doch niemals kitschige Geschichte, die Hoffnung gibt. Auch darauf, dass es immer wieder einmal Filmperlen wie diese geben wird, die tief ins Herz treffen, zum Nachdenken anregen und noch lange in einem nachwirken.
Beim diesjährigen internationalen Filmfestival in La Rochelle wurde "Der andere Vater" zurecht mehrfach ausgezeichnet, darunter für den besten Film und den besten Hauptdarsteller, Jean Le Peltier.



