Corona-Aufklärer im ZDF-Talk

"Unsichtbare Welle": Epidemiologe warnt bei Markus Lanz vor "Herbstorkan"

03.09.2021 von SWYRL/Frank Rauscher

Im Wahlkampf wird aktuell wenig über die steigenden Inzidenzen und Gefahren der Pandemie gesprochen. Epidemiologe Alexander Kekulé setzte nun bei Markus Lanz ein deutliches Zeichen. Er sprach von einer "unsichtbaren Welle" und warnte vor einem "Herbstorkan".

Es war nicht allzu schwer, am späten Donnerstagabend bei "Markus Lanz" ein bisschen wegzudösen: FDP-Politiker Marco Buschmann musste sich fast eine halbe Stunde lang tapfer über die Steuerpläne und Koalitionsambitionen seiner Partei auslassen. So kritisch Lanz auch nachfragte, es war alles in allem eine zähe Angelegenheit.

Politiker im Wahlkampfmodus - das hat man dieser Tage ja nicht gerade selten. Doch als es bei Lanz um die Corona-Pandemie ging, stieg der Adrenalinpegel schlagartig: Der Epidemiologe Alexander Kekulé nutzte die Gelegenheit des ZDF-Talkauftritts, um mit Blick auf steigende Inzidenzen wachzurütteln. Er sprach von einem drohenden "Herbstorkan" - ein Wort, das kurz nach Mitternacht in der Tat die Wirkung eines doppelten Espressos hatte.

Der Pandemie-Experte hatte es sich offensichtlich zur Aufgabe gemacht, bei Lanz von Anfang an Klartext zu reden. "Wenn man öffnet, das war nach dem ersten Lockdown schon so, dann ist es immer so, dass man zugleich eine höhere Durchseuchung kriegt", erklärte der Professor, der sich für eine offenere Diskussion darüber aussprach und seine alte Forderung nach einer anderen "Begründungskultur" wiederholte. Man müsse es wieder deutlicher sagen: "Auf der einen Seite sind Freiheiten, auf der anderen gewisse Opfer und Nachteile, die man hat."

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"Wir sind im Endspiel der Pandemie"

Kekulé war allerdings, wie man es von ihm gewohnt ist, auch um Ausgleich und Aufklärung bemüht, weit davon entfernt, Panik zu schüren. So sprach er zunächst von einer relativ "komfortablen Situation", da 70 Prozent der Erwachsenen geimpft seien. "Das ist eigentlich ganz gut", so Alexander Kekulé. Durch die Impfungen habe man "ziemlich viel Puffer". Die medizinische Belastung sei "ganz gut unter Kontrolle".

"Wir sind im Endspiel der Pandemie", glaubt der Epidemiologe gar. Wenn man hierzulande, ähnlich wie in England, "jetzt die Schleusen öffnen würde", dann hätte man vermutlich "gar nicht mal so eine hohe Belastung der Krankenhäuser". Das Problem jedoch sei die bedrohliche Lage für Ungeimpfte und vor allem Jüngere: "Die 12- bis 18-Jährigen werden erst seit Kurzem geimpft, die sind noch nicht immunisiert", und bei den noch Jüngeren sei "sowieso klar, dass sie nicht geimpft werden". Andererseits gehöre auch zur Wahrheit, dass junge Infizierte seltener schwer erkranken. Laut Kekulé liege "die Wahrscheinlichkeit für einen wirklich schweren oder tödlichen Verlauf bei Kindern deutlich unter 1:100.000".

Aber die Jungen bekämen "sekundäre Kollateralschäden" ab: "Schäden, die durch die Maßnahmen entstehen", so Kekulé. Anders als beispielsweise bei Herpesviren oder Streptokokken, sei eine Erkrankung an Corona kein allgemeines Lebensrisiko, sondern als gefährlicher einzuschätzen. Denn bei Corona könne niemand die Langzeitfolgen einer Erkrankung bei Kindern und Jugendlichen genau abschätzen. Man könne auf keinen Fall sagen: "Ihr müsst das in Kauf nehmen", betonte der Epidemiologe und folgerte: "Es wird dann Schulschließungen geben, wenn die Inzidenz hochgeht." Da gäbe es keine Alternative, denn: "Sie finden keinen Gutachter, der sagen wird, dass dieses Virus bei Unter-18-Jährigen niemals irgendwelche Schäden macht."

"Jetzt reden wir wieder über Schulschließungen"

Aufschlussreich waren auch Alexander Kekulés Ausführungen zum Status der Geimpften: "Die fühlen sich sicher, weil sie gesund sind und auch nicht schlimm krank werden, aber dadurch wird ihr Verhalten riskanter", befand der Mediziner. "Das Problem ist, dass die geimpften Erwachsenen das Virus trotzdem zu einem hohen Prozentsatz noch weitergeben können." - Zumal sie eine Infektion oft gar nicht merken würden oder auch Erkältungssymptome mithin nicht mehr so ernst nähmen.

Vor diesem Hintergrund sprach sich der Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie des Universitätsklinikums Halle (Saale) auch gegen die sogenannten 2G-Öffnungen aus, wie jetzt zum Teil etwa schon in Hamburg praktiziert: "Weil der Geimpfte denkt, mir kann nichts mehr passieren", gehe er womöglich allzu sorglos "in die 2G-Disko".

Tatsächlich gelte es für alle gleichermaßen, nach wie vor wachsam und vorsichtig zu bleiben. Laut bisherigen Zahlen sei davon auszugehen, dass etwa drei bis fünf von zehn Geimpften das Virus noch weitergeben könnten, so Kekulé: "Das heißt: Wir haben nicht nur die Welle der Ungeimpften jetzt im Herbst, wir haben auch eine unsichtbare Welle der Geimpften."

Er sprach von einem "Stealth Bomber", der die Inzidenz hochtreibt - noch so ein Begriff aus der Hallo-Wach-Kategorie. Während die Alten und die Risikogruppen aufgrund der hohen Impfquote nun kaum davon bedroht seien, gehe es nun eben um die Jüngeren.

Markus Lanz konnte es kaum fassen. "Jetzt reden wir wieder über Schulschließungen", warf er ein. "Ja", erwiderte Kekulé, und auch er vertrat die Meinung: "Das müssen wir verhindern." Fakt sei jedoch, dass schon für Anfang Oktober eine Sieben-Tage-Inzidenz von über 500 prognostiziert werde, wenn nicht gegengesteuert werde - "ein Herbstorkan". Aber "die gute Nachricht" sei immerhin, dass dies diesmal nicht zu einer Überlastung der Krankenhäuser führen werde.

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