"Markus Lanz"

Kinderpsychiaterin bei Lanz: "Corona hat dazu beigetragen, dass es eine Gewaltsteigerung gibt"

24.03.2023 von SWYRL/Natascha Wittmann

Der Fall der getöteten Luise aus Freudenberg schockt das ganze Land. Auch bei "Markus Lanz" diskutierten die Gäste am Donnerstagabend über die steigende Gewalt bei Kindern und Jugendlichen. Dabei sprach sich der SPD-Politiker und Kriminalbeamte Sebastian Fiedler klar gegen eine Alterssenkung bei der Strafmündigkeit aus. Das wäre ein "Ausdruck gesellschaftlicher Hilflosigkeit".

Bei "Markus Lanz" stand der Mord an der erst zwölfjährigen Luise im Vordergrund, die vergangenen Sonntag mutmaßlich von zwei Mitschülerinnen im Alter von nur zwölf und 13 Jahren im nordrhein-westfälischen Freudenberg getötet wurde. Die Gäste der ZDF-Sendung diskutierten offen über die Ursachen einer solchen Tat und die mögliche strafrechtliche Verfolgung Minderjähriger.

Markus Lanz wollte in dem Zusammenhang von Sebastian Fiedler wissen: "Was passiert mit den Kindern, die bestraft werden?" Der SPD-Politiker und Kriminalbeamte erklärte mit internationalem Blick: "Der Befund ist, dass die Kinder und Jugendlichen nicht geläutert aus dem Gefängnis rauskommen. Es verfestigt eher kriminelle Karrieren, als dass es zu einer Lösung beiträgt." Dass die Strafmündigkeit in Deutschland bei 14 Jahren liege, findet der Kriminalbeamte demnach völlig richtig. Forderungen, diese zu senken, betrachte er indes als "Ausdruck gesellschaftlicher Hilflosigkeit" und lehne sie ab.

Sibylle Winter, Kinderpsychiaterin und leitende Oberärztin der Klinik für Psychiatrie im Kindes- und Jugendalter der Berliner Charité, hielt sich bei der Thematik eher zurück: "Ich kann die Diskussion verstehen, bin da aber zurückhaltend, weil es eben Einzelfälle sind." Sie räumte aber auch ein: "Fälle wie in Freudenberg gibt es nur ganz, ganz selten - aber es gibt sie." Birgit Kimmel, Pädagogin und Leiterin der EU-Initiative "klicksafe", stimmte Fiedler zu: "Eine retrospektive Sanktion wird das Verhalten in seltenen Fällen verbessern." Sie fordert deshalb "prospektive Sanktionen" für Kinder und Jugendliche und meint eine Konfrontation mit Tatfolgen, bei der die Kinder die Chance bekommen, ihre Tat wiedergutzumachen.

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Kinderpsychiaterin Sibylle Winter: "Wir haben in den Kinder-Psychiatrien mittlerweile keinen Platz mehr"

Dennoch wollte Markus Lanz wissen: "Ab wann können wir als Menschen ermessen und verstehen, was 'töten' bedeutet? Wann begreifen wir das?" Die Kinderpsychiaterin Winter erklärte: "Das kann schon mit zwölf durchaus möglich sein. Aber in komplexeren Situationen können sie das nicht verstehen. Und auch das Begreifen der Endlichkeit des Lebens findet erst in diesem Zeitraum statt." Allgemeine fände im Gehirn zu Beginn der Pubertät "unglaublich viel Entwicklung statt" - "Da ist Baustelle." Deshalb sei es nicht alles schon so geordnet, wie es bei Erwachsenen der Fall sei.

Über ein mögliches Tatmotiv im Fall der zwölfjährigen Luise wollte Sibylle Winter derweil nicht spekulieren und nannte allgemeine Beispiele für unberechenbare Handlungen Heranwachsender: "Da gibt es manchmal ganz nichtige Gründe. Manche Jugendliche versuchen sich beispielsweise wegen einer zu hohen Handy-Rechnung im Affekt das Leben zu nehmen."

Dennoch stellte die Kinderpsychiaterin klar, dass die jüngsten Entwicklungen bei der psychischen Gesundheit vieler Kinder alarmierend seien und ein Zusammenhang mit den steigenden Zahlen der Gewalt unter Kindern bestehe. "Es sind ja vermehrt die Zwölf- und 13-Jährigen. Wir haben Corona gehabt und hatten drei Jahre lang ein eingeschränktes Leben. Diese Jugendlichen sind am Anfang ihrer Pubertät damit konfrontiert gewesen - auch mit den Schulschließungen. Ich meine schon, dass das Folgen hatte. Wir haben in den Kinder-Psychiatrien mittlerweile keinen Platz mehr. Ich glaube, dass Corona dazu beiträgt, dass es eine Gewaltsteigerung gibt", so Winter. Gleichzeitig warnte sie vor "Bagatellisierung": "Aggressives Verhalten kann sich schon sehr früh zeigen" - etwa, wenn Kinder in der Kita schlagen und beißen. Die Psychiaterin bemängelte dabei das Zögern vieler Familien beim Gang in die Psychiatrie. "Bei uns ist es wie bei jedem anderen Arzt: Je früher jemand kommt, desto besser können wir ihm helfen."

Pädagogin warnt: "Jeder kann Mobbing-Opfer werden"

Doch nicht nur die Pandemie, sondern auch Social Media soll zu einer immer höheren Gewaltbereitschaft unter Kindern und Jugendlichen führen. Pädagogin Birgit Kimmel mahnte bei "Markus Lanz": "Mobbing-Opfer müssen sich das Grauen mittlerweile 24 Stunden am Tag gefallen lassen." Sie ergänzte: "Jeder kann Opfer werden. Wenn jemand in der Grundschule erlebt hat, dass er Opfer ist, dreht sich das in den höheren Klassen oft um. Mobbing ist Teil eines größeren Themas. In den Elternhäusern gibt es ja auch Gewalt. Jeder dritte Schüler sagt, dass er emotionale oder körperliche Gewalt erfährt."

Mit Blick auf Social-Media-Plattformen wie Instagram und TikTok erklärte Kimmel am Donnerstagabend: "Zwischen zwölf und 15 Jahren geht es um die Identitätsentwicklung. Auf Social Media können sie sich ausprobieren." Gleichzeitig stellen die Plattformen und sogar Chat-Anbieter wie WhatsApp ein erhöhtes Risiko für Kinder und Jugendliche dar, so die Medienpädagogin: "International sind es eins von drei Kindern, die online gemobbt werden. Vor allem in der Pubertät haben wir da die Spitzen. Das, was in der Klasse analog läuft, geht digital weiter."

Mit Blick auf den jüngsten Mordfall in Freudenberg ergänzte Kimmel abschließend: "Wir sprechen über die Eskalationsspitzen der Gewalt, müssen aber bei den Auslösern anfangen."

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