"Markus Lanz"

Präsident des deutsch-jüdischen Sportverbands warnt: Hass läuft "völlig aus dem Ruder"

30.11.2023 von SWYRL/Doris Neubauer

Champions-League-Abend im ZDF: Bei Markus Lanz warfen Experten einen ganz anderen Blick auf das Thema Fußball. Statt um Tore ging es in der Diskussion um Antisemitismus, zunehmende Anfeindungen und die Auswirkungen des Massakers vom 7. Oktober, die auch vor Deutschlands Stadien nicht Halt machen.

Sie werden beschimpft, angegriffen und müssen sich so lange in ihren Kabinen verstecken, bis die Polizei kommt und sie sicher nach Hause begleitet. "Das ist der Zustand heute in Deutschland", schilderte Alon Meyer die prekäre Situation der jungen Spielerinnen und Spieler, die er als Präsident des deutsch-jüdischen Sportverbandes Makkabi bei Markus Lanz am Mittwoch vertrat.

Dass 80 Prozent dieser Kinder und Jugendlichen nicht-jüdisch wären, machte keinen Unterschied: "Mit stilisiertem Davidstern auf der Brust laufen sie alle: Juden, Christen, Muslims. Alle Religionszugehörigkeit und alle Nationalitäten", erzählte er von der Teamzusammensetzung und beschrieb das blau-weiße Trikot von Makkaba, das im Hintergrund an die Wand projiziert wurde.

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Fußball-Präsident schlägt Alarm: "Es geht gegen die Demokratie in Deutschland"

"Alle tragen die gleiche Uniform, und alle werden angefeindet als Juden, weil man keinen Unterschied macht in dem Moment", verdeutlichte Meyer. Obwohl sie Muslime wären, unterbrach ihn Moderator Lanz mit einer Frage. "Genauso ist es", bestätigte Meyer, "es wäre genauso, wie wenn Sie, Herr Lanz, sich komplett schwarz anziehen und dann als Schwarzer die gleichen Diskriminierungen erleiden wie jeder andere Schwarze, der hier in Deutschland auf den Straßen herumläuft oder wenn Sie sich eine Kippa anziehen mit Davidstern."

Dass eben dieser Hass und diese Anfeindungen seit dem Massaker der Hamas am 7. Oktober "völlig aus dem Ruder laufen", machte ihm sichtlich zu schaffen: "Es fällt mir gerade schwer, mich zu beraffen und noch an das Gute zu glauben", wurde er sichtlich emotional, "und das geht mitnichten nicht nur gegen uns Juden, es geht gegen unser aller Gesellschaftsform, gegen die Demokratie in Deutschland."

Ex-Profifußballerin wirbt für Dialog

Von einer israelischen Seite und einer palästinenischen Seite zu sprechen, lehnte Alon Meyer deshalb vehement ab - und bekam dafür Rückendeckung von Tuğba Tekkal. "Jedes palästinensische zivile Opfer im Gaza ist eines zu viel. Genauso wie jedes Opfer des 7. Oktobers eines zu viel war", betonte die Ex-Profifußballerin vom FC Köln. Mit ihrem Fußballprojekt "Scoring Girls" setzt sie sich für geflüchtete und benachteiligte Mädchen ein, darunter auch einige, die aus dem Westjordanland und Gaza kommen.

"Wir müssen die Menschen in ihrem Schmerz abholen", berichtete sie aus ihrer Erfahrung und betonte die Wichtigkeit von Begegnung sowie Dialog. Gleichzeitig "können wir auch von diesen Menschen verlangen, dass sie in Trauer gehen können, ohne dass sie "antisemitisch sein müssen, ohne die Vernichtung Israels zu fordern - wie das in einigen Posts passiert".

"Da läuft etwas schief in unserer Gesellschaft"

"Wenn ich mir angucke, was in den sozialen Netzwerken getobt hat nach dem Massaker und noch immer tobt, da habe ich sogar eine Ahnung, dass das Stadion besser ist als die Gesellschaft", korrigierte Sportjournalisten Dietrich Schulze-Marmeling in der Runde sein eigenes Zitat ("Ein Stadion ist immer Spiegelbild einer ganzen Gesellschaft").

Wobei sich auch die Profi-Fußballwelt mit Kommentaren in den sozialen Medien nicht zurückgehalten hatte, im Gegenteil: Noussair Mazraoui, Kicker bei Rekordmeister FC Bayern München, hatte etwa Verse aus dem Koran zitiert und die palästinensische Flagge gepostet. Sein Verein entschuldigte sich öffentlich dafür, sanktionierte den Spieler selbst aber mit keiner persönlichen Strafe. Härter griff der FSV Mainz 05 durch: Der Bundesligist stellte Profi Anwar El Ghazi nach dem Posten des Slogans "From the river to the sea, Palastine will be free" frei und wurde von diesem arbeitsrechtlich verklagt.

Wie könne das möglich sein, wenn ein Fußballprofi "das Existenzrecht Israels komplett infrage stellt, obwohl das zu unserer deutschen Staatsräson zählt, obwohl er so eine Vorbildfunktion als Bundesligaspieler hier in Deutschland hat", polterte Alon Meyer: "Da läuft etwas schief in unserer Gesellschaft, da müssen wir etwas ändern. Wir müssen etwas ändern, wenn so etwas durchgeht." Letzteres stünde noch nicht fest, warf Lanz ein.

Lanz bohrt nach: "Vertrauen Sie dem deutschen Rechtsstaat nicht?"

"Wir werden uns dann hier treffen, wenn das Urteil gesprochen wurde", reagierte Meyer nüchtern. "Das klingt wie eine Drohung", ordnete der Moderator ein - eine Vermutung, die der Ausdruck in Meyers Gesicht zu bestätigten schien. "Ich vertraue - an dem Punkt - dem deutschen Rechtsstaat", bohrte Lanz weiter nach, "vertrauen Sie ihm nicht?"

Dass Meyer Letzteres schwerfiel, wurde an diesem Abend allzu deutlich. Dabei bemühte sich Lanz bis zum Schluss, ihn davon zu überzeugen, dass das "Land die Kraft und die Stärke" hätte, "das zu überwinden". Überzeugen konnte er den Sportverbandspräsidenten allerdings nicht.

Dieser berichtete, dass auch die drei Brüder seines Großvaters 1934 Vertrauen in den deutschen Staat hatten und deshalb eine Flucht aus Deutschland nicht als Alternative sahen. "Sie waren Verdienstkreuzträger des Ersten Weltkriegs und haben gesagt, uns wird es doch sicherlich nicht an den Kragen gehen." Am Ende seien sie alle ums Leben gekommen. "Ich hoffe und bete, dass wir aus unserer Vergangenheit gelernt haben", meinte er und trat immer wieder energisch dafür ein, sich gegen Antisemitismus zu wehren, musste aber zugeben: "Sicher bin ich mir leider nicht",

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