Gefangen im Netz - Die Methoden der Pädokriminellen

Masturbieren vor gefakten Minderjährigen: Diese ARTE-Doku ist schwer verdaulich

23.08.2023 von SWYRL/Hans Czerny

Mit der Dokumentation "Gefangen im Netz" beschließt ARTE seinen langen Themenabend am Dienstag, 22.08., über die Cyberwelt. Der Film, der bereits in der Mediathek steht, will enthüllen, mit welchen Methoden sich Erwachsene im Netz an Minderjährige heranmachen - mittels "Cyber-Grooming", so der beschönigende Fachbegriff.

Man muss das vorwegschicken: Der Beitrag "Gefangen im Netz - Die Methoden der Pädokriminellen", der am späten Dienstagabend, um 22.40 Uhr, bei ARTE ausgestrahlt wird, führt in finsterste Abgründe, das Gezeigte könnte manchen erwachsenen Zuschauer nachhaltig verstören und ist für Kinder keinesfalls geeignet. Schon das eingangs aufgezeigte "Casting" zu Beginn des Dokumentarfilms, der bereits in der Mediathek abrufbar ist, lässt ein wenig frösteln: Drei volljährige Darstellerinnen, mehr oder weniger jugendlichen oder gar kindlichen Aussehens, wurden ausgesucht, um im Filmstudio mit Männern zu chatten, die offensichtlich mehr wollten als nur zu reden, sondern sexuelle Kontakte suchten.

"Kinderzimmer" wurden ins Studio gebaut. Gemalte Kinderbilder der jungen Schauspielerinnen, Puppenhäuser aus Kindertagen und eigene Kinderfotos sollten für möglichst viel Glaubwürdigkeit beim Chatten auf Plattformen und bei Messengerdiensten mit lüsternen Männern sorgen. Es ist ein Lockvogel-Experiment, das in gleich mehrere Richtungen zielt. Einerseits könnte es Eltern anschaulich vor Sexualtätern im Internet warnen, andererseits auch Kriminelle aus dem Hinterhalt locken.

Letzteres hat offenbar funktioniert: Es zeigt sich, dass keiner der meist deutlich älteren Männer abgeschreckt ist, wenn die Mädchen ihr Alter mit zwölf Jahren angeben. Neuerdings werden solche Fälle denn auch endlich schwer bestraft - in Tschechien, wo der Film 2020 produziert wurde, genauso wie hierzulande, wo es seit 2021 die Möglichkeit gibt, Täter bereits bei der Vorbereitung sexueller Taten mit Minderjährigen, also Personen unter 14 Jahren, zu überführen.

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Geldscheine gezeigt und gar eine Ferienwohnung werden versprochen

Die drei jungen Schauspielerinnen (Anezka Pithartova, Sabina Dlouha, Tereza Tezka) mit Fake-Profilen hatten nicht nur ihre Laptops vor sich, sondern auch große Bildschirme und Kameras vor der Nase, Letztere für die Nahaufnahmen der eigenen Gesichter und der Bildschirme mit den verpixelten oder weichgezeichneten Täterporträts. Mittlerweile werden Fake-Profile von der Polizei ja bereits zur Erfassung von Internet-Tätern benutzt.

Trotz eines Katalogs von Anweisungen, die vor allem darin bestanden, dass die Schauspielerinnen nicht selbst offensiv und anzüglich agieren sollten, sich also in einem sicheren Rahmen bewegten, reagierten sie überrascht und mitunter schockiert auf die Unverschämtheiten und Widerwärtigkeiten ihrer Chatpartner.

Um die Eindrücke anzüglicher Videochatpartner nicht zu tief in die Psyche eindringen zu lassen, verbreiteten die Regie (Barbora Chalupová, Vit Klusak) und die Techniker im Studiohintergrund ab und zu gute Laune. Auch eine Sexologin und eine amtliche Krisenbetreuerin standen als Experten für den Beitrag zur Seite. So macht die Sexologin etwa deutlich, dass die Selbstbefriedigung eines Chatpartners vor laufender Webkamera nicht das übliche Procedere bei Pädokriminellen sei. Die Internet-Täter, so lautet die Warnung, pirschten sich erst langsam an ihre Opfer heran, sie versuchten es mit Verlockungen und Geschenken.

Im Film werden den vermeintlichen Kindern Geldscheine gezeigt und gar eine Ferienwohnung versprochen. Auf das alles folgt dann die Bitte um Fotos und Nacktaufnahmen, nach deren Bereitstellung die Minderjährigen erpresst werden können, so die Warnung. Wie angsteinflößend solche Drohungen sein können, machte der akustische Horrorauftritt eines älteren Chatpartners deutlich.

Froschgesichtige Verführer im Cyberspace

An besonders unappetitlichen Stellen, wie dem Herzeigen männlicher Geschlechtsteile, unterbrach die Regie. Die Darstellerinnen konnten sich dann über das Erlebte - subjektiv gesehen, immer etwas zu unbekümmert - unterhalten. Die nicht unwichtige Erklärung einer psychologischen Expertin, die schamlose und direkte Anmache im Internet wirke sich häufig auf alle späteren Beziehungen im Leben der Minderjährigen aus, ist ein wichtiger, aber zu wenig betonter Kernpunkt des Gezeigten. Ohnehin ist so ein kühnes Filmprojekt, das relativ explizit auf das Lockvogel-Prinzip setzt, grundsätzlich grenzwertig - auch wenn es hier sicherlich primär darum geht, zu warnen und womöglich Täter zu entlarven.

Obwohl sämtliche Täter bis zur Unkenntlichkeit weichgezeichnet oder froschgesichtig maskiert waren, bleibt das Ganze naturgemäß nicht frei von einem spekulativen Versteckspiel. Die "versteckte Kamera" kam dann bei einem finalen Showdown in einem Prager Café, bei dem die "Opfer" die Täter zur Rede stellten, tatsächlich zum Einsatz. In einem Insert wird darauf hingewiesen, dass in einigen Fällen die Polizei verständigt worden sei. Zwischendrin hat denn auch ein Staatsanwalt bereits von der Straffälligkeit bei der Anbahnung sexueller Kontakte mit Minderjährigen im Internet gesprochen.

Tausende Männer suchten Kontakt

Sollte der Film etwa ein Hinweis darauf sein, wie groß der Freiraum und somit die Straffreiheit im Cyberspace immer noch ist? Zu viele Täter scheinen sich zu sicher zu fühlen: Tausende Männer waren während der zehn Drehtage des mit tschechischer Filmförderung produzierten Films bereit, mit Minderjährigen zwecks sexueller Kontakte zu chatten, so wurde im Abspann erklärt. Unfassbar, und doch wahr.

Sex ohne Anteilnahme sei das alles, so betont wiederum die Psychologin angesichts der abstoßenden Geschichten und Bilder. Viel Stoff für weitere Aufarbeitungen und künftige Expertenrunden wurde da mit großem Aufwand gesammelt. Das Filmprojekt darf unterm Strich als eindringliche Warnung gelten und wirft ein Schlaglicht auf das Tabuthema "Missbrauch an Kindern und Jugendlichen" im Netz. Diskussionen auslösen könnte es allemal.

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