"Born for this"

ZDF-Doku über WM-Debakel: DFB-Frauen kritisieren Ex-Trainerin Voss-Tecklenburg

29.11.2023 von SWYRL/Jürgen Winzer

"Tatsächlich glaube ich, dass wir nicht optimal vorbereitet waren": So blickt Alexandra Popp, Kapitänin der deutschen Frauenfußball-Nationalmannschaft, in einer ZDF-Doku auf die sportlich desaströse WM 2023 zurück. Es bleibt nicht der einzige Vorwurf ans Trainerteam um Martina Voss-Tecklenburg.

Sport-Dokus sind in. Nur der DFB hatte zuletzt kein glückliches Händchen. "All Or Nothing", die Doku über die Herren-WM in Katar war eher "nothing" - so wie das blamable Aus der flick'schen Fußballer. Auch die neuen Folgen zwei und drei der auf insgesamt fünf Teile angelegten Damen-Doku "Born For This - Mehr als Fußball" (ab Freitag, 1. Dezember, in der ZDF-Mediathek) müssen sich notgedrungen mit - wie es der Untertitel besagt - mehr als nur Toren beschäftigen: mit dem vorläufigen Abgesang auf den deutschen Frauen-Fußball.

Hinterher ist man immer schlauer. Deshalb ist es schon schmerzhaft, der Truppe um die mittlerweile geschasste Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg bei der Vorbereitung auf das Turnier in Australien und Neuseeland zuzusehen. Die meisten Szenen entstanden eben vor dem Debakel. Einige Kommentare aber, oft tränenreiche, wurden danach gedreht, vor allem mit Blick auf die noch ausstehenden Folgen der Doku. Der Schnitt ergibt letztlich eine Generalabrechnung. Denn viele Spielerinnen bringen zum Ausdruck, was an der Vorbereitung auf das Turnier nicht stimmte: eine ganze Menge.

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DFB-Damen über Test-Pleiten: "Die mit dem Ball war die ärmste Sau"

Martina Voss-Tecklenburg (Koseabkürzung: MVT) wollte im Trainingslager in Herzogenaurach Reize setzen, ganz bewusst: "Wir wollten den Spielerinnen die möglichst längste Zeit geben, sich zu zeigen." Die endgültige Nominierung des Kaders sollte erst am Ende des Lehrgangs stattfinden. Der Schuss ging nach hinten los. Kapitänin Alexandra Popp bemängelt: "Wir haben das nicht als optimal empfunden, beide Lehrgänge als Minimierungswoche zu sehen." Allein die Wortwahl ist bezeichnend: Es ging, so empfanden es viele Spielerinnen, nichts ums Finden, sondern ums Ausmisten.

"Das hat für Unmut im Team gesorgt", meint die Leistungsträgerin rückblickend. Der extreme Druck führte "Martinas Mädels" ins Dilemma, so Popp. Einige Spielerinnen hätten sich vor lauter Druck und Angst zurückgezogen, andere hätten "überpaced", überdreht im Bemühen, sich zu präsentieren. Die Folge von beiden Varianten: Fehler. Mittelfeldspielerin Sjoeke Nüsken bestätigt: "Jede wollte sich zeigen, aber die Ungewissheit machte auf dem Feld unsicher." Man sah die Wahrheit auf dem Platz, zum Beispiel beim Testspiel gegen Brasilien (1:2) oder bei der Niederlage im letzten Test gegen Sambia (2:3): "Die mit dem Ball war die ärmste Sau, weil ihn keine andere haben wollte."

Im Flieger nach Australien - mit Schlafexperte, aber ohne Teamgeist

Jedenfalls war vom ersten Gefühl, das Sara Doorsoun bei der Ankunft in Herzigenaurach verspürt hatte, nichts mehr übrig: "Ich hatte Bauchkribbeln, das war wie verliebt sein, es war cool", hatte sich die Verteidigerin von Eintracht Frankfurt eigentlich sehr auf die gemeinsame Zeit gefreut.

Am 11. Juli, 13 Tage vor WM-Beginn, bestieg die deutsche Delegation den Flieger. Mit Schlafexperte und Jetlag-Plan an Bord, aber ohne Teamspirit. Laut Lina Magull eine direkte Folge des Ausscheidungs-Trainingslager: "In Herzogenaurach ging es nicht um Teamfindung." Sondern um Konkurrenzkampf. Kathrin Hendrich hoffte für die Zeit zwischen Landung in Australien und dem ersten Einsatz: "Wir müssen dem Teamgeist finden, der uns übers letzte Jahr, ehrlich gesagt, etwas verloren gegangen ist."

"Nicht optimal": Das Basecamp war "weit vom Schuss"

Bei wenigen war richtige Vorfreude im Reisegepäck. Popp habe sich "völlig überspielt und übertrainiert" gefühlt. "Ich war gar nicht im 'Hey, bald ist WM"-Gefühl." Im Basecamp sollte die Crew Ruhe und zu sich finden. Allerdings gab es in dem idyllisch gelegenen Camp in der Kleinstadt Wyong, rund 80 Kilometer nördlich von Sydney eher zu viel Ruhe. "Schöne Einöde" nannte Lena Lattwein die Gegend, Lea Schüller hatte sich "mehr Freiheiten" erhofft. Denn "mal rausgehen, nen Kaffee trinken" war in der "Idylle" nicht möglich. Popp: "Das Basecamp war anders. Vor allem extrem weit vom Schuss. Fand ich nicht optimal."

Einen "Hotspot", eine Players Lounge oder einen Gemeinschaftsraum, den man hätte zum Treffpunkt für alle machen können, gab es auch nicht wirklich. Dafür fanden die Spielerinnen nach der Ankunft Hinweise wie "Trinke den ganzen Tag und kontrolliere deinen Urin", "Die richtige Schlafkleidung" oder "Dein Bett hat eine Funktion: Schlaf!". Die WG-Genossinnen Laura Freigang und Lina Magull urteilen: "Das war wohl eine nett gemeinte Geste - aber halt überflüssig."

DFB-Frauen: erst himmelhoch jauchzend, dann zu Tode betrübt

Trotzdem ist auch zu sehen, dass sich das Team gut verstand. Shopping-Ausflug nach Sydney, Whale Watching, gemeinsame Fernsehabende, als die WM endlich losging. Und das tat sie dann ja auch toll für die deutsche Mannschaft. Nach den vielen Nackenschlägen mit Niederlagen und Verletzungen im Vorfeld gab es gegen Marokko einen überlegenen 6:0-Sieg.

Damit endet die dritte Folge der Doku. Was leider folgte, ließ die Frauschaft vor Ort und ganz Fußball-Deutschland von "himmelhoch jauchzend" nach "zu Tode betrübt" taumeln. Wie es dazu kam, wird Bestandteil der letzten Doku-Folgen sein. Was auf den Zuschauer zukommt: eine weinende Svenja Huth, die versucht, das Unbegreifliche zu fassen: "Es sind viele Fragezeichen im Kopf. Es fühlt sich an, als wäre einem der Boden unter den Füßen weggezogen worden."

Sara Doorsoun, deprimiert und leise: "Es waren viele kleine Sachen, nicht die eine große." Die Aufarbeitung, zu der sich MVT nie imstande sah, wird weitergehen.

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