ARD Dokumentarfilm: Willy - Verrat am Kanzler - Mo. 06.05. - ARD: 22.50 Uhr

Vor 50 Jahren: Der Friedenskanzler und sein Kundschafter

03.05.2024 von SWYRL/Wilfried Geldner

Vor 50 Jahren, am 06. Mai 1974, trat Willy Brandt als Bundeskanzler zurück. Auslöser war die sogenannte "Guillaume-Affäre" - Günter Guillaume. der persönliche Referent des Kanzlers, war zuvor als DDR-Spion enttarnt worden. Die ARD-Doku rollt den Fall mit Archivausschnitten und Statements auf.

Am 24. April 1974 wurden Günter Guillaume und dessen Ehefrau Christel durch den Bundesnachrichtendienst als DDR-Spione enttarnt. BKA-Beamte waren morgens um 6.30 schwer bewaffnet ins Haus des persönlichen Kanzlerreferenten Guillaume in Bad Godesberg eingedrungen. Mit dem Satz: "Ich bin Offizier der Nationalen Volksarmee der DDR und Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit. Ich bitte, meine Offiziersehre zu respektieren" gab sich Guillaume als Spion der DDR zu erkennen. Jan Peter und Sandra Naumann (RBB / WDR) verzichten in ihrer ARD-Dokumentation auf künstliche Thrillerelemente und Theatralik. Guillaumes Satz war der endgültige Beweis für den Verfassungsschutz, der nach aufgefangenen Funksprüchen lange vergeblich im Dunkel geforscht hatte. Willy Brandt trat nach Besprechungen mit Parteifreunden wie Herbert Wehner von seinem Amt als Bundeskanzler am 06. Mai 1974 von seinem Amt zurück.

Der Spionageverdacht gegen das Ehepaar Günter und Christel Guillaume hatte sich allerdings bereits im Mai 1973 durch einen verschlüsselten Geburtstagsgruß wegen der Geburt ihres Sohnes Pierre erhärtet. Die Information wurde vom damaligen Innenminister Hans-Dietrich Genscher auf Anraten des Bundesverfassungsschützers Günther Nollau Willy Brandt überbracht, ohne dass dessen Sicherheitsbeamten davon wussten. Alles geschah, bevor Guillaume auf einem gemeinsamen Norwegen-Urlaub beider Familien mit brisanten Dokumenten in Berührung kam.

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Inzwischen ist viel Wasser den Rhein hinuntergeflossen. Ob die Guillaume-Affäre "die folgenschwerste Spionageaffäre der Bundesrepublik" war und somit je zum "Politthriller" taugte, sei dahingestellt. Nach 50 Jahren, nach dem Ende des Kalten Krieges und der Wende vor 35 Jahren tut sie es sowieso nicht mehr. Die Zeitzeugen sind fast alle gegangen. Immerhin, die Stern-Journalistin Heli Ihlefeld ist geblieben. Offener denn je räumt sie die Brandt unterstellten "Frauengeschichten" auf elegante Weise aus.

Dass die Macher des neuen Interviewfilms mit vielen selbsternannten und wirklichen Expertinnen - es war, warum auch im wirktmer, eine weibliche Perspektive gefragt - auf künstliche Thrillerelemente verzichten, ist löblich. Doch leider wird auch allzu viel aus dem Nähkästchen geplaudert. Vor allem die Kontraste-Moderatorin Eva-Maria Lemke macht die unterhaltsame Geschichtenerzählerin, als wäre sie stets dabeigewesen. Katja Ebstein bringt immerhin ganz gut die damalige "Willy"-Begeisterung rüber. Aber vor allem der Historikerin und Brandt-Expertin Daniela Münkel vom Stasi-Unterlagenarchiv ist zu verdanken, dass die breit angelegte Doku (vier Teile ab 24.04. in der ARD-Mediathek) einigermaßen spannend bleibt. Die Ursachen für Brandts Rücktritt blieben lange rätselhaft. Hatte er Guillaumes Spionagetätigkeit einfach zu leichtfertig unter den Tisch gekehrt? Tatsächlich wurden Guillaumes Erkenntnisse vom MfS in Ostberlin als eher geringwertig eingeschätzt. Die meisten Botschaften des "Kundschafter des Friedens" wurden auf der Skala von eins bis fünf mit einer drei bedacht. Für Guillaume war alles trotzdem ein großes Ding. 1956 war er als Flüchtling mit Frau Christel in die BRD gekommen und hatte im Zigarrenladen seiner Schwiegermutter gearbeitet. Christel sah sich später als der Motor, der viel wichtiger als er war. In einem früheren Interview sieht sie ohnehin "ein verpfuschtes Leben", schildert aber den gemeinsamen Norwegenurlaub mit den spielenden Söhnen beider Familien in leuchtenden Farben.

Waren Frauenaffären, Alkoholkonsum und möglicherweise auch eine Depression und die Furcht vor der medialen Veröffentlichung Ursache des Rücktritts? Oder doch die fehlende Unterstützung durch die Parteifreunde, vor allem durch Herbert Wehner? Differenzen über die fortgeschrittene Ostpolitik, die endgültige Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze und die Anerkennung zweier deutscher Staaten alleine konnte es nicht gewesen sein. Und schon gleich gar nicht der Spion Günter Guillaume.

Über die Affäre, die bis heute in Teilen rätselhaft bleibt, wurden bereits mehrere Filme gedreht. Unter anderem spielte Brandts Sohn Matthias Brandt in Oliver Storz' Dokudrama "Im Schatten der Macht" (2003) Günter Guillaume. Sein Satz: "Ich fand es interessant, dass man über Guillaume eigentlich nicht so viel weiß. Mich hat die Doppelloyalität Guillaumes zu meinem Vater auf der einen und zur DDR auf der anderen Seite fasziniert" trifft den Kern des Geschehens, das zuweilen eher zur Komödie als zur Tragödie neigt. Jedenfalls: Der Friedenskanzler Willy Brandt und der Kundschafter des Friedens aus der DDR mochten sich. Weshalb man sie längst nicht auf eine Stufe stellen muss.

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