Sven Voss im Interview zu "XY gelöst"

"Eine Sendung wie 'Aktenzeichen XY... ungelöst' bleibt immer relevant"

31.07.2022 von SWYRL/Elisa Eberle

In der neuen True-Crime-Serie "XY gelöst" (ZDF) rekonstruiert Moderator Sven Voss in Zusammenarbeit mit den damaligen Ermittlerinnen und Experten reale Kriminalfälle. Im Interview erzählt der 46-jährige Vater zweier Kinder von der emotionalen Belastung während der Dreharbeiten und wie er damit umging.

Als am 20. Oktober 1967 die erste Sendung "Aktenzeichen XY... ungelöst" über die deutschen Bildschirme flimmerte, war Sven Voss noch nicht einmal geboren. Nun übernimmt der 46-Jährige die Moderation von "XY gelöst". In den vier Episoden des neuen True-Crime-Ablegers des Erfolgsformats (ab Freitag, 5. August, wöchentlich, 21.15 Uhr, ZDF) rekonstruiert er dabei gemeinsam mit den damals zuständigen Ermittlerinnen, Staatsanwälten sowie anderen Experten die Aufklärung dramatischer Kapitalverbrechen, darunter die Morde an der achtjährigen Johanna und an dem zehnjährigen Mirco. Dafür begeben sie sich oft an die Originalschauplätze der Verbrechen. Was macht es mit Voss als zweifachem Vater, wenn er den Mord an Kindern rekonstruiert? Und wie hat sich sein Blick auf Kriminalverbrechen und Ermittlungsarbeiten durch die Dreharbeiten zu "XY gelöst" verändert? Diese Fragen beantwortet Sven Voss im interview.

teleschau: Herr Voss, sind Sie selbst schon einmal Opfer einer Straftat geworden?

Sven Voss: Ich selbst nicht, aber mein alleinstehender Onkel ist vor fünf Jahren auf diesen Enkeltrick hereingefallen: Der Täter hat sich, von allen anderen Familienmitgliedern unbemerkt, immer wieder mit ihm getroffen und sich so sein Vertrauen erschlichen. Irgendwann hatte er dann tatsächlich alle Konten, Lebensversicherungen und das Bargeld abgezogen und war unauffindbar. Witzigerweise hatte ich damals über Rudi Cerne sogar mit der Redaktion von "Aktenzeichen XY" Kontakt. Ich sprach mit jemandem, der sagte: "Ja, wir machen demnächst auch eine Sendung zu solchen Sachen!" Da habe ich dann festgestellt, dass es gar nicht so selten ist, dass Menschen in eine solche Falle hereinlaufen.

teleschau: Konnte der Fall am Ende aufgeklärt werden?

Voss: Das war wohl kein Einzeltäter, sondern eine Bande, die in der Region ihr Unwesen trieb. Später wurden dann Autos beschlagnahmt, die sie sich gekauft hatten, und sie wurden auch verurteilt. Das war dann auch für mich als jemand, der da ein großes Gerechtigkeitsempfinden hat, eine wichtige Sache. Auch, wenn man Entschädigungen meistens in den Wind schreiben kann.

teleschau: Sind Sie durch Ihre Arbeit mit "XY gelöst" vorsichtiger im Umgang mit solchen Fällen geworden?

Voss: Bei "XY gelöst" geht es ausschließlich um Kapitalverbrechen. In den Folgen eins und drei geht es um den Mord an Kindern. Das sind so Fälle, bei denen man nicht sagen kann: Ich bin vorsichtiger insgesamt, dann passiert schon nichts. Ich bin schon aber nochmals empathischer und aufmerksamer geworden, was diese Verbrechen betrifft. Ich habe selbst zwei Kinder im Alter von zehn und 14 Jahren. Da gehen solche Fälle natürlich noch mal viel näher. Aber vorsichtig bin ich vorher immer schon gewesen.

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Über den Umgang mit den dramatischen Fällen

teleschau: Was genau geht Ihnen als Vater bei solchen Geschichten wie dem Mord an Kindern durch den Kopf?

Voss: Ich denke erst einmal an diese schreckliche Tat, an das, was da passiert ist. Wir haben bei "XY gelöst" die Taten auch nachgestellt, waren an den Originalschauplätzen. Wenn man sich vorstellt: Da hat das Fahrrad gelegen. Hier wurde der Junge oder das Mädchen abgegriffen, wie es im Polizei-Jargon heißt, dann macht das etwas mit einem. Dann ist das anders, als wenn man das im Fernsehen sieht oder eine Pressemitteilung liest. Dann kann man das wirklich nachvollziehen und fühlen. Mein nächster Gedanke widmet sich immer den Eltern, die in furchtbarer Angst und gleichzeitiger Hoffnung leben, dass vielleicht ihr Kind noch mal zurückkommt, ehe sie letzten Endes mit der schrecklichen Tatsache leben müssen, dass ihr Kind getötet wurde. Das sind Sachen, die man nicht so einfach, wenn man abends heimkommt, abstreifen kann. Da habe ich schon viele Geschichten mitbekommen und musste viel darüber sprechen. Durch meine Arbeit mit den Kommissaren und den Staatsanwälten bekomme ich schon viel mit, viel Trauriges, viel Erschütterndes.

teleschau: Welche Methoden halfen Ihnen in der Verarbeitung, damit die Fälle Sie nicht zu lange emotional verfolgen?

Voss: Wir arbeiten bei "XY gelöst" mit der Kriminalpsychologin Lydia Benecke zusammen. Sie sagte von Anfang an zu mir: "Sven, wenn du dich auf True Crime einlässt, dann musst du bereit sein, über die brutalen Dinge zu sprechen und nachzudenken." Sie hilft mir. Ebenso wie meine Gespräche mit den Ermittlern und Staatsanwälten, die natürlich auch immer alle persönlich betroffen sind, obwohl sie damit professionell umgehen müssen. Sie haben mich da auch ein bisschen an die Hand genommen.

"Ich habe große Hochachtung vor der Geduld der Ermittler"

teleschau: Wie hat sich Ihr persönliches Bild von polizeilicher Arbeit durch die Zusammenarbeit mit den Ermittlern verändert?

Voss: Vorher war es eher ein fiktionaler Blick, den ich auf die Dinge hatte: Ich bin Krimigucker, ich habe auch schon immer "Aktenzeichen XY ... ungelöst" verfolgt. Der fiktionale Blick hatte bei mir aber immer die Überhand. Doch wie die Ermittler in den SOKOs oder im "Tatort" arbeiten, ist in vielen Dingen Quatsch! Das habe ich gelernt. Außerdem habe ich große Hochachtung vor der Geduld, die die Ermittler haben, und vor dem Druck, unter dem sie stehen: Ich meine, da verschwindet ein Kind in einem Dorf. Da zählt jede Minute! Der Täter könnte noch mal zuschlagen, und die Öffentlichkeit will natürlich, dass der Fall aufgeklärt wird, damit sie nicht weiter in Angst leben muss. Da kluge Gedanken zu fassen und zu sagen: Wir finden eine Spur! Wir kommen an den Täter oder die Täterin ran! Das ist eine ganz komplizierte Aufgabe, vor der ich nun noch mal mehr Hochachtung habe.

teleschau: Können Sie jetzt überhaupt noch Krimis gucken, da Sie wissen, dass das alles nicht der Wahrheit entspricht?

Voss: (lacht) Ich weiß nicht, ob wirklich gar nichts der Wahrheit entspricht. Kriminalarbeit ist vor allem Kopfarbeit! Dass da jemand durch die Gegend schießt und dem Täter hinterherjagt, passiert in den seltensten Fällen. Davon lebt aber ein Krimi. Die Festnahme selbst ist in Wahrheit unspektakulärer als man denkt, aber der Weg dorthin, die Fäden zusammenzuführen, wenn die Ermittler vor so einer Wand stehen und diese Fotos haben und versuchen, Beziehungen aufzuspüren - das ist, glaub ich, wirklich so. Bei vielen Dingen muss ich jetzt schmunzeln, wenn ich sie im Krimi sehe.

teleschau: War es in den Fällen, die in "XY gelöst" gezeigt werden, immer nur die technische Weiterentwicklung, die letztlich zur Aufklärung führte oder gab es auch andere ausschlaggebende Punkte?

Voss: Es ist die Entwicklung der Kriminalwissenschaften in verschiedenen Bereichen: Ein Beispiel sind die Fingerabdrücke, die vor Jahren genommen wurden, wurden damals noch nicht digitalisiert. Heute kann man einen digitalisierten Fingerabdruck viel schneller mit der Datenbank vergleichen als es früher der Fall war. In unseren Beispielen war es tatsächlich so, dass man die Fälle nach etlichen Jahren nochmals genommen und mit der Datenbank abgeglichen hat, und plötzlich gab es Übereinstimmungen. Was ich aber auch festgestellt habe: Diesen berühmten Kommissar Zufall gibt es auch immer noch! Dass irgendwo ein Täter unterwegs ist und sagt: "Ich war nie an dem Ort." Aber plötzlich taucht ein Strafzettel mit dem Kennzeichen auf.

"Eine Call-in-Sendung wie 'Aktenzeichen XY... ungelöst' bleibt immer relevant"

teleschau: Die erste Folge "Aktenzeichen XY... ungelöst" lief 1967. Was ist Ihre erste Erinnerung an die Sendung?

Voss: Das ist eine sehr brutale Erinnerung: Ich war zwölf oder 13, vorher durfte ich die Sendung nie schauen, weil meine Mutter es verboten hatte. Dann gab es einen Fall "Raub in der Gartenlaube" oder so ähnlich. Sie haben damals sehr authentisch und eindrücklich nachgespielt, wie zwei Täter eine ältere Dame in einer Gartenlaube überfallen haben. Die Dame hatte nicht viel, was die Diebe erbeuten konnten, außer einem goldenen Ring am Finger, den die Täter aber nicht abbekamen. Mit einem Filmschnitt auf eine Heckenschere wurde dem Publikum klargemacht, dass sie der Dame damit den Finger abgeschnitten hatten. Das ist mir bis heute so vor Augen! Das hat mich so geprägt, aber das Interessante war dieses Gefühl, dass man selber als Zuschauer mithelfen kann, den Täter zu überführen. Dieses Gerechtigkeitsempfinden prägt mich bis heute, sodass ich mich von Fällen in meiner Umgebung immer angesprochen fühle. Das macht bis heute den Erfolg und die Authentizität der Sendung aus.

teleschau: Denken Sie, dass die Sendung in Zeiten von Online-Vermisstenmeldungen und modernster Kriminaltechnik auch in 20 Jahren erfolgreich sein wird?

Voss: 20 Jahre lassen sich im Fernsehen schwer voraussagen. Meine Erfahrung ist aber, dass man auf keinen Fall sagen kann: "Das klassische Fernsehen hat ausgedient!" Insofern würde ich auch sagen, eine Call-in-Sendung wie "Aktenzeichen XY... ungelöst" bleibt immer relevant. Das liegt auch daran, dass die Polizei mit dem "Aktenzeichen"-Team seit über 50 Jahren vertrauensvoll zusammenarbeitet. Die haben eine Erfahrung, wann es sinnvoll ist, die Menschen über das Fernsehen zu erreichen, und wann eher nicht.

Über True Crime: "Ich mag das Reißerische nicht"

teleschau: In "XY gelöst" rekonstruieren Sie bereits aufgelöste Fälle. Einen ähnlichen Ansatz verfolgte bereits die Sendung "Aktenzeichen XY... gelöst" 2017. Worin unterscheiden sich die beiden Formate?

Voss: Mit dem neuen Format gehen wir tatsächlich raus an die Schauplätze des Verbrechens: Es ist etwas reportagiger, dokumentarischer und journalistischer. Wir treffen uns mit den Ermittlern und Staatsanwälten von damals an den Tatorten. Das Beeindruckende ist, dadurch dass ich die Möglichkeit habe, das zu fragen, was mich dort interessiert, entwickeln sich spannende Gespräche, weil sich die Ermittler am alten Tatort auch an ganz andere Dinge erinnern, mit denen sie eigentlich schon abgeschlossen hatten. Es wird sehr emotional und sehr detailreich. Das ist ein Unterschied, aber auch eine Stärke des neu aufgelegten Formats.

teleschau: Sind dies die Gründe, weswegen das Genre True Crime in Deutschland derzeit so beliebt ist?

Voss: Ich würde bei True Crime unterscheiden: Ich höre viele Podcasts aus dem Bereich. Da gibt es welche, die ich gut finde, und welche, die ich nicht so gut finde. Ich mag das Reißerische nicht so, ich mag mehr die journalistischen Formate, in denen es um die Ermittlungsarbeit gibt. Das ist etwas, das jeder, der ein Gerechtigkeitsempfinden hat, gut findet: Wie werden Verbrechen aufgeklärt? Fragen wie diese entsprechen dem Urkonzept "Gut gegen Böse". Deswegen wird der Erfolg von True Crime anhalten. Alles, was fiktional im Bereich Krimi oder Thriller entsteht, ist oft so verdreht und so weit weg von der Realität.

Werden Ihre Kinder bei der Premiere mitschauen dürfen?

teleschau: Rudi Cerne wird dieses Jahr 64 Jahre alt. Können Sie sich vorstellen, ihn eines Tages bei "Aktenzeichen XY... ungelöst" zu beerben?

Voss: Also zuerst einmal ist das Erfolgsformat "Aktenzeichen XY... ungelöst" in sehr, sehr guten Händen. Ich bin froh, dass Rudi das auch noch vier weitere Jahre machen wird. Insofern stellt sich die Frage nicht. Es freut mich, dass ich mit "XY gelöst" das Portfolio dieser starken Marke mit erweitern kann. Ich glaube, dass mir das auch ganz gut liegt. Ich bin sehr gespannt, wie es den Zuschauerinnen und Zuschauern gefällt. Und dann schauen wir mal weiter.

teleschau: Werden Ihre Kinder bei der Premiere mitschauen dürfen?

Voss: Tatsächlich interessiert sich meine Tochter mit 14 schon sehr für diese Geschichten und True Crime. Deswegen wird sie, denk ich, mitschauen dürfen, ja.

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