Pop-Kultur trifft Sagenland

Ein deutsches "Stranger Things"? Die Fantasy-Serie "Der Greif" startet bei Amazon

21.05.2023 von SWYRL/Eric Leimann

Mit der Hohlbein-Verfilmung "Der Greif" wagt sich Amazon (ab Freitag, 26. Mai) an einen klassischen deutschen Fantasy-Stoff von 1989 heran. Der aufwendige Sechsteiler probiert den Erzählspagat zwischen einer mythischen Welt und der Hommage an das Aufwachsen und die Popkultur in den 90-ern.

1989 ist Wolfgang und Heike Hohlbeins Fantasy-Klassiker "Der Greif" erschienen. Ein Schmöker von 600 Seiten, der die Geschichte junger Brüder erzählt, die zwischen zwei Welten leben.

Eine davon ist ziemlich langweilig und ein bisschen trist. In der mittelgroßen deutschen Stadt "Krefelden" (Autor Hohlbein wuchs in Krefeld auf) gelten die beiden Zimmermann-Brüder nach dem seltsamen Verschwinden des Vaters als Psychos und Außenseiter. Doch es gibt ja die "Chronik", ein antiquarisches Buch, in dem das Familienwissen über eine andere Welt gesammelt ist: die des Schwarzen Turms.

Zwei der größten Fans des Hohlbein-Universums mit etwa 40 Millionen verkauften Büchern (über alle Romane hinweg) sind die Freunde und Filmemacher Sebastian Marka (Jahrgang 1976, Regie) und Erol Yesilkaya (geboren 1974 und ebenfalls in Krefeld aufgewachsen), der die meisten Drehbücher für Marka schreibt. Für einige herausragende "Tatort"-Folgen der letzten Jahre ("Parasomnia", "Meta", "Die Wahrheit") hat das wuchtige Duo nicht nur den Grimme-Preis erhalten, sondern auch gezeigt, dass man ein besonderes Faible für "Genre" und insbesondere "paranormale" Stoffe hat. Nur leider gibt es im Deutschland der Gegenwart wenig Tradition in diese Richtung, weshalb Marka und Yesilkaya ihre Lieblingsthemen bislang in Krimis und klassischen Dramen "verstecken" mussten.

Das ändert sich nun mit dem von Amazon finanzierten Fantasy-Projekt "Der Greif" (alle sechs Episoden ab Freitag, 26. Mai, verfügbar), das bei Erfolg durchaus fortgesetzt werden könnte. Darauf lassen nicht nur die Aussagen der Beteiligten schließen, sondern auch diverse offene Enden und Teaser am Ende von Folge sechs.

Das weltweit in 35 Sprachen startende Fantasy-Streaming-Epos aus Deutschland wurde von Yesilkaya und Marka, den das Buch mit elf Jahren erstmals auf die Idee brachte, Filmemacher zu werden, mit viel Herzblut produziert. Allerdings hat man den Stoff um ein paar wenige, aber entscheidende Jahre und Themen modernisiert. Statt 1989 trägt sich die Handlung 1994 zu. Und aus den beiden Brüdern ist eine ganze Gruppe von Freunden geworden, die den 16-jährigen Außenseiter Mark (Jeremias Meyer) auf seiner Reise begleiten. Gemeinsam mit seinem deutlich älteren Bruder Thomas (Theo Trebs) betreibt Musiknerd Mark beispielsweise einen Plattenladen.

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"Black Hole Sun" über Krefelden

Nach den traumatischen Erfahrungen mit sechs Jahren, als sein Vater verschwand und Bruder Thomas für längere Zeit in die Psychiatrie wanderte, versucht sich Mark mithilfe seines Psychotherapeuten (Thorsten Merten) wieder in der Realität zurechtzufinden. Sein treuer Freund und "Metalhead" Memo (Zoran Pingel) hilft ihm ebenso dabei wie die neue Mitschülerin Becky (Lea Drinda), zu der er eine besondere Verbindung spürt. Trotzdem fühlt sich Mark zum Leidwesen seiner Mutter (Sabine Timoteo) nach wie vor zur magischen Welt des Schwarzen Turms hingezogen. Auch sein Bruder ist überzeugt davon, dass diese Parallelwelt existiert und führt Mark zu einem Portal und in alte Familientraditionen rund um ein fantastisches, aber auch vom Bösen beherrschtes Reich ein. Leidet Mark ebenfalls an der Geisteskrankheit seiner Familie - oder ist er tatsächlich jener "Weltenwanderer", auf den die Kräfte im Schwarzen Turm gewartet haben?

Wenn schon, denn schon - haben sich die Serienmacher Marka & Yesilkaya gedacht und ihrer Verehrung für die Fantasy-Literatur Wolfgang Hohlbeins gleich noch die Musik und Popkultur ihres Aufwachsens in den frühen und mittleren 90-ern hinzugefügt. Einen Plattenladen und liebevoll ausgestattete Jugendzimmer des Jahres 1994 gab es beim literarischen "Greif" ebenso wenig wie die ein oder andere Teenage-Splatter-Idee der Serie, die deutlich vom "Stranger Things"-Universum beeinflusst scheint. Wenn seltsame Wesen und Boten aus dem Schwarzen Turm in die Krefeldener Schulwelt der Protagonisten einbricht, dann ist man schon recht deutlich bei einer deutschen Version der mega-erfolgreichen US-Serie. Dennoch existiert in "Der Greif" auch viel Eigenständiges. Allein die komplex erzählte und ausgestattete Welt des Schwarzen Turms ist bereits sehr viel mehr klassische Fantasy als das "Upside Down" aus "Stranger Things".

Die besten Alben der 90-er?

Nicht alles an "Der Greif" ist geglückt. Nicht jedes "große Bild" überzeugt, ob es sich dabei nun um plötzlich belebte Steinfiguren handelt oder Bösewichte, die mit verzerrten Stimmen sprechen, als befände man sich in eine Kika-Gruselserie. Dafür sind andere, vor allem die besonders ekligen Body-Horror-Anleihen ziemlich drastisch und auch optisch eindrucksvoll. "Der Greif" ist, wie man sich bei einem über 30 Jahre alten Fantasy-Klassiker denken kann, alles andere als frei von Klischees. Dennoch haben Yesilkaya und Marka den Ur-Stoff mit modernen Bezügen zu psychischer Erkrankung und dem Kampf gegen den Hass in sich selbst zeitgemäß weiterentwickelt.

Beeindruckend ist auch der Soundtrack: Superhits der Zeit wie Soundgardens "Black Hole Sun", "Creep" von Radiohead oder "Today" von Smashing Pumpkins wurden lizenziert und in der Serie ausgiebig eingesetzt. Sollte "Der Greif" erfolgreich laufen, darf man sich auf ein Grunge-Comeback in heutigen Klassenzimmern einstellen. In einer Szene erörtern Mark und sein Freund Memo die besten Alben der 90-er. Laut Mark sind das "Nevermind" von Nirvana (1991), "The Chronic" von Dr. Dre (1992) und der Nerd-Pick "Crooked Rain, Crooked Rain" von Pavement (1994). Allerdings sind die 90-er nach sechs Folgen "Der Greif" keineswegs vorbei. In einer der letzten Szenen läuft der Tod Kurt Cobains in den "Tagesthemen". Der Nirvana-Sänger starb am 5. April 1994, mehr als fünfeinhalb Jahre vor Ende des Jahrzehnts. Aber groß und "final" zu denken, gehört in diesem Alter nun mal dazu. Auf jeden Fall im Popkultur-Fantasy-Epos "Der Greif"!

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