Hirschhausen und Long-Covid - die Pandemie der Unbehandelten - Mo. 17.10. - ARD: 20.15 Uhr

Das größte medizinische Problem der Zukunft?

11.09.2022 von SWYRL/Eric Leimann

Zum zweiten Mal widmet sich Eckart von Hirschhausen in einer Primetime-Doku dem Thema Long Covid. Im Anschluss plant die "Hart aber fair"-Redaktion, das Thema fortzusetzen.

"Das ist aus meiner Sicht das größte gesundheitspolitische Problem der Zukunft", sagt die Mülheimerin Dr. Beate Jäger in Eckart von Hirschhauses Doku-Kamera. Die Internistin behandelt Long Covid-Betroffene in ihrer Praxis im Ruhrgebiet. Selbstfinanziert forscht sie daran, welche Faktoren die beobachteten Behandlungserfolge bei ihren Patientinnen und Patienten durch Blutwäsche bedingen. Tatsächlich befürchtet man, dass unbehandeltes Long Covid chronisch und damit irreversibel ein könnte. Dies würde nicht nur hunderttausendfaches individuelles Leid allein in Deutschland verursachen, sondern auch das Gesundheitssystem schwer belasten. Umso unverständlicher ist es, dass verhältnismäßig wenig Geld und Engagement in die Long Covid-Forschung fließt. Ein Punkt, den Eckart von Hirschhausen in seiner zweiten Prime Time Doku zum Thema fast schon auf die Palme bringt.

"Weltweit gibt es bereits 100 Millionen Long Covid-Patienten und es werden immer mehr", sagt ein britischer Arzt, der selbst als Patient nach Mülheim zur Blutwäsche gereist ist und mittlerweile im Forschungsteam mitarbeitet. Drei bis sechs Monate - so der selbst betroffene Arzt - länger sollte man sich nicht Zeit lassen, um mit der Behandlung zu beginnen.

Mitten während der Drehzeit erwischte Corona auch Hirschhausen. Anschließend lässt er sein Blut untersuchen und findet auffällige Blutgerinnsel - ein fast schon typischer Zustand nach einem Covid-Infekt. Drei Mechanismen vermutet man, die Long Covid-Betroffene krank machen. Die erste Möglichkeit: das Virus infiziert Gefäßwände, was für eine Sauerstoffunterversorgung in Muskeln und Gehirn sorgt. Variante zwei: das Virus triggert Auto-Antikörper, die sich gegen das eigene Nervensystem wenden. Die dritte Möglichkeit: Teile des Virus verbleiben im Körper und wirken weiter. Für alle drei Modelle gibt es Behandlungsmöglichkeiten, doch sie werden kaum erforscht und angewendet.

Die Gesamtzahl der an einem Chronischen Erschöpfungssyndrom (ME/CFS Leidenden schätzt man in Deutschland auf 250.000. Rund die Hälfte von ihnen kann nicht mehr arbeiten. Durch Long Covid kommen nun Zehntausende hinzu. Professor Carmen Scheibenbogen, eine der deutschen Top-Expertinnen zum Thema, leitet das Fatigue Centrum an der Berliner Charité. Zehn Millionen Euro bräuchte sie für einige klinische Studien - und bekommt sie bislang nicht. Zum Vergleich: Jeden Tag werden im deutschen Gesundheitswesen etwa eine Milliarde Euro ausgegeben, sagt Eckart von Hirschhausen in seinem Film "Hirschhausen und Long-Covid - die Pandemie der Unbehandelten".

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Bislang nur fünf Millionen Euro von der Bundesregierung

Der Beitrag zeigt mehrere Beispiele von Ärztinnen und Ärtzen, die selbst Studien durchführen und finanzieren. Eine große, ordentlich finanzierte Studie? Fehlanzeige. Oft forschen Menschen, weil sie selbst betroffen sind, wie die Hausärztin Anna Brock, die zudem Betroffene berät. Ein 33-jähriger ehemaliger Jurist und DJ, der nach einer anderen Viruserkrankung vor fünf Jahren das Chronische Erschöpfungssyndrom überbehalten hat und seitdem nicht mehr arbeiten kann, nennt ME/CFS "die leiseste humanitäre Katastrophe der Welt".

Seit Jahrzehnten ist die Krankheit bekannt und dennoch kaum erforscht. Es gibt keine Therapie. Dabei ist ME/CFS in Bezug auf Verbreitung und Schwere vergleichbar mit Multipler Sklerose - wo ungleich mehr geforscht wird. Von Hirschhausen bringt die Aktivistin Anna Brock auch mit einem Neurologie-Professor zusammen, der behauptet, viele Long Covid-Betroffene (90 Prozent laut einer eigenen, aber noch nicht bestätigten Studie) würden vor allem an einem psychischen Problem leiden, da man körperlich bei Untersuchungen nicht viel feststellen könne. Man diskutiert, kommt aber nicht zusammen. Der Vorwurf von Anna Brock: Durch die Suggestion, das Leiden könne rein psychische Ursachen haben, verwehre man tausenden von Long Covid und Fatigue-Patientinnen und -Patienten den Zugang zu Diagnostik und Behandlung.

Tatsächlich erhält die einflussreiche mediale Galionsfigur Eckart von Hirschhausen am Ende seiner eindringlichen 45-Minuten-Reportage einen Termin bei Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach, der auch mit der Kamera dokumentiert wird. "Ja, wir haben eine Pandemie der Unbehandelten", gibt der SPD-Politiker zu. "Der Expertenrat hat ja darauf hingewiesen, dass es eine neue Volkskrankheit werden könnte."

Dass zu ME/CFS zu wenig geforscht wurde, ist sich Lauterbach sicher. Wohl weil die Gruppe mit 250.000 Menschen nicht so groß war und sie lange Zeit als psychosomatische Erkrankung abgetan wurde, wird vermutet. Im Mai 2022 bewilligte die Bundesregierung schmale fünf Millionen Euro für die Therapieforschung von Long Covid und MC/CFS - aber das reicht bei weitem nicht.

Vielleicht gerät ja nach Ausstrahlung dieses Films wieder etwas in Bewegung. Nachdem "Hirschhausen und Long-Covid - die Pandemie der Unbehandelten" schon seit längerem in der ARD-Mediathek zu finden ist, wird nun auch noch mal linear ausgestrahlt. Im Anschluss, so wird gemunkelt, könnte die "Hart aber fair"-Redaktion das Thema direkt aufgreifen - sollte die Aktualität dem Vorhaben keinen Strich durch die Rechnung machen. Auch das würde dem nach wie vor unterbelichteten Thema Long Covid noch mal einen Präsenz-Booster geben.

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