Außer Dienst? - Die Gerhard Schröder-Story - Mo. 08.04. - ARD: 21.00 Uhr

Auch mit 80 noch streitbar: Wie Altkanzler Gerhard Schröder heute lebt - und zurückblickt

02.04.2024 von SWYRL/Maximilian Haase

Er prägte die jüngere Geschichte der Bundesrepublik entscheidend mit: Gerhard Schröder polarisiert wie kaum ein anderer Altkanzler - bis heute. Anlässlich seines 80. Geburtstags widmet das Erste dem rastlosen Ruheständler nun eine kritische Dokumentation.

Er stieg vom Arbeiterkind zum Bundeskanzler auf, sah sich als Malocher und galt vielen doch als Armani-Kanzler und "Genosse der Bosse". Er beschloss die Agenda 2010 und verweigerte den USA im Irakkrieg die Gefolgschaft. Er führte die erste rot-grüne Regierung an, wurde schließlich Wirtschaftslobbyist und pflegt eine enge Freundschaft zum russischen Präsidenten Wladimir Putin. Gerhard Schröder prägte die Geschicke des Landes in der jüngeren Vergangenheit nicht nur entscheidend mit, sondern polarisierte während seiner Laufbahn - und bis heute - wie kaum ein anderer Politiker. Wenn er nun, am 7. April, sein 80. Lebensjahr vollendet, werden die feuilletonistischen Porträts wieder rekapitulieren, einordnen und kritisch würdigen. Den Altkanzler selbst zu Wort kommen lässt derweil die im besten Sinne ungewöhnliche TV-Doku "Außer Dienst? - Die Gerhard Schröder-Story", die das Erste anlässlich des runden Ehrentages ausstrahlt.

"Es wurde viel über ihn gesprochen in letzter Zeit - selten mit ihm", beginnt die Doku, für die sich der Jubilar monatelang mit der Kamera begleiten ließ - vom Golfplatz in Hannover bis ins ferne China. Gedreht hat den Film Lucas Stratmann, der zuletzt mit einem sehenswerten Porträt eines anderen, viel jüngeren Sozialdemokraten für Aufsehen sorgte: Für die Doku "Kevin Kühnert und die SPD" (2021) erhielt der Filmemacher viel Lob und den Deutschen Fernsehpreis.

Ähnlich intim, kritisch und mit Sinn für absonderliche Details nähert sich Stratmann in seiner neuen Dokumentation der Person Schröders. Ob beim Philosophieren über die richtige Golf-Strategie, während der Reise in einer VIP-Lounge am Flughafen oder bei den Interviews in Schröders Anwaltskanzlei in Hannover: Fast immer an seiner Seite und in der Doku ebenso präsent ist Ehefrau Soyeon Schröder-Kim, die sich sowohl zur öffentlichen Aufmerksamkeit ihrer Instagram-Posts als auch zu politischen Fragen äußert.

"Natürlich begreift man mich als ja immer noch als jemanden, der in Deutschland eine wichtige Rolle gespielt hat", beschreibt Schröder sein Selbstbild. "Das war ja einfach auch so." Weiterhin inszeniert er sich als staatstragenden Charakter - eine Inszenierung, die Autor Stratmann wie schon bei Kühnert klug und unaufgeregt aufzudecken versteht. Dem Altkanzler ist dieses Exponieren und Nachhaken - auch das kennt man aus seiner Amtszeit - ziemlich egal: "Wenn Das Erste was macht, dann wird es eh kritisch. Aber ich habe entschieden, es ist besser, was zu sagen, als nichts zu sagen", kommentiert Schröder süffisant die allein schon über den Modus der Beobachtung kritische Doku.

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"Ich bin manchmal ein bisschen anders als andere"

Und zu sagen hat Schröder einiges. Etwa über seine mittlerweile 60 Jahre währende SPD-Mitgliedschaft und über seine Distanzierung von der deutschen Politik der vergangenen Jahre. Vor allem aber über seine Freundschaft zu Wladimir Putin nach dem russischen Angriff auf die Ukraine, über sein langes Schweigen zum Krieg und über seine Rolle bei den Friedensverhandlungen in Istanbul und Moskau im März 2022. Exklusive Privataufnahmen aus jener Zeit liefern seltene Einblicke in die Vermittlungsversuche Schröders, der sich gern als Friedensstifter inszeniert hätte. Es sei "doch nicht um eine moralische Frage" gegangen, wiegelt der Ex-Kanzler hingegen das Nachhaken des Interviewers ab, ob er sich im Gespräch mit Putin nach dessen Motiv für den Überfall auf die Ukraine erkundigt habe.

Natürlich sei Putins Russland keine "Westminster-Demokratie", aber es sei auch ein "Irrtum" dass er daran etwas ändern könne. Er setze weiterhin auf Dialog, so Schröder, der sich beim Thema Russland konfrontativ gibt. Dass die Doku Schröders Beziehung zu Putin so viel Raum einräumt, hat einen Grund: Hier ist der streitbare Ruheständler in der Vergangenheit und zuletzt am meisten angeeckt, hier zeigt sich das ambivalente Verhältnis des Altkanzlers zur deutschen Gesellschaft am deutlichsten. "Ich bin manchmal ein bisschen anders als andere", sagt er an einer Stelle wissend. In diesem Sinne ist "Außer Dienst?" keine gewöhnliche Dokumentation. Sondern der "Versuch einer Annäherung an einen früheren deutschen Staatsmann, der sich mit Deutschland entfremdet hat", wie es in der Ankündigung heißt.

Eingeladen und empfangen wird er zwar noch immer - etwa zum Festakt anlässlich des Tags der Deutschen Einheit in der Hamburger Elbphilharmonie. Doch kann jeder Auftritt Schröders, jeder Händedruck und jedes öffentliche Gespräch mittlerweile zum Skandälchen geraten. Die Lobbyarbeit für Gazprom und Nordstream, das enge Verhältnis zu Putin, die halbherzige Verurteilung des russischen Angriffskrieges ("Es gab viele Fehler - auf beiden Seiten") - all das wurde und wird Schröder zur Last gelegt. Ob es letztlich sein gesamtes politisches Vermächtnis infrage stellt, lautet eine der wichtigen Fragen, denen die einstündige Doku nachgeht.

"Das ficht mich überhaupt nicht an"

Das Geburtstagskind selbst scheint zumindest vor der Kamera in sich zu ruhen: "Das ficht mich überhaupt nicht an", gibt er mit dem typischen Schröder-Lächeln zu verstehen, als er mal wieder öffentlich kritisiert wird. Zweifel scheinen dem Kanzler außer Dienst fremd. Isoliert sehe er sich ohnehin nicht, auch nicht in der SPD - abgesehen von "ein paar Funktionären", die Schröder als "armselige Leute" bezeichnet. Die Führung seiner Partei solle ohnehin lieber darüber nachdenken, warum die SPD in den Umfragen hinter der AfD läge.

Vielleicht hängt die Ausgeglichenheit auch damit zusammen, dass sich Schröder über fehlende Verehrer außerhalb Deutschlands nicht beklagen braucht. Während man ihn hierzulande als Persona non grata behandelt, wird sein Ego andernorts noch gebauchpinselt. Wie schon in seiner Amtszeit setzt sich der Altkanzler für gute wirtschaftliche Beziehungen zu China ein. Er habe, so berichtet Schröder stolz, sogar den Ehrentitel "Alter Freund des chinesischen Volkes" inne. Entsprechend hält er es für "überflüssig", wenn die deutsche Außenministerin den chinesischen Staatschef als "Diktator" bezeichnet.

Im Reich der Mitte, wohin Autor Stratmann Schröder und seine Frau begleitet, empfängt man den bisweilen als nicht gerade uneitel beschriebenen Ex-Politiker mit allen Ehren. Hier, so zeigen es grotesk anmutenden Szenen, gilt Gerhard Schröder noch als Staatsmann alter Schule. "Als wäre er noch im Amt", sagt der Kommentar aus dem Off, während man sieht, wie ein Fähnchen schwenkender Kinderchor Schröder singend begrüßt. Reist er zu den Empfängen und Werksbesichtigungen in China als Repräsentant Deutschlands? "Das würde ich nicht für mich in Anspruch nehmen", antwortet Schröder mit einer Phrase, die man in der Doku sehr oft zu hören bekommt.

"Ich habe viele Ungerechtigkeiten aushalten müssen"

In Archivaufnahmen zeichnet der Film die wichtigsten Stationen der Politikerkarriere Gerhard Schröders nach: Die Zeit bei den Jusos, der Aufstieg zum Bundestagsabgeordneten und niedersächsischen Ministerpräsidenten, die Entwicklung der "Männerfreundschaft" zu Putin, das Nein zum Irak-Krieg, die Vertrauensfrage. Angeeckt ist Schröder schon immer, wie die Rückblicke auf den jovialen Charakter des Kanzlers der "neuen Mitte" in Erinnerung rufen. Illustriert wird auch die bisweilen vernichtende Kritik in Presse und Fernsehen, der sich Schröder ausgesetzt sah und sieht. Er habe - aus subjektiver Sicht - "viele Ungerechtigkeiten aushalten müssen", klagt der Altkanzler im Film dann doch noch.

Gerhard Schröder sagt aber auch: "Ich entscheide selber, was ich für richtig halte, zusammen mit meiner Frau". Er habe sich "nie groß beeindrucken lassen - und das wird so bleiben". Auch sein 80, Geburtstag hänge "nicht davon ab, von wem ich einen Gratulationsbrief kriege". Es sind Aussagen, die man dem streitbaren Jubilar sofort abnimmt.

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