Florian Lukas im Interview

"Zweifel gibt es immer, die ganze Zeit"

15.04.2021 von SWYRL/Maximilian Haase

Vor 30 Jahren begann Florian Lukas seine Schauspielkarriere, als junger Ostdeutscher kurz nach der Wende. Weshalb für ihn damals nur der Film infrage kam und warum er heute weniger zur DDR gefragt werden, dafür aber mehr Nachwendegeschichten sehen will, erklärt der 48-Jährige im Interview.

Florian Lukas ist ein vielbeschäftigter Mann, selbst zu Pandemiezeiten. Als einer der meistgebuchten Schauspieler des Landes changiert er zwischen Genres und Formaten, dreht Krimis, Dramen, Komödien, zuletzt gleich zwei Antikriegsfilme. Ob berühmter Jugendstilmaler im Biopic "Heinrich Vogeler" oder gefallener Dartsprofi in der Sky-Serie "Die Wespe": Die heterogene Rollenwahl spiegelt sich auch in den aktuellen Projekten des sympathischen 48-Jährigen.

Da kann es schon irritieren, dass er bisweilen auf seine Paraderollen in "Good Bye, Lenin!" und "Weissensee" reduziert wird - und als gebürtiger Ost-Berliner, der zum Mauerfall gerade einmal 16 war, eine Art DDR-Expertise zugeschrieben bekommt. "Da findet eine Verwechslung statt, zwischen Fiktion und Realität", analysiert Lukas richtigerweise. Trotz jenes Missverständnisses sieht man ihn derzeit im dritten "Erzgebirgskrimi" (Samstag, 17.04., 20.15 Uhr im ZDF) wieder in einem TV-Film mit Bezug zur ostdeutschen Geschichte. Anders als zur DDR sieht er mit Blick auf die folgenreiche Nachwendezeit noch längst nicht alles gesagt.

teleschau: Wie hat Ihnen das Erzgebirge denn gefallen?

Florian Lukas: Vorher war ich noch nie im Erzgebirge gewesen, kannte es eigentlich nur von den berühmten Weihnachtsfiguren. Aber: Meine Schwiegermutter stammt aus dem Erzgebirge, daher war mir die Gegend grundlegend vertraut. Ich kannte etwa die erzgebirgischen Weihnachtslieder, auch wenn ich kein Wort verstehe (lacht). Jedenfalls fand ich es dort jedenfalls wahnsinnig schön, die Dörfer sind toll erhalten, ohne totsaniert zu sein. Teilweise war es unglaublich märchenhaft.

teleschau: Konnten Sie trotz Dreh und Pandemie einiges anschauen?

Lukas: Viel besichtigen konnten wir leider nicht, es hatte ja wegen Corona auch alles zu. Immerhin besuchte ich den Kurpark in Bad Schlema. Aber vor allem war es Arbeit, da bleibt nicht die Zeit, sich freizunehmen und zu wandern.

teleschau: Wie oft kommt es vor, dass man am Drehort noch ein wenig Urlaub machen kann?

Lukas: Eigentlich gar nicht, wir sind zum Arbeiten dort. Wenn ich in Deutschland drehe, will ich ja auch zwischendrin meine Familie sehen. Manchmal hat man aber das Glück, beziehungsweise das Pech, dass man nicht nach Hause darf, weil die Anreisen zu lang sind. Dreht man im Ausland, ergibt sich das schon. Gezwungenermaßen hat man dann an den freien Tagen Zeit, etwa in Kanada 2018. Das sind ganz unglaubliche, sehr exklusive Erlebnisse, die ich gerne nutze. Das ist dann allerdings mit Filmteam - dass die Familie mitkommt, passiert eher selten.

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"Ich bin Schauspieler, kein Zeitzeuge"

teleschau: Im dritten Erzgebirgskrimi steht die Erinnerung an die Abwicklung der DDR in der Nachwendezeit im Mittelpunkt. Finden Sie es gut, dass derlei politisch-historische Themen mittlerweile auch in Regionalkrimis verhandelt werden?

Lukas: Eine Geschichte, wie wir sie in diesem Krimi erzählen, ist nur in Ostdeutschland möglich. Die Wende und die damit einhergehenden Umwälzungen spielen eine große Rolle. An deren Auswirkungen - und meiner Meinung nach auch an den Wahlergebnissen - sieht man bis heute ganz deutlich, was in den 90er-Jahren schiefgelaufen ist. Ich finde gut, dass das auch in Krimis nicht ausgeblendet und somit Teil der Wahrnehmung wird. Allerdings: Differenziert auseinandersetzen kann man sich in einem Krimi damit wohl nur begrenzt. Man könnte ganze Serien drehen über das Thema Nachwendezeit, die Abwicklung, die zerbrochenen Hoffnungen und die fehlende Anerkennung für die Leistung der Menschen.

teleschau: Sehen Sie da eine Leerstelle im deutschen Film- und Seriengeschäft?

Lukas: Ich fände es sehr spannend, sich den Anfang der 90er-Jahre auch im fiktionalen Bereich viel genauer anzuschauen. Wir haben damit in der vierten Staffel "Weissensee" ein wenig angefangen. Ich glaube, dass in großen Teilen Deutschlands noch immer ein großes Unverständnis gegenüber dem Osten herrscht. Was in Ostdeutschland passiert, versteht man besser, wenn man weiß, was dort kurz nach der Wende los war. Das kann man nun, mit zeitlichem Abstand, besser erzählen.

teleschau: Sie waren damals noch sehr jung. Welche Erinnerungen verbinden Sie persönlich mit dem Umbruch?

Lukas: Damals war ich noch ein Teenager. Anfang der 90er-Jahre habe ich die Schule beendet, dann begonnen zu arbeiten und war fast nur in Westdeutschland unterwegs. Mit dem Ostdeutschland-Problem habe ich mich kaum auseinandergesetzt. Ich bekam das nur am Rande mit, es betraf mich auch nicht. Ich war in meinen Zwanzigern, sehr viel unterwegs, arbeitete, wurde Vater. Die Verwerfungen in Ostdeutschland haben mich auch nicht wirklich interessiert. Das bedauere ich im Nachhinein, aber es war nicht meine Lebenswelt. Wie viele andere auch war ich Gewinner der Wende und froh über die deutsche Einheit.

teleschau: Blickten Sie irgendwann anders auf den Osten?

Lukas: Damals verstand ich nicht, warum Helmut Kohl gewählt wurde - das fand ich idiotisch. Die damit verbundenen Hoffnungen erfüllten sich nicht, eine Menge Leute wurden über den Tisch gezogen. Aber das Verständnis dafür, was da los war, die Anerkennung für die Generation meiner Eltern, kam viel später - in den Nullerjahren, als ich schon 30 war. Da gab es plötzlich Bewusstsein für eine ostdeutsche Geschichte, auch als meine eigene Identität.

teleschau: Nicht selten werden Sie auch medial mit dem Osten und der DDR-Geschichte identifiziert. Wie sehr nervt das?

Lukas: Da findet eine Verwechslung statt, zwischen Fiktion und Realität. Ich bin Schauspieler, kein Zeitzeuge. Es ist viel spannender, sich fiktional, wie in "Weissensee", mosaikhaft einer Wahrhaftigkeit zu nähern, als mich als vermeintlichen Ost-Experten zu befragen. Das kann langweilen, und man verliert die Lust daran. Denn eigentlich ist dazu alles gesagt. Ich hoffe, dass ich nicht auch die nächsten 30 Jahre darüber reden muss (lacht).

"Viele Regisseure waren autoritär"

teleschau: Noch etwas anderes passierte vor 30 Jahren: Ihr erster Film "Banale Tage" feierte bei der Berlinale 1991 Premiere.

Lukas: Das war mir nicht bewusst! Ich weiß nur, dass es dann eine Weile brauchte, bis er ins Kino kam. Er spielte in einem Land, das es nicht mehr gab und von dem keiner mehr was wissen wollte.

teleschau: Wenn Sie an Ihre schauspielerischen Anfänge beim Film zurückdenken: Wann realisierten Sie, dass dieser Beruf Ihr Leben prägen sollte?

Lukas: Ganz früh, mit 19 schon. Aber ich hätte einen anderen Beruf gewählt, wenn ich nicht beim Film hätte arbeiten können. Theater kam für mich aufgrund der starren Strukturen nicht infrage, das war damals sehr streng und hierarchisch. Mir war das viel zu feudal.

teleschau: Sie sagten auch einmal, Sie glauben, Schauspielschulen hätten die Leute gefügig gemacht. Hatte das mit den Strukturen am Theater zu tun?

Lukas: Vor 30 Jahren bedeutete Schauspiel nur Theater, alles andere galt als minderwertig. Das war die Einstellung. Ich habe nie verstanden, weshalb man da Unterschiede macht. Heute ist das anders, umfassender. Zudem wurde damals mehr Wert auf Gehorsam gelegt, auf Folgen. Viele Regisseure waren autoritär. Sich da zu entfalten, spielerische Kreativität zu entwickeln - dafür muss man eine Charakterstärke haben, die ich nicht hatte. Das schüchterte mich alles ein, ich fühlte mich überhaupt nicht frei. Das hatte für mich auch mit Spielen nichts zu tun. Ich wollte partnerschaftlich, freiwillig spielen, aber nicht auf Zwang. Daher machte mir das keinen Spaß. Lieber wollte ich mir aussuchen, mit welchen Menschen ich arbeite.

teleschau: Deshalb zogen Sie eine Filmkarriere vor?

Lukas: Ich wollte frei sein. Das hat mir der Film ermöglicht. Vor allem bin ich dankbar dafür. Ich durfte so viel sehen und erleben, Reisen, Premieren, die Begegnung mit unterschiedlichsten Menschen. Man lernt so viel, von der Reanimation im Rettungswagen bis zum Klettern. Je verrückter, desto besser. Das war für mich genau das Richtige.

teleschau: Halfen Ihnen besondere Menschen dabei, Mentoren?

Lukas: Ja, solche Menschen braucht man. Die einen fördern und daran glauben, dass du das schaffen kannst. Auch wenn du Ablehnungen von Schauspielschulen bekommst. Ich war keiner, der aus sich heraus sagte: "Du musst es nur wollen". Da braucht man wen, der Mut macht, der unterstützt und einen weiterempfiehlt. Und der Rest war Disziplin.

"Freiheit bedeutet auch permanente Unsicherheit"

teleschau: Gab es Zeiten, in denen Sie an Ihrem Beruf zweifelten?

Lukas: Zweifel gibt es immer, die ganze Zeit. Es gibt keinen Punkt, an dem man sagt: "Jetzt hab ich es geschafft". Jedes Projekt ist irgendwann abgeschlossen und jedes neue muss wieder beginnen. Man kann zurückblicken, was gelungen ist, was die Leute mochten - und manches bleibt hängen. Davon kann man sich aber nichts kaufen. Freiheit bedeutet auch permanente Unsicherheit. Und es ist ja auch nicht so, dass alles funktioniert, es gibt Rückschläge. Der letzte Zweifel kam natürlich mit dem Lockdown im letzten Jahr.

teleschau: Was empfanden Sie, als die Pandemie alles lahmlegte?

Lukas: Ich fragte mich: Wie wollen wir jetzt überhaupt arbeiten? Ich hielt das für ausgeschlossen. Aber dann kommt immer einer um die Ecke und hat eine Idee. Das ist das Schöne, das Überraschende daran: Die Zweifel wurden immer besiegt.

teleschau: Ihr aktuelles Projekt "Die Wespe" drehen Sie als Serie für Sky, Sie spielen einen Dartsprofi. Birgt das Streamingprojekt auch für Sie noch einmal Neues?

Lukas: Zunächst ist es eine neue Welt, mit der ich mich beschäftigen kann, zumal ich dafür auch wieder intensiv trainiere. Es sind großartige Drehbücher, die wohl vor einiger Zeit außerhalb der Streamingdienste nicht möglich gewesen wären. Deshalb finde ich diese Entwicklung gut. Da kommen natürlich andere Leute und ein anderer Auftraggeber, die den Modernisierungsprozess der Öffentlich-Rechtlichen mit Sicherheit beschleunigen. Ich bin dankbar, dass es ihn gibt, aber auch froh, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk kein Monopol mehr hat und sich bewegen muss. Das tut er ja auch.

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