ARD-Langzeit-Doku "Wege zur Macht. Deutschlands Entscheidungsjahr"

Zehn Monate Kanzleramts-Wahlkampf: Als Baerbock kämpfte und Habeck den Campingkocher anschmiss

21.09.2021 von SWYRL/Eric Leimann

Was denkt Armin Laschet über sein Lach-Fiasko im Flutgebiet? Wie zerknirscht ist Annalena Baerbock über ihren dramatischen Umfrage-Absturz? Und weshalb kann Olaf Scholz nicht mit "ja" oder "nein" antworten? Dokumentarfilmer Stephan Lamby führte in "Wege zur Macht. Deutschlands Entscheidungsjahr" intime Interviews.

Sechs Tage vor der Bundestagswahl lief am Montagabend zur besten Sendezeit im Ersten die 75 Minuten lange Dokumentation "Wege zur Macht. Deutschlands Entscheidungsjahr" von Stephan Lamby. Der vielfach preisgekrönte Polit-Journalist ("Nervöse Republik") hatte jene Spitzenpolitiker, die sich Hoffnungen aufs Kanzleramt machten, seit Dezember 2020 mit der Kamera begleitet. Dabei führte er immer wieder intime Interviews mit Armin Laschet, Markus Söder, Olaf Scholz, Annalena Baerbock und Robert Habeck. Hier die erstaunlichsten Aussagen und Erkenntnisse des Films.

Offen zeigten sich im Beitrag die Grünen. Gerade Co-Chef Robert Habeck machte einen authentischen Eindruck - befreit von Kanzler-Ambitionen und womöglich auch von der Herausforderung, dass seine Partei die Regierungschefin stellen könnte. In der Doku gibt er zu, unter der Entscheidung gegen ihn als Kanzlerkandidaten durchaus gelitten zu haben: "Ich hatte eine Ambition - und ich musste mich eine Woche lang schütteln, um zu akzeptieren, dass ich diese Ambition jetzt nicht leben konnte." Auch Fehler der Grünen im Wahlkampf gesteht er ein. Als Annalena Baerbock vorgeworfen wird, Bonuszahlungen ihrer Partei dem Bundestag zu spät gemeldet und ihren Lebenslauf aufgehübscht zu haben, gesteht Habeck, diese Fakten nicht gewissenhaft gecheckt zu haben. "Es wurde viel geprüft, aber offensichtlich ist das nicht gesehen worden. Das ist offensichtlich, dass etwas schiefgelaufen ist."

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Baerbock unter Plagiatsbeschuss, Habeck im Zelt mit Campingkocher

Auch Baerbock gesteht, dass sich ihre Partei in Sachen Wahlkampf Fehler geleistet hat: "Wir hätten rückblickend uns noch stärker darauf vorbereiten müssen, was so ein Bundestagswahlkampf mit Kanzlerkandidatur an Ressourcen alles braucht." Konkrete Frage von Stephan Lamby: "Waren sie überfordert?" - Baerbock entfährt ein reflexhaftes "nein", auf Nachfrage gibt sie zu, nicht genug Ressourcen für den Kanzlerinnen-Wahlkampf bereitgestellt zu haben. Später im Jahr 2021 kamen Plagiatsvorwürfe in Hinsicht auf Baerbocks Buch an die Öffentlichkeit, auf die die Grünen zunächst mit Abstreiten reagierten und von einer Rufmordkampagne sprachen.

Habeck äußerte sich damals nicht. Warum er es nicht tat, darauf gibt er im Film eine verblüffend ehrliche Antwort: "Weil ich im Urlaub war - und zwar so richtig mit einem Zelt und einem Campingkocher, wild unterwegs. Ich habe aus dem Augenwinkel morgens und abends geschaut, was da so in Deutschland passiert, aber ich war nicht eingebunden in die Kommunikationsprozesse und wollte es auch nicht sein. Das waren die fünf Tage, die ich haben wollte, um noch mal Kraft zu tanken, und dann ist es auch unangemessen, vom Strand aus kluge Ratschläge zu geben."

Laschets Lachen: "Dieses Bild lässt sich einfach nicht heilen"

"Gerade in Bezug auf das Buch ist vieles liegengeblieben, was ich hätte anders machen müssen", sagt Baerbock. Auf die Nachfrage Lambys, ob es besser gewesen wäre, das Buch nicht zu schreiben, nickt sie in die Kamera, lächelt bittersüß und sagt: "Rückblickend würde ich manche Entscheidung anders treffen." Eine kluge Einordnung der Wahlkampffehler durch Baerbock und die Grünen leistet die Journalistin Kristina Dunz vom Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND): "Der Grünen-Politiker Joschka Fischer hat von der 'Todeszone da oben' gesprochen, nachdem er wusste, wie es da aussieht, und das ist nicht nur so dahingesagt. Da geht es um jedes Detail, jede Krise und jedes Drama in diesem Land. Und da ist eine Person alleine, die - was das betrifft - keine Erfahrung hat, schon sehr gefordert und oft genug überfordert. Auch Angela Merkel war in mehreren Kandidaturen überfordert, aber sie hatte eben einen Kreis, der ganz eng bei ihr war und ist - und der sie sicherlich vor einigem bewahrt hat."

Auch Armin Laschets Wahlkampf war von Pannen begleitet. Die beiden größten waren sein Machtkampf mit CSU-Chef Markus Söder um die Unions-Kandidatur und natürlich das Lachen während eines Besuchs im Flutgebiet. "Es ist unangemessen und egal, worum es ging - es war nicht gut", gibt Laschet seinen Mega-Faupax offen zu. "Wann war Ihnen das klar?", fragt Lamby. "Als ich die Bilder gesehen habe. In dem Moment waren es ja wenige Sekunden. Aber die Bilder haben natürlich einen sehr starken Eindruck hinterlassen." Melanie Amann vom "Spiegel" analysiert den Fiasko-Moment Laschets wie folgt: "Ich glaube, dass das bei vielen Leuten, die noch kein klares Bild von ihm hatten, die noch nicht genau wussten, was will der überhaupt, was wird oder wäre das für ein Kanzler und Regierungschef ... Das war der Eindruck, den sie von ihm hatten in so einem Moment. Und dieses Bild lässt sich einfach nicht heilen."

Ordnet Olaf Scholz die Wahrheit einem "größeren Ziel" unter?

Auch eine erstaunliche Erkenntnis des Films: Markus Söder und Armin Laschet sollen sich nach ihrem Kampf um die Kanzlerkandidatur der Union wohl nie mehr über ihre heftige Auseinandersetzung unterhalten haben. Laschet sind Söders Motive für den Verzicht nicht klar, sagt er im Film. Ihm habe es Söder - bis heute - nicht erklärt. Dafür liefert Söder die Antwort auf Lambys Frage, warum er es Laschet nicht erklärt habe. "Die CDU hat mir erklärt, wie ihre Einschätzungen dazu sind, und deshalb habe ich so entschieden", sagt er. Um dann den entscheidenden Satz nachzulegen: "Ich wollte keine Spaltung der Union."

Bliebe noch jener Mann, der - wohl auch wegen der Vermeidung von Fehlern - in der Umfrage-Pole-Position des Kanzleramts-Rennens steht: Olaf Scholz. Am Ende des Films bekommt auch er einen Denkzettel, und der betrifft den eher kleinen Skandal um einen aggressiven SPD-Wahlwerbespot, in dem prominente Unions-Politiker als gemalte Matroschka-Puppen gezeigt ("inhaltsleer") und persönlich angegriffen werden. Nach einmaliger Vorführung vor Journalisten löste der Werbefilm als "negative campaigning" Irritationen aus und wurde zurückgezogen. Als Lamby Scholz danach fragt, ob er den Spot kannte, bekommt er immer wieder ausweichende Antworten. Ein klares "ja" oder "nein" vermeidet der SPD-Kandidat.

Es ist ein Dialog, der viel über das Interviewverhalten von Olaf Scholz preisgibt, heißt es in Lambys Off-Kommentar zur Szene. Bloß keine Fehler machen oder sie zugeben. Alles stoisch wegmoderieren. Journalistin Amann vom "Spiegel" ist sich indes sicher, dass kein Wahlkampfmotiv, kein Spot den SPD-Zirkel verlässt, ohne dass das "Team Olaf" drauf geschaut habe. Entweder zum aggressiven Spot zu stehen oder ihn als Fehler zuzugeben, hätte Scholz in der Tat gut zu Gesicht gestanden. Stattdessen überführt ihn jener Filmmoment in "Wege zur Macht. Deutschlands Entscheidungsjahr" als Taktiker, der die Wahrheit in Interviews im Notfall einem "größeren Ziel" unterordnet.

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