Dokumentarfilm im Ersten: Boom und Crash - Wie Spekulation ins Chaos führt - Mi. 23.06. - ARD: 23.45 Uhr

Wie Preiserhöhungen Kriege und Krisen verursachen

20.06.2021 von SWYRL/Maximilian Haase

Irak, Ukraine, Venezuela: Nicht selten folgen Krisen und Kriege dann, wenn die Preise alltäglicher Güter steigen. Die ARD-Doku "Boom und Crash" erklärt in eindrücklichen Bildern, "wie Spekulation ins Chaos führt".

"Mütter nehmen lieber die Sterilisation in Kauf, als ein Kind in dieser kaputten Gesellschaft großzuziehen", lautet einer der bemerkenswerten Sätze aus der Dokumentation "Boom und Crash - Wie Spekulation ins Chaos führt". Der Film, den das Erste am späten Mittwochabend ausstrahlt, zeigt auf, dass Preissteigerungen und Rohstoffspekulation nicht selten Kriege und Krisen nach sich ziehen. Derer gab es in den vergangenen Jahren nicht wenige - so auch in Venezuela, wo nach dem Kollaps der Wirtschaft viele junge Frauen zu einer radikalen Maßnahme greifen und sich sterilisieren lassen. "Wenn ich jetzt schwanger würde, wüsste ich nicht, was ich tun sollte", sagt eine Interviewte. Ein Monatsgehalt reiche nicht, um auch nur für einen Tag Essen zu kaufen.

Zwischen derlei bedrückenden Szenen und den Ursachen im ökonomischen Gefüge schaltet der britische Filmemacher Rupert Russel immer wieder hin und her. Das Kunststück gelingt, weil er den sogenannten Schmetterlingseffekt als erklärende Metapher gefunden hat. Diese beschreibt, wie kleinste Veränderungen unvorhersehbare Ereignisse am anderen Ende der Welt auslösen können.

Angewendet auf die Weltwirtschaft bedeutet das: Die Erhöhung von Preisen für Güter des alltäglichen Bedarfs - Brot, Öl, Wasser, aber auch Wohnraum - erzeugt wellenförmige Effekte, die oft in Wirtschaftscrashs, Revolten oder gar Kriegen münden. Welch "apokalyptische Szenarien" dieser Effekt geschaffen hat, zeigt Russel dort, wo die Auswirkungen am schlimmsten sind: Sei es in Venezuela, in der Ukraine, im Irak, in Kenia oder in Guatemala - zwei Jahre lang reiste der Filmemacher an Orte, an denen "die Krise sichtbar ist".

Immer brach die Ordnung dann zusammen, wenn die Menschen sich die wichtigsten Mittel zum Überleben nicht mehr leisten konnten. Die Folgen - vom Islamischen Staat und den Aufständen in der arabischen Welt über die Hungersnot in Venezuela und dem Krieg in der Ukraine bis zu Flucht- und Migrationsbewegungen - beleuchtet der Film ebenso detailliert wie die Auslöser des Schmetterlingseffekts: Schuld, wird auch mithilfe renommierter Ökonomen wie Jeffrey Sachs und dem Nobelpreisträger Joseph Stiglitz erläutert, tragen nicht selten die Rohstoffmärkte, an denen mit lebensnotwendigen Gütern spekuliert wird. Auch in ihre Zentren, etwa die Wallstreet, begibt sich der Filmemacher.

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Der "größte soziale Wandel" unsere Zeit

Auf der eindrücklichen Reise um den Globus zeigt die Dokumentation Bilder, die bleiben. Sie belegen ein weiteres Mal, dass die Jüngsten der Gesellschaft oft als Erste leiden: Die Kinder im irakischen Mossul, die in den Trümmern der völlig zerstörten Stadt nach verwertbarem Schrott suchen, und dabei angesichts zahlreicher Blindgänger und Sprengstoffgürtel ihr Leben riskieren. Oder die Kindergang im venezolanischen Caracas, die ein Leben auf der Straße fristet und vor Hunger gezwungen ist, im Müll nach Lebensmitteln zu wühlen. "Was ich hier sehe, ist wie ein Mikrokosmos des Ressourcenfluchs", kommentiert der Filmemacher.

"Mit jedem Flügelschlag verursacht die Spekulation des freien Marktes Chaos, vergrößert es immer weiter", heißt es im Film. Schließlich wird auf jenes Chaos, auf die Unsicherheit gewettet. Kein Wunder, dass die Verantwortlichen nun selbst im Klimawandel ihre Chance wittern. Am Beispiel Kenias erklärt Russel: Die Folgen des Klimawandels treibt in den Entwicklungsländern die Landbevölkerung, die sich bislang selbst versorgte, in die Städte. Es wird der "größte soziale Wandel" unserer Zeit werden, prophezeit die Doku. Plötzlich müssen Menschen Geld verdienen, um sich zu ernähren. Sie werden von den internationalen Rohstoffmärkten abhängig. Die Preise für ihre Lebensmittel werden nun an fernen Orten wie Chicago festgelegt - nicht mehr nur von Menschen, sondern auch von künstlicher Intelligenz.

Trotz der bisweilen hektisch aneinandergereihten Bilder von Chaos und Zerstörung, die den Puls in die Höhe treiben sollen; trotz der nur ansatzweise thematisierten Verknüpfung kapitalistischer Auswüchse mit den konstituierenden Grundlagen dieses Wirtschaftssystems: "Boom und Crash" zeigt große Zusammenhänge auf, die sonst kaum Beachtung finden. Weltweit jene Orte zu betrachten, an denen die Krise im Kleinen den Schwächsten die Lebensgrundlage nimmt, ist nicht neu. Aber immer wieder wichtig.

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