06.01.2025 von SWYRL/Maximilian Haase
Was wird aus einer langjährigen Ehe, wenn das Gedächtnis im Alter nachlässt? Kann eine blaue Pille helfen? Senta Berger und Günther Maria Halmer brillieren im tragikomischen Kammerspiel "Weißt du noch", das von verblassenden Erinnerungen und der Kraft der Liebe erzählt.
Was wäre, wenn eine kleine Pille all die verloren geglaubten Erinnerungen an ein gelebtes Leben und damit die Gefühle einer großen Liebe zurückholen könnte? Genau diesem Gedankenexperiment widmete sich 2023 die Tragikomödie "Weißt du noch", die mit Senta Berger und Günther Maria Halmer in den Hauptrollen überzeugte und dafür mit dem Bayerischen Filmpreis für das Beste Drehbuch prämiert wurde. Geschrieben hat das Skript Martin Rauhaus, umgesetzt wurde es von Regisseur Rainer Kaufmann als melancholisches wie humorvolles Kammerspiel. Es ist ein origineller Film über das Altern, das Verblassen der Emotionen und die kleinen wie großen Wunder, die entstehen, wenn man die Vergangenheit noch einmal durchlebt. Das Erste zeigt den Film nun als Free-TV-Premiere.
Marianne (Senta Berger) und Günter (Günther Maria Halmer) sind seit über 50 Jahren verheiratet. So beeindruckend das erscheint, so wenig ist von der einstigen Romantik übrig: Die Kinder sind aus dem Haus, die Tage geprägt von Streit, Gewohnheit und einer Sturheit, die sich über die Jahre eingeschlichen hat. Als Günter ausgerechnet am Hochzeitstag nicht nur das Jubiläum, sondern auch den Käse im Supermarkt vergisst, wirft Marianne ihm spöttisch seine Vergesslichkeit vor. "Das nennt man Wortfindungsstörungen, das findet sich auch bei Demenz", verweist sie auf seine Gehirnlücken. Er geifert, ganz grantelnder Protoptyp seiner Generation, besserwisserisch mit Verweis auf Freud und Neurologie zurück: "Tatsächlich ist eine gewisse Vergesslichkeit im Alter vollkommen normal."
Kaum versieht man sich, befragt das Ehepaar einem Dementztest danach, wessen Gedächtnis mehr Lücken aufweist. "Ich glaube, dass sich sehr viele ältere Ehepaare erkennen werden", sagt Günther Maria Halmer im Interview zum Film. Auch Senta Berger, die eigentlich "langsam, aber stetig" aus ihrem Beruf habe aussteigen wollen, habe sich im Drehbuch wiedererkannt: "Es betrifft mich wie kaum ein anderes Buch in den letzten Jahren", gesteht die 83-Jährige.
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Geheimnisvolle Wunderpille
Zwischen all den Sticheleien jedenfalls offenbart sich die Tragik des Paares: Die Liebe hat sich hinter Alltagsfrust und Enttäuschungen versteckt. Doch Günter hat vorgesorgt - mit einer geheimnisvollen blauen "Wunderpille", die jedoch nicht das bewirkt, was man als unbedarfter Zuschauer vielleicht zuerst im Sinn hat. Auch ist sie kein Mittel, um Schluss zu machen, wie Marianne erst befürchtet ("So schlimm ist doch unser Leben gar nicht"). Vielmehr soll sie verloren geglaubte Erinnerungen zurückbringen, so zumindest das Versprechen des von Konstantin Wecker gespielten Freundes, der Günter die Pillchen besorgt hat. Aus Neugier und Hoffnung schlucken beide die Tablette, und die Zeitmaschine ihres Gedächtnisses setzt sich in Gang.
Zunächst wirkt die Pille magisch: Marianne und Günter erinnern sich wieder an die Momente, die ihre Liebe einst so besonders machten. "Die Kinder, das Haus, unser Leben - das war doch gut", blickt sie zurück, ihm kommt es vor wie ein "unendlich langer Sonntagnachmittag".
Die Distanz zwischen den Eheleuten ist passé, sie erleben einen zweiten Frühling. Alte Lieder, Tanzeinlagen und schwelgende Gespräche bringen Leichtigkeit in die Beziehung - und in den Film. Doch neben den schönen Augenblicken kehren auch die schmerzhaften Brüche, die unausgesprochenen Verletzungen und die verpassten Chancen zurück. Der Film zeigt eindrucksvoll, dass das Gedächtnis ein zweischneidiges Schwert ist: Es bewahrt nicht nur das Gute, sondern auch das, was wir längst vergessen oder verdrängt haben.
"Es hat mir niemand gesagt, dass es auch okay ist, es falsch zu machen"
Fast die gesamte Handlung spielt sich im typischen altbundesrepublikanischen Haus von Marianne und Günter ab - ein Ort, der zugleich Sicherheit und Einengung symbolisiert und darin auch die Ambivalenz des herausragend verkörperten Paares spiegelt. Wie in den meisten Kammerspielen braucht es dafür starke Dialoge, und genau hier brilliert das Drehbuch von Martin Rauhaus: Die Wortgefechte zwischen Marianne und Günter sind mal bissig, mal witzig, aber immer klug und lebensnah. Sie sprechen über ihre Kinder und deren "Pflichtübung", "mit uns Kaffee zu trinken". Sie reden über alte Affären ("Es war für mich Verrat") und gestehen sich neuen Betrug. Sie feixen und streiten und sagen kluge Dinge wie: "Es hat mir niemand gesagt, dass es auch okay ist, es falsch zu machen."
Getragen wird der Film von einer grandiosen Chemie zwischen Senta Berger und Günther Maria Halmer. Beeindruckend glaubwürdig spielen sie ein Paar, das sich seit Jahrzehnten kennt - inklusive all der kleinen Macken und großen Verletzungen, die diese Nähe mit sich bringt. Besonders stark sind die Momente, in denen sie zeigen, wie wandelbar ihre Charaktere sind: Von verbitterten Streithähnen zu verliebten Jugendlichen, die noch einmal träumen und tanzen. Die eingestreuten Super8-Aufnahmen des jungen Paares, die nostalgisch von Lebensfreude und Glück erzählen, tun ihr übriges.
Obwohl sich "Weißt du noch" schweren Themen wie Altern, Vergänglichkeit und Angst vor Demenz widmet, bleibt der Film überraschend leichtfüßig. Rainer Kaufmann gelingt der Balanceakt zwischen Drama und Komödie: So lacht man über die Neckereien der beiden und spürt gleichzeitig die Angst, die sich dahinter verbirgt. Zwei Lebensratschläge würden sich in seinem Film verstecken, so der Regisseur "Du existierst durch Deine Erinnerung" und "Du kannst noch was erleben". Ob und wie die Pille also letzlich wirkt, ist angesichts dieses bittersüßen Kleinods von Film am Ende völlig egal.