"Pferde stehlen" - Fr. 02.12. - ARTE: 21.45 Uhr

Wenn das Damals ins Heute eindringt

29.11.2022 von SWYRL/Christopher Diekhaus

Zurückgenommen, aber eindringlich spielt Stellan Skarsgård in der Bestsellerverfilmung "Pferde stehlen" einen vereinsamten Witwer, den plötzlich seine Erinnerungen einholen.

Welche Kraft besitzen Erinnerungen? Wie soll man mit ihnen umgehen? Auf welche Weise bestimmen sie unser Selbstbild? Und wie prägen Erfahrungen den Lebensweg eines Menschen? Die spannenden Fragen, die Per Petterson in seinem Roman "Pferde stehlen" aufwirft, bestimmen auch dessen Leinwandadaption. Der mittlerweile 67-jährige Hans Petter Moland ("Hard Powder") führte bei der nun erstmals im deutschen TV ausgestrahlten Literaturverfilmung von 2019 Regie und arbeitete bereits zum fünften Mal mit Charakterkopf Stellan Skarsgård zusammen.

Der Schwede ist die perfekte Wahl für den zurückgezogen lebenden Protagonisten Trond, dem der charismatische Schauspieler von Anfang an eine glaubhafte Note verleiht. Nach dem Tod seiner Frau will der Witwer nur noch seine Ruhe haben und verkriecht sich kurz vor dem Jahrtausendwechsel in seinem Haus in der norwegischen Einöde. Als eines Abends Lars (Bjørn Floberg) unvermittelt auftaucht, wird Trond auf einmal mit seiner Vergangenheit konfrontiert. Schließlich erkennt er im Gegenüber den Bruder eines Freundes aus Jugendtagen. Der ereignisreiche Sommer 1948 drängt sich daraufhin mit aller Macht in das Bewusstsein des Einzelgängers. Damals verbrachte der junge Trond (Jon Ranes) mit seinem Vater (Tobias Santelmann) ein paar Wochen in der Wildnis und wurde Zeuge von schmerzhaften und tragischen Ereignissen.

Den im Roman angelegten permanenten Wechsel zwischen den Zeitebenen überträgt der auch für das Drehbuch verantwortliche Regisseur auch in den Film. "Pferde stehlen" springt ständig von der Gegenwart in den Sommer 1948 zurück und unternimmt weitere Schlenker in die Jahre 1943 und 1956. Immer wieder schaltet sich die Hauptfigur als übergeordneter Erzähler ein, um das Geschehen zu bewerten.

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Eindrückliche Bilder

Dem thematischen Reichtum der Literaturvorlage - es geht um die Liebe, ein kompliziertes Vater-Sohn-Verhältnis, den Schrecken des Zweiten Weltkriegs, Trauer und Verlust - wird Molands Filmversion nicht durchgehend gerecht. Einige Passagen besitzen eine enorme Intensität, erschaffen eine bedrohlich-geheimnisvolle Aura. Andere Episoden hingegen - vor allem der Ausflug in die Nazi-Zeit - wirken arg gehetzt, scheinen notdürftig in das Handlungsgerüst eingezwängt.

"Pferde stehlen" vertieft nicht alle relevanten Aspekte in gebührendem Maße, wartet aber auch mit einigen Pluspunkten auf. Neben der zurückgenommenen, dennoch tiefschürfenden Darbietung Stellan Skarsgårds, der die Last greifbar macht, die auf Trond drückt, stechen die wuchtig-atmosphärischen Naturaufnahmen und der eindringliche Toneinsatz hervor. Umgebungsgeräusche verstärkt Regisseur Moland manchmal so sehr, dass der Betrachter regelrecht in die Szenerie hineingesogen wird. Diese Form der Überhöhung - ebenso wie die gelegentlich eingestreuten Zeitlupenbilder - nutzt der Regisseur nicht zuletzt, um den subjektiven Prozess des Erinnerns zu illustrieren und seinem grüblerischen Drama einen leicht entrückten Anstrich zu verpassen.

Der künstlerisch herausragende Film schlug hohe Wellen und räumte beim internationalen norwegischen Filmfestival in Haugesund (2019) fünf Amanda Awards ab: für den besten norwegischen Film, die beste Regie, beste Kamera, beste Musik und den besten Nebendarsteller (Bjørn Floberg in der Rolle des Lars Haug).

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