"Fearless (Taylor's Version)"

Warum nimmt Taylor Swift alte Musik neu auf?

09.04.2021 von SWYRL/John Fasnaugh

Taylor Swift veröffentlicht "Fearless (Taylor's Version)", die erste von insgesamt sechs Neuauflagen ihrer alten Alben. Was steckt hinter dem beispiellosen Großprojekt?

Zuerst die vordergründigen Fakten: Taylor Swift veröffentlicht "Fearless", eine komplett neue Fassung ihres gleichnamigen Albums von 2008, allerdings mit dem Zusatz "Taylor's Version" und mit sechs zusätzlichen Titeln, die es seinerzeit nicht auf die Platte geschafft hatten. Ob es bei "Fearless (Taylor's Version)" nun aber Bonusmaterial gibt oder nicht, ist eigentlich egal. Und es ist ebenfalls völlig egal, ob die neu aufgenommenen Songs grundsätzlich anders klingen als die Originale (tun sie nicht). Worum geht es also bei dieser Neuauflage, für die es keinerlei künstlerische Notwendigkeit gibt? Warum nimmt eine 31-jährige Musikerin alte Songs ein zweites Mal auf?

Taylor Swift würde sagen: Es geht ums Prinzip. Die Sängerin kämpft seit einem Label-Wechsel 2018 intensiv um ihre alten Songs und vertritt schon lange die Meinung, dass die Kunst in erster Linie dem Künstler gehören sollte, der seine Zeit, seinen Schweiß und seine Tränen ("heart and soul") in die Musik investiert. Aber es geht wohl auch, was Taylor Swift so nicht sagen würde, um eine Machtdemonstration und letztlich um einen riesigen Haufen Geld.

Bei Verträgen zwischen Musikern und Plattenfirmen gibt es vor allem zwei relevante Besitzgrößen. Die eine ist das Recht am Song selbst. Der Text, die Melodie und die Komposition gehören zunächst einmal dem Verfasser, in diesem Fall: der Songschreiberin Taylor Swift. Das klingt schön, hat aber im ersten Moment nur abstrakten Wert, und in den USA können auch Songrechte per Vertrag an Plattenfirmen übertragen oder zumindest beschnitten werden. Die andere relevante Besitzgröße, die schon eher als harte Währung gilt, ist das Master-Tape. Diese tatsächliche Original-Aufnahme eines Songs ist das, was man im Radio hört und was dann letztlich auch zu Geld wird.

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Erster Vertrag, kein guter Deal

Taylor Swift war 15 Jahre alt, als sie ihren ersten Vertrag bei dem Country-Label Big Machine Records unterschrieb und für die Aussicht auf eine große Karriere ihren Anspruch auf die Master-Tapes an die Plattenfirma abtrat. Solche Verträge sind in der Branche nicht unüblich, führen aber oftmals dazu, dass Musiker an ihrer eigenen Musik kaum Geld verdienen und das erst merken, wenn es zu spät ist (siehe auch: N'Sync, Backstreet Boys). Taylor Swift ließ sich in ihrem speziellen Vertrag von damals auch untersagen, Songs aus ihrer Zeit bei Big Machine Records vor dem November 2020 neu aufzunehmen. Irgendwann merkte sie dann, dass das hier vielleicht doch kein so guter Deal für sie war.

Darum, ihre eigenen Master-Tapes zu erwerben, bemühte sich Taylor Swift nach eigenen Aussagen schon in den letzten Jahren bei Big Machine Records, jedoch ohne Erfolg. Wirklich hässlich wurde es aber erst, als Swift 2018 nach Ablauf ihres alten Vertrags zu Universal Music wechselte, und noch hässlicher, als Big Machine Records wenig später samt Master-Tapes an den Musikunternehmer Scooter Braun verkauft wurde.

Diesen geschätzten 300-Millionen-Dollar-Deal bezeichnete Taylor Swift in den sozialen Medien als ihr "worst case scenario". Scooter Braun, ausgerechnet! Braun sei ein "Tyrann" und habe sie angeblich jahrelang schikaniert. Braun entgegnete, Swift lasse sich bewusst nicht auf eine konstruktive Konfliktlösung ein, und so entfachte sich eine öffentliche Schlammschlacht mit Behauptungen und Gegendarstellungen. Irgendwann schalteten sich auch Brauns Schützlinge Justin Bieber und Kanye West in den Zwist ein. Es war ein ziemliches Kindergarten-Theater.

Vor dem Hintergrund, dass Scooter Braun nun also alle ihre Master-Tapes besaß, kündigte Taylor Swift bereits im August 2019 an, ihre ersten sechs Alben komplett neu aufnehmen zu wollen. Seitdem wird dieses Großprojekt gerne gelesen, als wollte Taylor Swift ihrem Erzfeind Scooter Braun eins auswischen. Allerdings: Mit Scooter Braun hat die Veröffentlichung von "Fearless (Taylor's Version)" und den kommenden Neuauflagen eigentlich nicht viel zu tun. Wie gesagt, es geht ums Prinzip. Um Geld. Und um eine Musikerin, die keine naive 15-Jährige mehr ist, sondern ein Pop-Megastar, der jetzt selbst die Verträge diktiert.

Taylor Swift dreht den Spieß um

Taylor Swift ist inzwischen eine äußert taffe, selbstbewusste Geschäftsfrau und heute vielleicht sogar die Künstlerin mit dem größten Einfluss im gesamten Pop-Business. Schon früher ließ sie gerne mal die Muskeln spielen, als sie sich mit Apple und Spotify anlegte, um bessere Konditionen bei der Ausschüttung von Streaming-Geldern zu erwirken. Als sie ihren neuen Vertrag bei Universal Music (beziehungsweise dem Sub-Label Republic) aushandelte, sicherte sie sich anders als damals 2004 auch den Anspruch auf alle neuen Master-Tapes. Und mit der Neuauflage ihrer ersten sechs Alben wird sie zwar nicht in der Theorie, aber in der Praxis zur alleinigen Herrin über ihre Songs von früher.

Denn: Mit den Master-Tapes alleine lässt sich auf Dauer eben doch nur dann Geld verdienen, wenn der Künstler mitspielt. Wer die Master-Tapes besitzt, kann die Musik lizenzieren für den Einsatz in Kinofilmen, TV-Werbespots, Videospielen und so weiter - allerdings muss der Inhaber der Songrechte jedes Mal zustimmen. Seit ihrem Weggang von Big Machine Records hat Taylor Swift keiner solchen Lizenzierung mehr zugestimmt.

Umgekehrt steht es ihr aber seit November 2020 frei, ohne Rücksprache mit irgendwem ihr Songrecht zu nutzen und die eigenen Lieder neu aufzunehmen (wenn sie möchte, auch als Eins-zu-eins-Kopien), und die neuen Master-Tapes kann sie dann wiederum im Alleingang vermarkten. Was übrigens auch schon passiert: Taylor Swifts neue Version von "Love Story", der ersten Single des neuen "Fearless"-Albums, kam bereits in einem Werbespot für eine große amerikanische Dating-Plattform zum Einsatz.

Taylor Swift erlangt nun also die vollständige wirtschaftliche Kontrolle über ihre eigene Musik und ist hier, keine Frage, eine Gewinnerin. Eine Heldin, die für Gerechtigkeit sorgt und die Dinge so hinbiegt, wie sie ohnehin sein sollten. Sie wird auch entsprechend gefeiert, nicht nur von den Swifties, wie ihre Fans sich nennen, sondern auch von anderen Musikern und Musikerinnen sowie von vielen weiteren Kommentatoren. Es gibt bei dieser Geschichte, die sich mit Begriffen wie "fair" oder "unfair" kaum noch erfassen lässt, aber natürlich auch Verlierer.

Mit der Veröffentlichung von "Fearless (Taylor's Version)" sind die alten "Fearless"-Master-Tapes im Grunde wertlos. Das Gleiche wird mit den anderen fünf neu aufgenommenen Alben passieren, die angeblich bereits im Kasten sind. Das ist nicht das Problem von Taylor Swift. Es ist aber auch nicht das Problem von Scooter Braun, der vielleicht kein netter Typ ist, aber sehr wohl ein cleverer Geschäftsmann: Im Oktober 2020, unmittelbar bevor Swift ins Studio ging, hat er die alten Master-Tapes für wieder 300 Millionen Dollar an die Shamrock Holding weiterverkauft. Die haben niemanden über den Tisch gezogen oder schikaniert, nur eben ein ziemlich unglückliches Investment getätigt und stehen nun quasi mit leeren Händen da.

Ändert sich jetzt alles?

So zeigt Taylor Swift der Industrie also eindrucksvoll, wer hier der Boss ist und dass am Ende eben doch die Künstlerinnen und Künstler das letzte Wort haben. Ändert sich damit alles? Wohl kaum. Ähnliche Geschichten wie diese gab es schon früher bei Frank Sinatra, Def Leppard und Prince, die auch Musik neu aufnahmen mit ziemlich genau denselben Motiven wie Taylor Swift, nur eben nicht in dieser Dimension.

Es mag zuletzt Lernprozesse bei jungen Musikern gegeben haben, eine Billie Eilish etwa gibt schon jetzt so wenig wie möglich aus der Hand, und auch etablierte Künstler legen immer mehr Wert auf die Master-Tapes, wenn neue Verträge verhandelt werden. In die Position, große Unternehmen wie Apple und Spotify herumschubsen oder eine große Plattenfirma zur Neuproduktion sechs alter Alben überreden zu können, kommen aber nur die allerwenigsten Musiker. Von ganz da oben als erfahrener, selbstbewusster Superstar die Regeln zu ändern beziehungsweise den Spieß umzudrehen, das kann funktionieren. Dort unten, als ahnungsloser, unbedarfter Nachwuchsmusiker, der einfach nur von einer großen Bühne träumt, sieht es anders aus. Fragen Sie mal Taylor Swift!

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