Schauspielerin Lisa Bitter im Interview zur Serie "Schlafschafe"

"Verschwörungstheorien sind demokratiefeindlich"

11.05.2021 von SWYRL/Eric Leimann

In der ZDFneo-Serie "Schlafschafe" spielt die Ludwigshafener "Tatort"-Kommissarin Lisa Bitter eine junge Mutter, die während der Corona-Pandemie zur Verschwörungstheoretikerin wird. Wird es Zeit, die Pandemie expliziter im Fiction-Fernsehen zu thematisieren?

Endlich mal eine Serie, in der es um das geht, was gerade alle bewegt: die Corona-Pandemie. "Schlafschafe" (Mittwoch, 12. Mai, 0.45 Uhr, ZDFneo oder in der ZDF-Mediathek) handelt allerdings nicht von Covid-Erkrankten, sondern von einer jungen Mutter, die in Richtung Verschwörungstheorien und Corona-Leugnertum abdriftet. Die Ludwigshafener "Tatort"-Kommissarin Lisa Bitter spielt diese Frau. Welchen Beitrag kann das fiktionale Fernsehen im Diskurs um die aktuelle Lebenswirklichkeit spielen? Und wird es nicht höchste Zeit, dass auch Masken und Corona-Regeln endlich in Serien und Filmen ankommen und damit zur - nicht mehr geleugneten - Realität werden?

teleschau: Sie haben nach offizieller Lesart eine "Instant Drama Serie" gedreht. Darunter versteht man die schnelle Umsetzung eines sehr aktuellen Stoffes.

Lisa Bitter: Genau. Wir haben im Februar vier Wochen lang gedreht.

teleschau: Will man gesellschaftliche Entwicklungen nur schneller ins Fernsehen bringen, oder heißt "Instant Drama" auch, dass solche Stoffe in hohem Tempo abgedreht werden?

Lisa Bitter: Das eine hat mit dem anderen zu tun. Wenn man Drehs nicht besonders lange vorbereiten kann, sind die Locations, ist die Machart automatisch ein bisschen "rougher". Bei uns gab es keine langen Umbaupausen, weil zum Beispiel das Licht anders eingestellt wurde. "Quick & Dirty" ist so ein bisschen die filmästhetische Formel. Die Autoren der Serie wollten schon länger etwas über Verschwörungstheorien machen. Mit Corona ist dieses Phänomen jetzt noch mal sehr viel mehr in den Fokus geraten.

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"Man bewegt sich freier im Set"

teleschau: Wird bei "Instant Drama" mehr improvisiert?

Lisa Bitter: Ja, sowohl technisch wie auch inhaltlich. Es gibt nicht so oft das Prinzip Totale-Schuss-Gegenschuss, sondern vieles wird schnell mit der Handkamera eingefangen. Man bewegt sich freier im Set. Man kann auch inhaltlich mal schnell etwas einflechten, das man morgens erst aus den Nachrichten erfahren hat.

teleschau: Bei den meisten Fiction-Produktionen wie ihrem Ludwigshafener "Tatort" wird schon ein Jahr so getan, als gäbe es die Pandemie gar nicht. Mittlerweile mehren sich die kritischen Stimmen zu dieser filmischen Schein-Realität.

Lisa Bitter: Ja, das ist ein schwieriges Thema. Anfangs dachten die meisten wohl, dass die Ausnahmesituation, in der wir leben, nicht so lange andauern würde. Mittlerweile fängt es an, komisch zu wirken, wenn die fiktionale Fernsehrealität Corona kaum abbildet. Neulich habe ich zum ersten Mal Menschen mit Masken im "Tatort" gesehen. Ich finde es wichtig, dass die Pandemie in Fiction-Formaten stattfindet. Andererseits ist es natürlich uninteressant, Menschen mit Masken beim Dialog zuzusehen. Das führt ja schon im Alltagsleben zu vielen Missverständnissen. Und Schauspiel hinter einer FFP2-Gesichtsbedeckung ist dann auch deutlich limitiert.

teleschau: Im Sommer 2020, als nach dem Lockdown wieder gedreht wurde, hieß es, dass man den Corona-Alltag nicht in die Handlung von TV-Filmen integrieren wollte, weil Formate wie der "Tatort" noch jahrzehntelang als Wiederholungen zu sehen sind. Zieht das Argument überhaupt?

Lisa Bitter: Ja und nein. Grundsätzlich ist Corona ein Stück Zeitgeschichte, so wie andere Dinge, die sich in Filmen von früher widerspiegeln. Ich habe gemerkt, dass man ab dem Frühjahr 2020 doch relativ schnell irritiert war, wenn Leute im Film in ein Wurstbrot gebissen und sich danach auf die Wange geküsst haben. Man will den Menschen im Film instinktiv zurufen: "Haltet Abstand, seid vorsichtig." Unsere Wahrnehmung hat sich verändert. Wir werden nun zunehmend leerere Szenerien mit wenig Komparsen und größeren Abständen zwischen den Menschen sehen. Die Leute berühren sich weniger in der Gesellschaft - und eben auch im Film.

"Leute, die sich mit ihren Ängsten nirgendwo abgeholt fühlen"

teleschau: Verändert sich auch die Arbeit der Schauspieler und Schauspielerinnen?

Lisa Bitter: Weniger stark als unser privater Alltag, würde ich sagen. Ich genieße Dreharbeiten auch, weil es in Sachen Nähe Ausnahmesituationen zum Alltag sind. Ich drehe gerade die zweite Staffel von "Der Beischläfer" für Amazon. Da wird viel getestet, es gibt strenge Hygiene-Konzepte. So wie bei fast allen Drehs mittlerweile. Diese Maßnahmen machen es möglich, dass man sich vor der Kamera berühren und umarmen darf. Im Arbeitskontext Dinge zu tun, die im Privaten verboten sind, empfinde ich als großes Privileg - und sehr wohltuend.

teleschau: Kommen wir zurück zu "Schlafschafe", der ersten Miniserie über Verschwörungstheoretiker und Corona-Leugner. War dieser Stoff überfällig?

Lisa Bitter: Was die Pandemie mit uns psychologisch macht, auch wie die Politik auf Corona reagiert - solche Dinge in fiktionale Erzählungen zu überführen, ist in der Tat überfällig. Ich meine, man kann ja dabei zusehen, wie die Menschen ob der Diskussion um richtige, übertriebene oder falsche Maßnahmen zunehmend zermürbt sind. Das Herumschlingern der Politik in den letzten Monaten führt leider zu einer Abkehr der Menschen und zu viel Politikverdrossenheit.

teleschau: Scheinbare Planlosigkeit und fehlende Stringenz in der Corona-Politik könnte auch eine Abkehr der Menschen von der Realität insgesamt begünstigen. Befördert unser Staat damit Verschwörungstheorien?

Lisa Bitter: Ich sehe da zumindest eine sehr reale Gefahr. Die Politik und wir alle müssen aufpassen, dass wir die Menschen nicht verlieren. Wer frustriert und überfordert ist, ist definitiv empfänglicher für das Irrationale.

teleschau: Warum driftet die junge Mutter, die Sie in "Schlafschafe" spielen, in Verschwörungstheorien ab?

Lisa Bitter: Weil Sie sich große Sorgen um ihr Kind, ihre Familie macht. Ich kann mir vorstellen, dass viele Leugner im Prinzip sehr sensible, verängstigte Menschen sind. Leute, die sich mit ihren Ängsten nirgendwo abgeholt fühlen. Wer bei wichtigen Fragen und Bedürfnissen keine Unterstützung erfährt, wer dabei kein Gehör findet, fängt an, an ungewöhnlichen Orten nach Antworten zu suchen. So landen einige schneller bei Verschwörungstheorien, als man sich das vorstellen mag.

"Künstler leben vom Applaus, das ist kein Klischee"

teleschau: Warum sind gerade Verschwörungstheorien als Gedankenmodell so attraktiv?

Lisa Bitter: Weil es sich dabei meist um schlichte Erklärungsmodelle mit einem klaren Feindbild handelt. Schuld ist eine "höhere Macht", die Reichen, die da oben. Menschen suchen nach einfachen Antworten. Mit komplexen Zusammenhängen scheinen die Menschen sich schwerzutun. Und das ist nicht immer eine Frage der Intelligenz. Einfache Antworten tun uns gut. Nur ist es leider so, dass unsere Welt ziemlich komplex ist und es auf vielen Gebieten keine einfachen Antworten gibt.

teleschau: Haben Sie persönlich Freunde oder sogar Angehörige, die ins Verschwörungs-Lager abgedriftet sind?

Lisa Bitter: In meinem direkten Umfeld und Freundeskreis habe ich es nicht erlebt, aber man hört solche Geschichten immer wieder. Freunde von Freunden sind betroffen, Paare trennen sich, enge Freundschaften und verwandtschaftliche Beziehungen zerbrechen. Das ist schon ein Keil, der den Zusammenhalt unserer Gesellschaft belastet. Dazu kommt, dass Verschwörungstheorien die Demokratie schädigen - die ja davon ausgeht, dass alle mitbestimmen und mitmachen. Wer Verschwörungstheorien anhängt, glaubt, dass wir keinerlei Macht besitzen, weil eh schon alles verteilt, bestimmt und kontrolliert wird. Ich bin der Meinung, Verschwörungstheorien sind demokratiefeindlich, weil sie dem Individuum das Recht auf Mitbestimmung absprechen.

teleschau: Finden sich unter Schauspielern mehr Verschwörungstheoretiker, weil dieser Berufsstand besonders von den Pandemie-Maßnahmen heimgesucht wird?

Lisa Bitter: Das weiß ich nicht. Die Auswirkungen der Pandemie auf unseren Berufsstand sind ebenfalls komplex. Einerseits wird sehr viel gedreht. Die Hygienekonzepte an den Sets greifen, die Nachfrage nach Fiction ist hoch. Anders sieht es natürlich an den Theatern aus. Wer ein festes Engagement hat, ist einigermaßen "safe". Alle freien Kollegen, die vom Theater leben, haben hingegen riesige Probleme. Bei Musikern ist es genauso. Jeder, der mit Live-Auftritten sein Geld verdient, ist seit über einem Jahr einer enormen Belastung ausgesetzt. Sowohl finanziell wie auch psychisch.

teleschau: Nun haben Sie als Fernseh-Schauspielerin genug zu tun. Früher waren sie am Theater. Was glauben Sie, wie hätten Sie reagiert, wenn sie so lange mit der Arbeit hätten aussetzen müssen?

Lisa Bitter: Wenn ich mir vorstelle, dass ich ein Jahr lang meinen Beruf nicht mehr ausüben darf, wäre ich durch die Decke gegangen. Künstler leben vom Applaus, das ist kein Klischee. Wir brauchen das Feedback des Publikums. Insofern habe ich Verständnis, wenn sich Kollegen zermürbt fühlen.

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