09.09.2024 von SWYRL/Eric Leimann
Der Dokumentarfilm "Klitschko - Der härteste Kampf" (ab 13. September bei Sky/Wow) ist ein intimes Porträt von Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko von Oscar-Preisträger Kevin Mcdonald. Die Kamera begleitet den ehemaligen Box-Weltmeister durch den Kriegsalltag und bietet intime Einblicke in sein Leben.
Als Leonid Breschnew, Staatschef der Sowjetunion, 1982 starb, weinte der kleine Vitali Klitschko zwei Wochen lang. Der elfjährige Sohn eines streng kommunistisch denkenden Berufssoldaten, dachte damals, die Amerikaner würden nun sein Land einnehmen. Die Amerikaner waren der Feind. Dass Dinge im Leben anders kommen können, zeigt "Klitschko - Der härteste Kampf". Ein Dokumentarfilm, den Sky und Wow ab Freitag, 13. September, zeigen.
In den 99 Minuten des schottischen Oscar-Preisträgers Kevin Mcdonald ist der Feind Vitali Klitschkos jetzt Putins Russland, Nachfolgestaat der Sowjetunion. Der kleine weinende Junge wurde 1999 Boxweltmeister im Schwergewicht und 2014 Bürgermeister Kiews. Eine europäische Metropole, die sich - unterstützt von Amerika und dem Westen - gegen die Russen verteidigt. Was für ein Stoff, was für eine Geschichte. Präzise verfolgt vom schottischen Filmemacher Kevin Mcdonald, der den Alltag des Bürgermeisters von Anbeginn des Krieges bis heute begleitet. Es ist ein Alltag zwischen Raketenangriffen, Regieren einer Großstadt im Ausnahmezustand und Mantra-artiger Medienarbeit von früh bis spät.
Dazwischen wird die Vergangenheit von Vitali Klitschko und seinem vier Jahre jüngeren Bruder Vladimir erzählt. Sie haben, wie so viele Ukrainer und Russen, beide Völker in ihrem Blut. Die Mutter stammt aus Sibirien, der an Leukämie verstorbene Vater war Ukrainer. Er "diente" in Tschernobyl und war ein strenger Vater, wie die ehemaligen Boxweltmeister Vitali und Vladimir im Interview zugeben. Natürlich jene Art von Strenge, die einem - im Rückblick - Disziplin beibrachte.
Die Klitschkos, 1972 und 1976 geboren, entdeckten in ihrer Jugend Martial Arts für sich. Anfangs war der boxende Kampfsport in der UdSSR noch verboten. Nachdem er 1989 erlaubt wurde, sammelte Vitali Klitschko schnell Titel: Meister der Ukraine, Meister der UDSSR, es folgten Einladungen in die USA, wo es dem Fan von Arnold Schwarzenegger und Chuck Norris gut gefiel. Der Vater daheim, mittlerweile hoher Offizier, blieb skeptisch.
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Auch Klitschko sieht man die Spuren des Krieges an
Kevin Mcdonalds "Ein Tag im September" über die Olympia-Geiselnahme von München 1972 gewann im Jahr 2000 den Oscar als bester Dokumentarfilm. Der 1967 geborene Schotte inszenierte auch schon - meist politische - Spielfilme wie das viel beachtete "Der letzte König von Schottland" über den ugandischen Diktator Idi Amin (2006). Nun hat McDonald im Auftrag von Sky einen Film gemacht, der Vitali Klitschko von Beginn des russischen Überfalls im Jahr 2022 bis heute durch seinen härtesten und sicher auch längsten Kampf begleitet. Man sieht ihn an der Front, an zerbombten Hochhäusern in Kiew, während unzähliger Medien-Schalten und bei Treffen mit westlichen Politikern, wo er für die Ukraine trommelt.
Das ist interessant, weil man den Krieg aus neuer Perspektive sieht. Klitschkos Job ist der eines Dauerkrisen-Managers, der unter chronischer Ermüdung einem Knochenjob nachgeht. Das Kämpferherz des Ex-Boxchampions hilft zwar bei diesem Martyrium, doch auch Klitschko sieht man die Spuren des Krieges an.
Natalia Yegorova, geschiedene Natalia Klitschko, spricht im Interview, wie sich ihr Ex-Mann durch den Krieg veränderte. Auch die Söhne Yegor-Daniel und Max sprechen vor der Kamera. Dass man den Mann und Vater zumindest ein Stück weit durch die Politik und den Krieg verloren hat, schimmert zwischen den Zeilen durch. Wo es täglich um Entscheidungen über Leben und Tod für viele geht, ist vielleicht nicht mehr viel Raum für zartfühlend intime Beziehungen. Ein Aspekt, den man in üblichen Heldenfilmen gerne vergisst.
Schaukeln über Trümmern vor zerbombten Hochhäusern
Die stärksten Szenen des Films zeigen Klitschko beim Frontbesuch und im Gespräch mit Menschen, deren zerbombte Häuser der Bürgermeister besucht. Man kennt solche Szenen als nur sekundenlange Schnipsel aus den Nachrichten. Sie wirken jedoch anders, wenn man diese Szenen länger und mit Ruhe betrachtet. Es entsteht ein Bild des Alltags-Grauens, und man bekommt einen Eindruck, wie man sich daran gewöhnt. Kinder schaukeln über Trümmern vor zerbombten Hochhäusern oder erzählen dem uniformierten Vitali Klitschko, wie sie gestern aus den oberen Stockwerken gerettet wurden, als das Treppenhaus nicht mehr begehbar war. Klitschko hält den Blick, bleibt stark und spricht durch Berührungen Mut zu.
Ein weiterer spannender Aspekt dieser Kriegs-Doku auf Kommandoebene ist die Dauerfehde Vitali Klitschkos mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Der war früher Komiker und machte sich gerne über den Boxer Klitschko lustig. Heute arbeiten die beiden nur zähneknirschend zusammen. Klitschko wirft Selenskyj autokratische Tendenzen vor.
"Klitschko - Der härteste Kampf" ist ein sehenswerter Dokumentarfilm, weil er den Ukraine-Krieg aus ungewöhnlicher Perspektive betrachtet: der des Managements der Verteidiger eines Angriffskrieges. Es ist auch ein Film über das Nicht-aufgeben-wollen trotz enormer kollektiver und persönlicher Opfer. In einer der letzten Szenen erzählt Vitali Klitschko in die Kamera, wie müde er sich fühlt, wenn sich im Fahrstuhlspiegel nach einem langen Arbeitstag selbst sieht. Doch dann, nach ein paar Stunden Schlaf, sieht die Welt wieder anders aus: "Willst du dir das wirklich antun?", fragt sich der ehemalige Box-Champion beim ersten Fahrstuhlblick. Und nach dem Schlafen: "So einfach gebe ich nicht auf."