"One Mic Stand" bei Amazon

"Das kostet das Mandat!" - So schlug sich Karl Lauterbach als Stand-up-Comedian

14.07.2022 von SWYRL/Jens Szameit

Talkshowrekordgast ist er schon - jetzt erklimmt Karl Lauterbach die nächste Stufe seiner erstaunlichen TV-Karriere. Von Hazel Brugger ließ sich der SPD-Politiker für eine neue Amazon-Show zum Stand-up-Comedian umschulen. Hat der Mann sonst keine Sorgen? Doch! Aber zum Glück auch viel Selbstironie.

Vor den Augen des Bundesgesundheitsministers türmt sich die Arbeit. Die Impfpflicht: gescheitert. Das Infektionsschutzgesetz: muss dringend vor der Herbstwelle neu aufgesetzt werden. Der Pflegenotstand: verheerend. Das Defizit bei den Krankenkassen: Milliarden schwer. Und was macht Karl Lauterbach, der einst von so vielen gefeierte und geforderte Gesundheitsexperte mit der Lizenz zum Dauertwittern? Er lässt sich für eine neue Amazon-Show zum Stand-up-Comedian umschulen.

Diese unvorteilhafte Lesart wird sich manchem oberflächlich Interessierten womöglich aufdrängen - jetzt, da der Mann, dem der "Spiegel" unlängst einen Podcast unter dem Motto "Vom Talkshowstar zum strauchelnden Minister" gewidmet hat, bei einer Sendung namens "One Mic Stand" auftaucht.

Gerechtfertigt ist der Eindruck allerdings nicht: Das neue VoD-Hochglanzprodukt, mit dem hohe Erwartungen bei Amazon Prime Video verknüpft sind, wurde schon vor Monaten aufgezeichnet. Damals war Karl Lauterbach noch nicht Minister, sondern "König Karl", das öffentlichkeitswirksamste Gesicht einer ziemlich blassen SPD. Der Schutzpatron jener Gesellschaftsfraktion, die sich im Kampf gegen die Pandemie mehr Vorsicht und Konsequenz gewünscht hätte.

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Lauterbach sieht sich in der Rolle von Oliver Welke gut aufgehoben

Wer ab 15. Juli bei Amazon Prime nach der Lauterbach-Folge sucht, wird der zeitlichen Umstände der Aufzeichnung schnell gewahr. Man sieht, wie sich am Abend der Bundestagswahl vom September vergangenen Jahres Hazel Brugger dem Politiker auf der Wahlparty der Leverkusener SPD unvermittelt vor die Füße wirft ("Der Typ hat noch gar nichts gesagt, und die Leute klatschen schon!"). Von hier an sind es noch zwei Wochen bis zum geplanten Auftritt, von dem Lauterbach anfangs noch nichts ahnt. Brugger, 28-jährige Comedienne mit deutsch-schweizerischen Wurzeln, soll den fachfremden Prominenten per Crashkurs coachen - so sieht es das Konzept von "One Mic Stand" vor. Der Auserwählte wehrt sich nicht.

Hazels Guerilla-Aktion im Ortsverein und das Pingpong mit dem frisch gewählten Direktkandidaten sind das Lustigste der 45-minütigen Folge. Spontane Selbstironie beherrscht der Rheinländer ziemlich gut. "Was möchtest du denn für eine Art von Comedy machen?", fragt Hazel. "Entweder seichte, flache Witze", schwebt Lauterbach vor. Oder eine Art Comedy-Influencer fürs politische Geschäft. "Weil ich mit älteren Leuten Erfahrung habe, sehe ich mich in ein paar Jahren als Ersatz für Oliver Welke in der 'heute-show'."

Wolfgang Kubicki kriegt seine "Spacken"-Beleidigung zurück

Das Coaching fällt dann allerdings aus - der viel gefragte Abgeordnete hat keine Zeit. Zehn Stunden vor dem Auftritt holt Hazel Brugger ihn im SPD-Bürgerbüro Köln-Mülheim mit dem Tesla ab. "Ich hab ein paar Jokes für dich geschrieben", reicht sie zwei schlampig geknickte DIN-A4-Blätter rüber. Der Beifahrer liest ab: "'Mein Name ist Karl Lauterbach. Ich bin die Person, die ihnen seit anderthalb Jahren sagt, dass Sie keinerlei Spaß haben dürfen. Ich bin wie ihre Mutter - nur ohne das gute Essen.' Find ich, ist ein guter Einstieg!"

Alles geht jedoch nicht klaglos durch die Endkontrolle: "Was ich abgedroschen finde, sind die Witze, wie oft ich in Talkshows war." Hazel gespielt empört: "Aber dann fällt ja 25 Prozent vom Material weg!" Die Profi-Komödiantin empfiehlt einen Tittenwitz. Lauterbach: "Das kostet das Mandat!" Die Voraussetzungen für eine Blamage stehen ohnedies günstig: "Ich war noch nie so schlecht vorbereitet."

Vor dankbar zugeneigtem Saalpublikum im Kurhaus Wiesbaden verhaspelt sich ein verblüffend frei sprechender Karl Lauterbach dann aber nicht mehr als sonst auch im Rahmen seines professoral-possierlichen Erklärduktus. In der Abteilung Selbstironie arbeitet er sich an der SPD ab ("Wie mein Friseur Experte im schlecht Abschneiden"), am eigenen Erscheinungsbild ("Man ist, was man isst - in meinem Fall Lauch") und schließlich doch an der Talkshowfrequenz. Die Abteilung Attacke trifft neben Armin Laschet ("Weil ich mich viel über den geärgert habe") Lauterbachs Corona-Nemesis: "Wenn Wolfgang Kubicki einen 'Spacken' nennt, ist das so ähnlich, wie wenn ein junger, moderner, cooler Mensch einen lobt."

Schwierigkeiten mit dem Rollenwechsel

Das alles wirkt nerdig bis niedlich, auf jeden Fall authentisch, man ist geneigt zu sagen: sympathisch. Auch wenn manche Politiker-Büttenrede etwa beim Aachener Karnevalsorden Wider den tierischen Ernst schon sicherer getimt daherkam. Womöglich wird da auch vorher besser geübt.

Für eine Hintergrundrecherche von "t-online" sagte unlängst Kathrin Vogler, gesundheitspolitische Sprecherin der Linken, über ihren langjährigen Weggefährten Karl Lauterbach: "Er hat den Rollenwechsel vom Mahner zum Macher nicht geschafft." Der Rollenwechsel vom Politiker zum Komiker, könnte man böswillig anfügen, ging ihm gleichfalls nicht ganz leicht von der Hand. Das allerdings ist deutlich verzeihlicher. Und sollte es ihn je das Mandat kosten: Hazel Brugger ist nicht schuld. Der Tittenwitz wurde ersatzlos gestrichen.

Fünf Folgen "One Mic Stand" stehen ab Freitag, 15. Juli, bei Amazon Prime Video zum Abruf bereit. Neben Karl Lauterbach stellten sich die Comedy-Neulinge Motsi Mabuse, Christoph Kramer, Mats Hummels, Fahri Yardim und Victoria's-Secret-Engel Lorena Rae der Herausforderung. Sie werden gecoacht von Michael Mittermeier, Harald Schmidt. Teddy Teclebrhan und Torsten Sträter.

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