Tatort: Der Welten Lohn - So. 01.11. - ARD: 20.15 Uhr

In Stuttgart implodiert der Kapitalismus

28.10.2020 von SWYRL/Eric Leimann

Die Stuttgarter Kommissare Lannert und Bootz müssen den brutalen Zweikampf zwischen einem Unternehmer und seinem ausgestoßenen Mitarbeiter regulieren. Doch was hilft gegen kranke Auswüchse des Kapitalismus, wenn "das System" alles dem wirtschaftlichen Erfolg unterordnet?

Der neue Stuttgarter "Tatort" hätte ebenso gut "Undank" heißen können, was die im Titel angelegte alte Redensart "Der Welten Lohn" ergänzt hätte. So oder so träfe die Überschrift den Kern des Plots, der in einer eiskalten Welt schwäbisch-effizienter Wirtschaftlichkeit angesiedelt ist. Oliver Manlik (Barnaby Metschurat) saß über drei Jahre lang als Bauernopfer seiner Firma wegen Korruption in US-Haft. Sein Vorstandschef Joachim Bässler (Stephan Schad) hatte ihn damals eiskalt fallen lassen, um seine Stuttgarter Firma in einem Bestechungsskandal zu schützen. Während der Haftzeit ist auch das Privatleben Manliks zerbrochen. Seine Frau Caroline (Isabelle Barth) hat nun einen anderen Mann, auch der halbwüchsige Sohn will nichts mehr vom Vater wissen. Schon vor seiner Verhaftung hatte der sich von der Familie entfremdet, weil er wie ein Besessener für die Firma gearbeitet hatte.

Manlik möchte, dass ihn der Ex-Arbeitgeber für sein gestohlenes Leben entschädigt. Doch Konzernchef Bässler lässt den einst hoch loyalen Mitarbeiter eiskalt abblitzen. Als die Personalchefin des Unternehmens tot im Wald liegt, beginnen die Kommissare Lannert (Richy Müller) und Bootz (Felix Klare) mit ihren Ermittlungen beim schwäbischen Automobil-Zulieferer. Vom Problem mit Oliver Manlik erzählt Chef Bässler aber erst einmal nichts. Erst nachdem er erkennt, dass ihm der geschasste Gerechtigkeitsfanatiker tatsächlich an den Kragen will, führt er die Polizisten auf die Spur des Ausgestoßenen, der immer mehr einer tickenden Zeitbombe gleicht.

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Vom Fast-Priester zum "Tatort"-Regisseur

Auch wenn dieser "Tatort" eher konventionell gebaut ist, das Geschehen bereitet beim Zuschauen Unbehagen. Der gebürtige Schwabe Stephan Schad spielt den Geschäftsführer des Unternehmens mit einer Nüchternheit, die einen frösteln lässt. Dass böse Menschen nicht unbedingt charismatisch sein müssen, daran erinnert Schads Interpretation der Rolle. Dass sein Antipode Manlik das Gegenteil der nüchternen Wirtschaftsmathematik Bässlers ist, nämlich ein Mann, der von inneren Wutkrämpfen wie von einem epileptischen Anfall geschüttelt wird, darin liegt die verheißungsvolle Grundidee des Drehbuchs von Boris Dennulat ("Wer rettet Dina Foxx?"). Fast schon meditativ inszeniert Regisseur Gerd Schneider die meist nur innerlich ausgefochtenen Wutanfälle des von Barnaby Metschurat gespielten Außenseiters, wofür das expressionistische Sound-Design des Komponisten Gary Marlowe, der auch als Ambient-Installationskünstler arbeitet, ungewöhnliche Töne findet.

"Der Welten Lohn" ist ein stimmiger, guter "Tatort" mit überschaubarem Unterhaltungswert. Zu gemein und kalt verhält sich ein Großteil des Personals. Und wenn es dann mal ein wenig menschlicher wird, befinden sich die Protagonisten automatisch in einer eher machtlosen Rolle wider. Sprich: "Der Welten Lohn" erzählt von einer Gesellschaft, in der man eigentlich nicht leben will - was die beiden Kommissare eher konsterniert zurücklässt. Regisseur Gerd Schneider wollte früher katholischer Priester werden, sattelte dann aber in Richtung Filmkunst um. Sein vom SWR finanzierter Debüt-Langfilm "Verfehlung" thematisierte 2015 den Missbrauchsskandal seiner Kirche als von Verdächtigungen vergiftetes Buddy-Movie dreier befreundeter Priester.

Auch in "Der Welten Lohn" setzt sich Schneider mit hochmoralischen Fragen auseinander. "Wirtschaft ist Krieg", sagt Konzernchef Bässler gleich in zwei Szenen. Es ist seine lakonische Entschuldigung für ein Verhalten, dass so von keinerlei humanistisch gedachtem Moralkodex gedeckt würde. Dass einen Schneiders erster "Tatort" so unangenehm berührt, liegt daran, dass hier eine - nicht unrealistisch gezeichnete - Welt vorgeführt wird, in der Bässlers Glaubensbekenntnis die "menschlichen Gebote" längst ersetzt hat.

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