Oliver Masucci im Interview zu Amazons True-Crime-Serie "Gefesselt"

Ein Gespräch über den Killer in dir selbst

08.01.2023 von SWYRL/Eric Leimann

Oliver Masucci spielt in der sechsteiligen Amazon-Serie "German Crime Story: Gefesselt" (ab Freitag, 13. Januar) auf ziemlich beängstigende Art einen Hamburger Serienmörder nach realem Vorbild. Ein Gespräch über den True-Crime-Boom und ein menschliches Bedürfnis, das ihn speist.

Die fiktionale sechsteilige Serie "German Crime Story: Gefesselt" erzählt die Geschichte eines der berüchtigtsten Serienmörders Deutschlands. In den 80-ern und 90-ern war in Hamburg der sogenannte "Säurefassmörder" Lutz Reinstrom aktiv. Er heißt in der Serie zwar Raik Doormann, aber Amazons sechsteilige Fictionserie "German Crime Story: Gefesselt" (ab Freitag, 13. Januar, alle Folgen verfügbar) orientiert sich eng an der realen Vorlage dessen Falles. Schauspieler Oliver Masucci, der schon andere überlebensgroße Figuren wie Adolf Hitler ("Er ist wieder da") und Rainer Werner Fassbinder ("Enfant Terrible") spielte, lässt Zuschauern als Serienmörder das Blut gefrieren - so "speziell" ist seine Darstellung.

teleschau: In "Gefesselt" wird die Geschichte des Hamburger "Säurefassmörders" Lutz Reinstrom nacherzählt, auch wenn er in der Serie anders heißt. Was ist das Faszinierende an True Crime?

Oliver Masucci: Es ist faszinierend, weil es sich um unfassbare Dinge handelt, die tatsächlich in der Nachbarschaft passiert sind. Das jagt einem dann eine andere Art Schauer über den Rücken als Geschichten, die sich jemand ausgedacht hat. Wobei eine solche True-Crime-Serie natürlich immer auch Fiction ist. Nicht nur, weil wir wegen der Persönlichkeitsrechte - vor allem auch denen der Opfer - andere Namen verwenden. Fiction sind solche Erzählungen auch deshalb, weil niemand dabei war, wenn der Mörder mit seinen Opfern sprach. Gerade bei privaten Dialogen bewegen wir uns bei True Crime oft im hochspekulativen Bereich. Das ist immer so - und man sollte es auch so sagen.

teleschau: Wie intensiv haben Sie sich mit dem wahren Täter, der ja nach wie vor in Haft sitzt, beschäftigt?

Masucci: Schon intensiv. Ich habe mit vielen Leuten gesprochen, die ihn gut kennen. Andererseits muss man sagen: Er hat die Taten bis heute nicht zugegeben, sondern immer nur seine Aussagen an den Ermittlungsstand angepasst. Interessant fand ich an dem Fall, dass es dabei um jemanden oder etwas sehr Böses geht, das man aber nicht erkennt. Die Figur war einerseits sadistisch, skrupellos und gewalttätig - andererseits beschrieben ihn viele Menschen den Täter als lustigen, hilfsbereiten Typen. Sozusagen der nette Psychopath von nebenan. Dieser Aspekt steht auch im Zentrum der Serie.

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"Wirklich böse Menschen halten sich nicht für böse"

teleschau: Ihre Psychopathen-Figur ist etwas Besonderes, weil sie weder das personifizierte Böse noch den klassischen Biedermann mit Abgründen herausarbeitet. Ihr Mörder erinnert eher an den "Joker". Jemand, der auf garstige Art böse ist, sich dabei aber für sehr lustig hält ...

Masucci: Ja, das wollte ich so anlegen. Auch weil ich glaube, dass es der psychologischen Realität der Vorlage recht nahekommt. Ich glaube sogar, dass das meiste Böse in dieser Form existiert. Wirklich böse Menschen halten sich nicht für böse. Oft sind sie Narzissten, die ihr Handeln für gerecht, angemessen und richtig empfinden. Egal, wie pervers es ist. Dazu kommt, dass die verbrecherischen Handlungen oft nur ein Teil ihrer Persönlichkeit sind. Die restliche Zeit ist der Mann ein fast normaler Vater, Ehemann, Kumpel oder jemand, der gerade mit Kochschürze um die Hüften einen Rührkuchen backt.

teleschau: Reinstrom wurde 1991 verhaftet, weil er ein Opfer freiließ und sogar vor einer Polizeiwache absetzte. Deswegen wurde er - noch bevor man ihm die Morde nachweisen konnte - wegen erpresserischen Menschenraubs verurteilt. Warum handelte er so?

Masucci: Er ließ sein letztes Opfer frei, weil die Frau ihm in ihrer Gefangenschaft glaubhaft vorspielte, dass sie keine Angst hätte und nicht leiden würde. Genau das hat den Täter aber angetrieben: Das Leid der Opfer erregte ihn und motivierte ihn zu immer brutaleren Taten. Jemand, der da nicht mitspielte, war für ihn uninteressant. Dass man so jemanden freilässt, ist natürlich großes Glück für das Opfer, aber es zeigt auch die Hybris und kranke Gedankenwelt des Täters, denn er dachte: Ich komme davon, wenn ich das einfach abstreite oder sage, dass es alles nur Spaß war oder im Einverständnis passierte.

teleschau: Um noch einmal auf diesen nicht abbrechenden "True Crime"-Trend zu sprechen zu kommen: Warum bekommen die Leute quasi nie genug von solchen Stoffen?

Masucci: Ich glaube, es geht darum, dass all diese bösen Gedanken in Ansätzen vielleicht auch in uns selbst drin sind. Warum bringt der Nachbar Leute um, fragen wir uns? Und im nächsten Schritt vielleicht: Was müsste passieren, dass ich das auch tue? Und weil diese Geschichten echt sind, macht es all diese Täter und Fragen, die wir uns zu ihnen stellen, realer als wenn es sich um fiktionale Geschichten handelt.

"Es sind ja nun mal Geschichten, die passiert sind ..."

teleschau: Aber kennen die Menschen denn keine Statistiken? Dass es in Deutschland zum Beispiel extrem unwahrscheinlich ist, Opfer eines Mordes zu werden und vor allem Serienmörder extrem selten sind. Haben Sie Angst vor so etwas, Herr Masucci?

Masucci: Nein, ich habe keine Angst davor, umgebracht zu werden. Schon gar nicht vor einem Serienmörder ...

teleschau: Aber wenn wir davon ausgehen, dass andere Menschen ähnlich wie Sie ticken: Worin liegt dann die Faszination? Ist es nicht angesichts vieler echter Probleme, die wir derzeit haben, auch eine Flucht in Abgründe, die uns entspannt?

Masucci: Nein, ich glaube nicht, dass es sich beim True-Crime-Boom lediglich um Eskapismus handelt. Der menschliche Abgrund interessiert uns. Wir wollen wissen, wie wir ticken. Wie die anderen ticken. Es ist unser ureigenes Interesse an der eigenen Art. Wir Menschen machen alle ähnliche Erfahrungen im Leben - und verhalten uns auf gewisse Weise. Dann sagen wir über die anderen: "Ja klar, dass der das so macht." Dann sind wir zufrieden. Wenn ein Mensch aber auf einmal ganz anders reagiert - zum Beispiel mit einem Mord - weckt das unser Interesse. Wir wollen wissen, wie und warum hat dieser Mensch das gemacht ...

teleschau: Es gibt den Vorwurf, dass bei vielen Serien die Täter im Mittelpunkt stehen und dadurch eine Bühne bekommen. Ist es nicht genau das, was narzisstische Persönlichkeiten wollen? Sollte man also Serien wie "Gefesselt" oder auch Netflix-Produktionen wie "Dahmer" oder "Die Schlange" erst gar nicht drehen?

Masucci: Das sehe ich nicht so. Es sind ja nun mal Geschichten, die passiert sind - und die man entsprechend auch erzählen können muss. Es nutzt nichts, sich der Realität zu verweigern, indem man sie verschweigt. Ich glaube nicht, dass es dann weniger Morde dieser Art gäbe. Die Täter morden, weil sie diesen Drang haben. Nicht, weil sie von einer Serie dazu angestiftet wurden.

"Es kann dich weiterbringen, wenn du den Killer in dir selbst suchst"

teleschau: Sie haben schon viele böse Menschen gespielt. Hat Sie das persönlich weitergebracht?

Masucci: Einfach nur einen bösen Menschen zu spielen, bringt dich nicht weiter. Doch es kann dich weiterbringen, wenn du den Killer in dir selbst suchst. Oder den Biedermann, der diesen Killer verstecken will. Was tue ich, wenn ich plötzlich merke, ich habe etwas unfassbar Böses getan? Kennen wir solche Gedanken nicht aus der eigenen Kindheit? Und es ist natürlich auch spannend zu ergründen, was den Tätern an ihren Taten diese Befriedigung verschafft, dass sie tatsächlich Menschen töten wollen.

teleschau: Haben Sie herausgefunden, worin die Befriedigung des Mörders besteht?

Masucci: Ich glaube, es geht um Macht. Manche Menschen empfinden eine enorme Genugtuung, vergleichbar mit einem sexuellen Höhepunkt, andere Menschen zu dominieren. Eine solche Person erzählen wir in der Serie. Jemand, der andere einsperrt, gefangen hält, dominiert und quält. Ich kann sogar ganz tief in mir drin verstehen, dass man daraus eine Lust zieht, auch wenn sie mir selbst sehr fern läge. Es ist zutiefst pervers, denn es geht um einen Punkt, an dem man die Macht über andere spürt, aber eben nicht die Empathie mit ihnen. Genau so wird man zum Täter.

teleschau: Ist es schwer, jemanden zu spielen, der so denkt und fühlt?

Masucci: Nein, das ist ganz einfach. Ich spiele einen Geschichtenerzähler, der selbst an seine Geschichten glaubt. Dann wird dagegen geschnitten, wie ich eine Frauenleiche aus meinem Bunker ziehe. Reinstrom hat seine Morde nie zugegeben. Ich musste nur den einen Part spielen - das Kaschieren der Tat. Die Tat selbst musste ich nur andeuten. Ich zeige eine Säge und ein Bein - und spiele ansonsten jemand, der behauptet: "Ich war das doch gar nicht!"

teleschau: Sie haben in den letzten Jahren viele extrem schillernde Figuren gespielt - zum Beispiel Rainer Werner Fassbinder. Man möchte Sie nach Ihrer letzten Antwort gerne fragen: Welche Art Figur finden Sie denn schwer zu spielen?

Masucci: Ich finde gar nichts schwer zu spielen. Das kann auch nicht das Ziel sein. Schauspielerei sollten einem leicht fallen - und nicht schwer. Wenn ich eine Figur verstanden habe und man sich mit dem Regisseur darauf geeinigt hat, was man machen will, muss mir das alles leichtfallen. Wenn mir meine Arbeit schwerfällt, stimmt irgendetwas nicht. Ich würde es sogar aufs Leben übertragen: Wenn eine Situation stimmig ist, reagieren wir auch stimmig und gut. Erst dann, wenn Dinge irritierend und irgendwie nicht in Ordnung sind, fangen wir Menschen an, komische Sachen zu machen.

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